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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in varzin

Hand reichte; wie ich später erfuhr, war es ein Enkel des Fürsten, GrafRantzau.
Nach der ersten Begrüßung teilte mir I)r. Chrhscmder mit, der Fürst sei
beim Frühstück und erwarte mich sofort. Meine Einwendung, ich sei ja noch
im Reiseanzug, wurde freundlich abgelehnt, und ^so folgte ich klopfenden
Herzens meinem Führer nach dem Villard- und Gesellschaftszimmer, das links
von der Hausflur uach dem Park hinaus liegt und durch die Fenster den
Blick in das grüne, svnnendurchleuchtete Laubwerk der Veranda gestattete. Dn
der ziemlich große Raum der Lüngslinie nach bis etwa zur Mitte durch eine
Wand geteilt ist, sodaß eine Art offnen Alkovens mit etwas erhöhtem Boden
entsteht, die Frühstückstafel aber in der hintern Hälfte vor dem Alkoven auf¬
gestellt war, und der Hausherr, der ihr präsidirte, mit dem Rücken dagegen
saß, so sah ich ihn beim Eintritts zunächst nicht. Auf die Meldung or. Chry-
sanders trat mir der Fürst entgegen, begrüßte mich mit einem kräftigen Drucke
seiner großen, weißen Hand und stellte mich der Tischgesellschaft vor, der
Fürstin, der Gräfin Rantzau, seiner Tochter, und einigen Damen aus der
Nachbarschaft, die zum Besuche in Varzin verweilten; dann forderte er mich
auf. an seiner rechten Seite, der Fürstin gegenüber, Platz zu nehmen.

Als ich die hohe, breitschultrige, straff aufgerichtete Gestalt in dunkeln
Hausrock und Heller Halsbinde vor mir sah, war ich fast betroffen, denn ich
fand, daß keines feiner vielen Bilder ihm vollständig ähnlich ist. Die Haltung
geben sie meist gut. Den kräftigen Kopf mit dem spärlichen weißen Haar an
den Schlüsen trügt er etwas rückwärts, namentlich wenn er sitzt, was ihm ein
gebieterisches Aussehen giebt, aber der Ausdruck der markigen Züge, die eine
sehr gesunde Farbe zeigen, und namentlich der Blick der hellen, scharfen Augen
unter den buschigen weißen Brauen wechselt beständig. Und das ist offenbar
der Grund, weshalb ihm kein Bild vollständig entspricht. Die meisten stellen
ihn viel zu ernst oder gar finster dar. Er ist das ja auch wohl, aber im be¬
haglichen Gespräch leuchtet das Gesicht oft von Heiterkeit, Laune und Wohl¬
wollen, und er kann recht herzlich lachen.

Mit der echt vornehmen Liebenswürdigkeit des Herzens behandelte mich
das fürstliche Paar vom ersten Augenblicke an wie einen alten Freund des
Hauses und gab mir dadurch sofort das wohlthuende Gefühl der Sicherheit
und Unbefangenheit. Die lebhafte Unterhaltung, die der Fürst führte, bewegte
sich zwanglos um die verschiedensten Gegenstände. Rühmend hob die Fürstin
den glänzenden Empfang in Dresden hervor, der durch die Schönheit der
Stadt und die Begeisterung der Bürgerschaft alles übertroffen habe, was sie
aus dieser ganzen Reise noch erlebt hätten; des verstorbnen Lothar Bucher
wurde mit warmer Anerkennung gedacht, dazwischen streifte das Gespräch
politische Fragen, auch die Militärvvrlage. Im Zusammenhange damit äußerte
der Fürst einmal: "Da schreiben die Zeitungen: "Das bekannte Leibblatt des
Fürsten Vismarck", oder "Das süddeutsche Leiborgau Bismurcks". Als


Herbsttage in varzin

Hand reichte; wie ich später erfuhr, war es ein Enkel des Fürsten, GrafRantzau.
Nach der ersten Begrüßung teilte mir I)r. Chrhscmder mit, der Fürst sei
beim Frühstück und erwarte mich sofort. Meine Einwendung, ich sei ja noch
im Reiseanzug, wurde freundlich abgelehnt, und ^so folgte ich klopfenden
Herzens meinem Führer nach dem Villard- und Gesellschaftszimmer, das links
von der Hausflur uach dem Park hinaus liegt und durch die Fenster den
Blick in das grüne, svnnendurchleuchtete Laubwerk der Veranda gestattete. Dn
der ziemlich große Raum der Lüngslinie nach bis etwa zur Mitte durch eine
Wand geteilt ist, sodaß eine Art offnen Alkovens mit etwas erhöhtem Boden
entsteht, die Frühstückstafel aber in der hintern Hälfte vor dem Alkoven auf¬
gestellt war, und der Hausherr, der ihr präsidirte, mit dem Rücken dagegen
saß, so sah ich ihn beim Eintritts zunächst nicht. Auf die Meldung or. Chry-
sanders trat mir der Fürst entgegen, begrüßte mich mit einem kräftigen Drucke
seiner großen, weißen Hand und stellte mich der Tischgesellschaft vor, der
Fürstin, der Gräfin Rantzau, seiner Tochter, und einigen Damen aus der
Nachbarschaft, die zum Besuche in Varzin verweilten; dann forderte er mich
auf. an seiner rechten Seite, der Fürstin gegenüber, Platz zu nehmen.

Als ich die hohe, breitschultrige, straff aufgerichtete Gestalt in dunkeln
Hausrock und Heller Halsbinde vor mir sah, war ich fast betroffen, denn ich
fand, daß keines feiner vielen Bilder ihm vollständig ähnlich ist. Die Haltung
geben sie meist gut. Den kräftigen Kopf mit dem spärlichen weißen Haar an
den Schlüsen trügt er etwas rückwärts, namentlich wenn er sitzt, was ihm ein
gebieterisches Aussehen giebt, aber der Ausdruck der markigen Züge, die eine
sehr gesunde Farbe zeigen, und namentlich der Blick der hellen, scharfen Augen
unter den buschigen weißen Brauen wechselt beständig. Und das ist offenbar
der Grund, weshalb ihm kein Bild vollständig entspricht. Die meisten stellen
ihn viel zu ernst oder gar finster dar. Er ist das ja auch wohl, aber im be¬
haglichen Gespräch leuchtet das Gesicht oft von Heiterkeit, Laune und Wohl¬
wollen, und er kann recht herzlich lachen.

Mit der echt vornehmen Liebenswürdigkeit des Herzens behandelte mich
das fürstliche Paar vom ersten Augenblicke an wie einen alten Freund des
Hauses und gab mir dadurch sofort das wohlthuende Gefühl der Sicherheit
und Unbefangenheit. Die lebhafte Unterhaltung, die der Fürst führte, bewegte
sich zwanglos um die verschiedensten Gegenstände. Rühmend hob die Fürstin
den glänzenden Empfang in Dresden hervor, der durch die Schönheit der
Stadt und die Begeisterung der Bürgerschaft alles übertroffen habe, was sie
aus dieser ganzen Reise noch erlebt hätten; des verstorbnen Lothar Bucher
wurde mit warmer Anerkennung gedacht, dazwischen streifte das Gespräch
politische Fragen, auch die Militärvvrlage. Im Zusammenhange damit äußerte
der Fürst einmal: „Da schreiben die Zeitungen: »Das bekannte Leibblatt des
Fürsten Vismarck«, oder »Das süddeutsche Leiborgau Bismurcks«. Als


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[0386] Herbsttage in varzin Hand reichte; wie ich später erfuhr, war es ein Enkel des Fürsten, GrafRantzau. Nach der ersten Begrüßung teilte mir I)r. Chrhscmder mit, der Fürst sei beim Frühstück und erwarte mich sofort. Meine Einwendung, ich sei ja noch im Reiseanzug, wurde freundlich abgelehnt, und ^so folgte ich klopfenden Herzens meinem Führer nach dem Villard- und Gesellschaftszimmer, das links von der Hausflur uach dem Park hinaus liegt und durch die Fenster den Blick in das grüne, svnnendurchleuchtete Laubwerk der Veranda gestattete. Dn der ziemlich große Raum der Lüngslinie nach bis etwa zur Mitte durch eine Wand geteilt ist, sodaß eine Art offnen Alkovens mit etwas erhöhtem Boden entsteht, die Frühstückstafel aber in der hintern Hälfte vor dem Alkoven auf¬ gestellt war, und der Hausherr, der ihr präsidirte, mit dem Rücken dagegen saß, so sah ich ihn beim Eintritts zunächst nicht. Auf die Meldung or. Chry- sanders trat mir der Fürst entgegen, begrüßte mich mit einem kräftigen Drucke seiner großen, weißen Hand und stellte mich der Tischgesellschaft vor, der Fürstin, der Gräfin Rantzau, seiner Tochter, und einigen Damen aus der Nachbarschaft, die zum Besuche in Varzin verweilten; dann forderte er mich auf. an seiner rechten Seite, der Fürstin gegenüber, Platz zu nehmen. Als ich die hohe, breitschultrige, straff aufgerichtete Gestalt in dunkeln Hausrock und Heller Halsbinde vor mir sah, war ich fast betroffen, denn ich fand, daß keines feiner vielen Bilder ihm vollständig ähnlich ist. Die Haltung geben sie meist gut. Den kräftigen Kopf mit dem spärlichen weißen Haar an den Schlüsen trügt er etwas rückwärts, namentlich wenn er sitzt, was ihm ein gebieterisches Aussehen giebt, aber der Ausdruck der markigen Züge, die eine sehr gesunde Farbe zeigen, und namentlich der Blick der hellen, scharfen Augen unter den buschigen weißen Brauen wechselt beständig. Und das ist offenbar der Grund, weshalb ihm kein Bild vollständig entspricht. Die meisten stellen ihn viel zu ernst oder gar finster dar. Er ist das ja auch wohl, aber im be¬ haglichen Gespräch leuchtet das Gesicht oft von Heiterkeit, Laune und Wohl¬ wollen, und er kann recht herzlich lachen. Mit der echt vornehmen Liebenswürdigkeit des Herzens behandelte mich das fürstliche Paar vom ersten Augenblicke an wie einen alten Freund des Hauses und gab mir dadurch sofort das wohlthuende Gefühl der Sicherheit und Unbefangenheit. Die lebhafte Unterhaltung, die der Fürst führte, bewegte sich zwanglos um die verschiedensten Gegenstände. Rühmend hob die Fürstin den glänzenden Empfang in Dresden hervor, der durch die Schönheit der Stadt und die Begeisterung der Bürgerschaft alles übertroffen habe, was sie aus dieser ganzen Reise noch erlebt hätten; des verstorbnen Lothar Bucher wurde mit warmer Anerkennung gedacht, dazwischen streifte das Gespräch politische Fragen, auch die Militärvvrlage. Im Zusammenhange damit äußerte der Fürst einmal: „Da schreiben die Zeitungen: »Das bekannte Leibblatt des Fürsten Vismarck«, oder »Das süddeutsche Leiborgau Bismurcks«. Als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/386>, abgerufen am 23.07.2024.