Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fehler der nationalliberalen Partei

hauptsächlich die Süddeutschen beteiligten, aber die wenig zahlreichen rechts
von der Elbe sitzenden Nntionalliberalen haben sich ihr nachträglich angeschlossen.
Trotzdem findet man in einer Reihe von nationalliberalen Blättern, vor allen
Dingen in der Nationalzeitung, einen Haß gegen alles "Agrariertum," der
einem Eugen Richter Ehre machen könnte. In dieser Beziehung unterscheiden
sich die norddeutschen Nationalliberalen durchans nicht von den eingefleischter
freisinnigen Manchesterleuten; im Süden dagegen finden wir -- um in frei-
händlerischer Mundart zu reden -- in der nativnalliberalen Partei das aus¬
gebildetste Agrariertum. Die Betonung der landwirtschaftlichen Interessen ist
eine unumgängliche Notwendigkeit für jede Partei, die nicht wie die Frei¬
sinnigen lediglich auf die große Masse der städtischen Wähler rechnet. Daß
die nativnalliberale Partei diese Wähler auf die Dauer nicht an ihre Fahnen
bannen laeni, liegt auf der Hand, denn erstens werden ihr die mit bessern
Schlagwörtern arbeitenden demokratischen Parteien den kleinen Bürgerstand
wegfangen, und die Arbeiter nimmt die Sozialdemokratie für sich, sodaß schlie߬
lich nur das sogenannte gebildete Bürgertum der Städte -- Offiziere ohne
Soldaten -- übrig bleiben wird. Die nationalliberale Partei ist aber augen¬
scheinlich bemüht, den Prozeß des Abfalls der städtischen Wähler noch zu
beschleunigen. Der kleine Mittelstand in den Städten besteht vorwiegend aus
Handwerkern, und so kommen wir denn zu einem weitern großen Fehler der
Nationalliberalen: zu ihrem negativen Verhalten in der Handwerkerfrage. Es
unterliegt für uns keinem Zweifel, daß hier die Neste manchesterlicher Ge¬
sinnung dem Ansehen der nationalliberalen Partei bei dieser wichtigen Klasse
des Bürgertums ganz bedeutend geschadet haben, und wenn hier keine Umkehr
erfolgt, noch mehr schaden werden. Dem alten Zauber des Wortes "Freiheit,"
der auch in der Gewerbefreiheit sein Unwesen treibt, haben sich auch die
Nationalliberalen uicht entziehen können, während sie bei dem Worte Innung
ein geheimes, ihnen selbst unerklärliches Gruseln empfinden. Es ist höchst
merkwürdig: mau spricht so oft von Hebung des Handwerkerstandes, man er¬
kennt seine mißliche Lage an, und wenn dann die Handwerker sagen: so ist
uns zu helfen, dann steht drohend der Popanz der Gewerbefreiheit hinter den
Nationalliberalen und hindert sie daran, anch nur zu prüfen, ob nicht eine
Organisation an Stelle der zügellosen Freiheit treten könnte, und ob es nicht
ganz gut wäre, wenn jeder, der ein Handwerk selbständig ausübe" will, vor¬
her nachweisen müßte, daß er das Handwerk auch versteht, anstatt daß er das
Publikum mit schlechter Arbeit bedient und so den Handwerkerstand schädigt,
indem er durch seine schlechten Leistungen die fabrikmäßige Herstellung be¬
günstigt. Es ist wohl uicht erforderlich, unsern Lesern langatmige Auseinander¬
setzungen über die Haudwerkerfrage zu machen, sie sind darüber genau unter¬
richtet; aber sie wissen vielleicht nicht, welche üble Wirkung das Verhalten der
Nationalliberalen in dieser Angelegenheit ausübt. Die Nationalliberale Kor-


Die Fehler der nationalliberalen Partei

hauptsächlich die Süddeutschen beteiligten, aber die wenig zahlreichen rechts
von der Elbe sitzenden Nntionalliberalen haben sich ihr nachträglich angeschlossen.
Trotzdem findet man in einer Reihe von nationalliberalen Blättern, vor allen
Dingen in der Nationalzeitung, einen Haß gegen alles „Agrariertum," der
einem Eugen Richter Ehre machen könnte. In dieser Beziehung unterscheiden
sich die norddeutschen Nationalliberalen durchans nicht von den eingefleischter
freisinnigen Manchesterleuten; im Süden dagegen finden wir — um in frei-
händlerischer Mundart zu reden — in der nativnalliberalen Partei das aus¬
gebildetste Agrariertum. Die Betonung der landwirtschaftlichen Interessen ist
eine unumgängliche Notwendigkeit für jede Partei, die nicht wie die Frei¬
sinnigen lediglich auf die große Masse der städtischen Wähler rechnet. Daß
die nativnalliberale Partei diese Wähler auf die Dauer nicht an ihre Fahnen
bannen laeni, liegt auf der Hand, denn erstens werden ihr die mit bessern
Schlagwörtern arbeitenden demokratischen Parteien den kleinen Bürgerstand
wegfangen, und die Arbeiter nimmt die Sozialdemokratie für sich, sodaß schlie߬
lich nur das sogenannte gebildete Bürgertum der Städte — Offiziere ohne
Soldaten — übrig bleiben wird. Die nationalliberale Partei ist aber augen¬
scheinlich bemüht, den Prozeß des Abfalls der städtischen Wähler noch zu
beschleunigen. Der kleine Mittelstand in den Städten besteht vorwiegend aus
Handwerkern, und so kommen wir denn zu einem weitern großen Fehler der
Nationalliberalen: zu ihrem negativen Verhalten in der Handwerkerfrage. Es
unterliegt für uns keinem Zweifel, daß hier die Neste manchesterlicher Ge¬
sinnung dem Ansehen der nationalliberalen Partei bei dieser wichtigen Klasse
des Bürgertums ganz bedeutend geschadet haben, und wenn hier keine Umkehr
erfolgt, noch mehr schaden werden. Dem alten Zauber des Wortes „Freiheit,"
der auch in der Gewerbefreiheit sein Unwesen treibt, haben sich auch die
Nationalliberalen uicht entziehen können, während sie bei dem Worte Innung
ein geheimes, ihnen selbst unerklärliches Gruseln empfinden. Es ist höchst
merkwürdig: mau spricht so oft von Hebung des Handwerkerstandes, man er¬
kennt seine mißliche Lage an, und wenn dann die Handwerker sagen: so ist
uns zu helfen, dann steht drohend der Popanz der Gewerbefreiheit hinter den
Nationalliberalen und hindert sie daran, anch nur zu prüfen, ob nicht eine
Organisation an Stelle der zügellosen Freiheit treten könnte, und ob es nicht
ganz gut wäre, wenn jeder, der ein Handwerk selbständig ausübe» will, vor¬
her nachweisen müßte, daß er das Handwerk auch versteht, anstatt daß er das
Publikum mit schlechter Arbeit bedient und so den Handwerkerstand schädigt,
indem er durch seine schlechten Leistungen die fabrikmäßige Herstellung be¬
günstigt. Es ist wohl uicht erforderlich, unsern Lesern langatmige Auseinander¬
setzungen über die Haudwerkerfrage zu machen, sie sind darüber genau unter¬
richtet; aber sie wissen vielleicht nicht, welche üble Wirkung das Verhalten der
Nationalliberalen in dieser Angelegenheit ausübt. Die Nationalliberale Kor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213469"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fehler der nationalliberalen Partei</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1097" prev="#ID_1096" next="#ID_1098"> hauptsächlich die Süddeutschen beteiligten, aber die wenig zahlreichen rechts<lb/>
von der Elbe sitzenden Nntionalliberalen haben sich ihr nachträglich angeschlossen.<lb/>
Trotzdem findet man in einer Reihe von nationalliberalen Blättern, vor allen<lb/>
Dingen in der Nationalzeitung, einen Haß gegen alles &#x201E;Agrariertum," der<lb/>
einem Eugen Richter Ehre machen könnte. In dieser Beziehung unterscheiden<lb/>
sich die norddeutschen Nationalliberalen durchans nicht von den eingefleischter<lb/>
freisinnigen Manchesterleuten; im Süden dagegen finden wir &#x2014; um in frei-<lb/>
händlerischer Mundart zu reden &#x2014; in der nativnalliberalen Partei das aus¬<lb/>
gebildetste Agrariertum. Die Betonung der landwirtschaftlichen Interessen ist<lb/>
eine unumgängliche Notwendigkeit für jede Partei, die nicht wie die Frei¬<lb/>
sinnigen lediglich auf die große Masse der städtischen Wähler rechnet. Daß<lb/>
die nativnalliberale Partei diese Wähler auf die Dauer nicht an ihre Fahnen<lb/>
bannen laeni, liegt auf der Hand, denn erstens werden ihr die mit bessern<lb/>
Schlagwörtern arbeitenden demokratischen Parteien den kleinen Bürgerstand<lb/>
wegfangen, und die Arbeiter nimmt die Sozialdemokratie für sich, sodaß schlie߬<lb/>
lich nur das sogenannte gebildete Bürgertum der Städte &#x2014; Offiziere ohne<lb/>
Soldaten &#x2014; übrig bleiben wird. Die nationalliberale Partei ist aber augen¬<lb/>
scheinlich bemüht, den Prozeß des Abfalls der städtischen Wähler noch zu<lb/>
beschleunigen. Der kleine Mittelstand in den Städten besteht vorwiegend aus<lb/>
Handwerkern, und so kommen wir denn zu einem weitern großen Fehler der<lb/>
Nationalliberalen: zu ihrem negativen Verhalten in der Handwerkerfrage. Es<lb/>
unterliegt für uns keinem Zweifel, daß hier die Neste manchesterlicher Ge¬<lb/>
sinnung dem Ansehen der nationalliberalen Partei bei dieser wichtigen Klasse<lb/>
des Bürgertums ganz bedeutend geschadet haben, und wenn hier keine Umkehr<lb/>
erfolgt, noch mehr schaden werden. Dem alten Zauber des Wortes &#x201E;Freiheit,"<lb/>
der auch in der Gewerbefreiheit sein Unwesen treibt, haben sich auch die<lb/>
Nationalliberalen uicht entziehen können, während sie bei dem Worte Innung<lb/>
ein geheimes, ihnen selbst unerklärliches Gruseln empfinden. Es ist höchst<lb/>
merkwürdig: mau spricht so oft von Hebung des Handwerkerstandes, man er¬<lb/>
kennt seine mißliche Lage an, und wenn dann die Handwerker sagen: so ist<lb/>
uns zu helfen, dann steht drohend der Popanz der Gewerbefreiheit hinter den<lb/>
Nationalliberalen und hindert sie daran, anch nur zu prüfen, ob nicht eine<lb/>
Organisation an Stelle der zügellosen Freiheit treten könnte, und ob es nicht<lb/>
ganz gut wäre, wenn jeder, der ein Handwerk selbständig ausübe» will, vor¬<lb/>
her nachweisen müßte, daß er das Handwerk auch versteht, anstatt daß er das<lb/>
Publikum mit schlechter Arbeit bedient und so den Handwerkerstand schädigt,<lb/>
indem er durch seine schlechten Leistungen die fabrikmäßige Herstellung be¬<lb/>
günstigt. Es ist wohl uicht erforderlich, unsern Lesern langatmige Auseinander¬<lb/>
setzungen über die Haudwerkerfrage zu machen, sie sind darüber genau unter¬<lb/>
richtet; aber sie wissen vielleicht nicht, welche üble Wirkung das Verhalten der<lb/>
Nationalliberalen in dieser Angelegenheit ausübt.  Die Nationalliberale Kor-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] Die Fehler der nationalliberalen Partei hauptsächlich die Süddeutschen beteiligten, aber die wenig zahlreichen rechts von der Elbe sitzenden Nntionalliberalen haben sich ihr nachträglich angeschlossen. Trotzdem findet man in einer Reihe von nationalliberalen Blättern, vor allen Dingen in der Nationalzeitung, einen Haß gegen alles „Agrariertum," der einem Eugen Richter Ehre machen könnte. In dieser Beziehung unterscheiden sich die norddeutschen Nationalliberalen durchans nicht von den eingefleischter freisinnigen Manchesterleuten; im Süden dagegen finden wir — um in frei- händlerischer Mundart zu reden — in der nativnalliberalen Partei das aus¬ gebildetste Agrariertum. Die Betonung der landwirtschaftlichen Interessen ist eine unumgängliche Notwendigkeit für jede Partei, die nicht wie die Frei¬ sinnigen lediglich auf die große Masse der städtischen Wähler rechnet. Daß die nativnalliberale Partei diese Wähler auf die Dauer nicht an ihre Fahnen bannen laeni, liegt auf der Hand, denn erstens werden ihr die mit bessern Schlagwörtern arbeitenden demokratischen Parteien den kleinen Bürgerstand wegfangen, und die Arbeiter nimmt die Sozialdemokratie für sich, sodaß schlie߬ lich nur das sogenannte gebildete Bürgertum der Städte — Offiziere ohne Soldaten — übrig bleiben wird. Die nationalliberale Partei ist aber augen¬ scheinlich bemüht, den Prozeß des Abfalls der städtischen Wähler noch zu beschleunigen. Der kleine Mittelstand in den Städten besteht vorwiegend aus Handwerkern, und so kommen wir denn zu einem weitern großen Fehler der Nationalliberalen: zu ihrem negativen Verhalten in der Handwerkerfrage. Es unterliegt für uns keinem Zweifel, daß hier die Neste manchesterlicher Ge¬ sinnung dem Ansehen der nationalliberalen Partei bei dieser wichtigen Klasse des Bürgertums ganz bedeutend geschadet haben, und wenn hier keine Umkehr erfolgt, noch mehr schaden werden. Dem alten Zauber des Wortes „Freiheit," der auch in der Gewerbefreiheit sein Unwesen treibt, haben sich auch die Nationalliberalen uicht entziehen können, während sie bei dem Worte Innung ein geheimes, ihnen selbst unerklärliches Gruseln empfinden. Es ist höchst merkwürdig: mau spricht so oft von Hebung des Handwerkerstandes, man er¬ kennt seine mißliche Lage an, und wenn dann die Handwerker sagen: so ist uns zu helfen, dann steht drohend der Popanz der Gewerbefreiheit hinter den Nationalliberalen und hindert sie daran, anch nur zu prüfen, ob nicht eine Organisation an Stelle der zügellosen Freiheit treten könnte, und ob es nicht ganz gut wäre, wenn jeder, der ein Handwerk selbständig ausübe» will, vor¬ her nachweisen müßte, daß er das Handwerk auch versteht, anstatt daß er das Publikum mit schlechter Arbeit bedient und so den Handwerkerstand schädigt, indem er durch seine schlechten Leistungen die fabrikmäßige Herstellung be¬ günstigt. Es ist wohl uicht erforderlich, unsern Lesern langatmige Auseinander¬ setzungen über die Haudwerkerfrage zu machen, sie sind darüber genau unter¬ richtet; aber sie wissen vielleicht nicht, welche üble Wirkung das Verhalten der Nationalliberalen in dieser Angelegenheit ausübt. Die Nationalliberale Kor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/355>, abgerufen am 03.07.2024.