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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Philosophie vom Übermenschen

dankenzüge des Redners oder Dichters war er allen überlegen. Schon in der
Prima offenbarte sich, daß sein in das Wesen der Dinge dringender Geist und
seine lebhafte Phantasie ihn weit über die Schulziele hinaus fuhren würden.

Einige Züge aus seiner Pförtner Schulzeit, die im Knaben den Vater
des Mannes verraten, darf ich hier wohl anführen. Ich spielte mit ihm in
den ersten Jahren viel vierbändig; nachdem die melodischen Kleinigkeiten ab¬
gethan waren, ruhte er nicht, bis wir, technisch immer noch unfertig, die
Egmoutonvertüre Beethovens und den Trauermarsch aus seiner ^s-cor-Sonate
unsern Klassengenossen geläufig vorspielten; in Oberseknnda brachten wir es
zum Ankauf der vierhändigen "Neunten" und waren thöricht genug, sie dem
Klavier zuzumuten. Sein musikalisches Ideal wies schon damals den Zug
der Heldenverehrung auf. Für Horaz schwärmte er nicht, sein ^ureg-in
Maquis wecliooriwwnr cliligit war ihm fatal und veranlaßte ihn bei unsern
jugendlichen Disputationen zu heftigen Ausfällen; aber dem Dichter des 06i
xrowinm villAN8 vt, arosv könne man sie allenfalls verzeihen, meinte er.
Koberstein, unserm deutschen Lehrer, pries er einmal als seinen Lieblings¬
dichter -- Hölderlin, bei dem Lehrer übrigens ohne Erfolg.

Nach der Schulzeit sind unsre Wege auseinandergegangen. Nietzsche
studirte in Bonn und Leipzig klassische Philologie und erhielt, von dem
damals einflußreichen Ritschl empfohlen, noch ehe er zum Doktor promovirt
worden war, eine Professur der Philologie an der Universität in Basel (1868).
Im deutsch-französischen Kriege unterbrach er seine akademische Thätigkeit und
machte (als Offizier der reitenden Artillerie) den Feldzug mit. "Ich verstehe
mich, schrieb er später in einem Briefe, auf zweierlei Waffen, Säbel und
Kanone, und vielleicht noch auf eine dritte." Bis 1870 lag er dann seinen
Universitätspflichten in Basel ob.

In den ersten Jahren, bis über den Krieg hinaus, erfreute er sich der
Frische seines reichen Geistes. Er wurde, nachdem sich in den engern Schweizer
Kreisen das Urteil über ihn gebildet hatte, viel gefeiert und aufgesucht. Eine
Menge hervorragender Leute, "viel und mancherlei von dem Besten, was
Mischen Paris und Se. Petersburg wächst," trat zu ihm in persönliche Be¬
ziehungen. Mit Jakob Burkhardt. dem Kulturhistoriker, und Richard Wagner.
der damals mit seiner Frau ein Landhaus bei Luzern bewohnte, verbanden
ihn enge Freundschaftsbande. Mit Burkhardt blieb er durch alle Wandlungen
seines Denkens verbunden^ Aber von Wagner, dein er sich anfangs mit
Leib und Seele verschrieben hatte und dessen musikalisches Kuustidcnl an ihm
einen begeisterten Propheten fand, trennte ihn später der katholisirende Zug
im Parsifal; in der Verherrlichung des asketischen Ideals, das Wagner zur
Erniedrigung und Anbetung vor dem Kreuze der mittelalterlichen Kirche zwang,
sah Nietzsche die endgiltigen letztem Kuustziele Wagners, und dies bedeutete
dem nun schon vorgeschritten Mhiker eine Gefahr für die Weltkultur, ein


Grenzbuten IV 1892
Die Philosophie vom Übermenschen

dankenzüge des Redners oder Dichters war er allen überlegen. Schon in der
Prima offenbarte sich, daß sein in das Wesen der Dinge dringender Geist und
seine lebhafte Phantasie ihn weit über die Schulziele hinaus fuhren würden.

Einige Züge aus seiner Pförtner Schulzeit, die im Knaben den Vater
des Mannes verraten, darf ich hier wohl anführen. Ich spielte mit ihm in
den ersten Jahren viel vierbändig; nachdem die melodischen Kleinigkeiten ab¬
gethan waren, ruhte er nicht, bis wir, technisch immer noch unfertig, die
Egmoutonvertüre Beethovens und den Trauermarsch aus seiner ^s-cor-Sonate
unsern Klassengenossen geläufig vorspielten; in Oberseknnda brachten wir es
zum Ankauf der vierhändigen „Neunten" und waren thöricht genug, sie dem
Klavier zuzumuten. Sein musikalisches Ideal wies schon damals den Zug
der Heldenverehrung auf. Für Horaz schwärmte er nicht, sein ^ureg-in
Maquis wecliooriwwnr cliligit war ihm fatal und veranlaßte ihn bei unsern
jugendlichen Disputationen zu heftigen Ausfällen; aber dem Dichter des 06i
xrowinm villAN8 vt, arosv könne man sie allenfalls verzeihen, meinte er.
Koberstein, unserm deutschen Lehrer, pries er einmal als seinen Lieblings¬
dichter — Hölderlin, bei dem Lehrer übrigens ohne Erfolg.

Nach der Schulzeit sind unsre Wege auseinandergegangen. Nietzsche
studirte in Bonn und Leipzig klassische Philologie und erhielt, von dem
damals einflußreichen Ritschl empfohlen, noch ehe er zum Doktor promovirt
worden war, eine Professur der Philologie an der Universität in Basel (1868).
Im deutsch-französischen Kriege unterbrach er seine akademische Thätigkeit und
machte (als Offizier der reitenden Artillerie) den Feldzug mit. „Ich verstehe
mich, schrieb er später in einem Briefe, auf zweierlei Waffen, Säbel und
Kanone, und vielleicht noch auf eine dritte." Bis 1870 lag er dann seinen
Universitätspflichten in Basel ob.

In den ersten Jahren, bis über den Krieg hinaus, erfreute er sich der
Frische seines reichen Geistes. Er wurde, nachdem sich in den engern Schweizer
Kreisen das Urteil über ihn gebildet hatte, viel gefeiert und aufgesucht. Eine
Menge hervorragender Leute, „viel und mancherlei von dem Besten, was
Mischen Paris und Se. Petersburg wächst," trat zu ihm in persönliche Be¬
ziehungen. Mit Jakob Burkhardt. dem Kulturhistoriker, und Richard Wagner.
der damals mit seiner Frau ein Landhaus bei Luzern bewohnte, verbanden
ihn enge Freundschaftsbande. Mit Burkhardt blieb er durch alle Wandlungen
seines Denkens verbunden^ Aber von Wagner, dein er sich anfangs mit
Leib und Seele verschrieben hatte und dessen musikalisches Kuustidcnl an ihm
einen begeisterten Propheten fand, trennte ihn später der katholisirende Zug
im Parsifal; in der Verherrlichung des asketischen Ideals, das Wagner zur
Erniedrigung und Anbetung vor dem Kreuze der mittelalterlichen Kirche zwang,
sah Nietzsche die endgiltigen letztem Kuustziele Wagners, und dies bedeutete
dem nun schon vorgeschritten Mhiker eine Gefahr für die Weltkultur, ein


Grenzbuten IV 1892
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[0033] Die Philosophie vom Übermenschen dankenzüge des Redners oder Dichters war er allen überlegen. Schon in der Prima offenbarte sich, daß sein in das Wesen der Dinge dringender Geist und seine lebhafte Phantasie ihn weit über die Schulziele hinaus fuhren würden. Einige Züge aus seiner Pförtner Schulzeit, die im Knaben den Vater des Mannes verraten, darf ich hier wohl anführen. Ich spielte mit ihm in den ersten Jahren viel vierbändig; nachdem die melodischen Kleinigkeiten ab¬ gethan waren, ruhte er nicht, bis wir, technisch immer noch unfertig, die Egmoutonvertüre Beethovens und den Trauermarsch aus seiner ^s-cor-Sonate unsern Klassengenossen geläufig vorspielten; in Oberseknnda brachten wir es zum Ankauf der vierhändigen „Neunten" und waren thöricht genug, sie dem Klavier zuzumuten. Sein musikalisches Ideal wies schon damals den Zug der Heldenverehrung auf. Für Horaz schwärmte er nicht, sein ^ureg-in Maquis wecliooriwwnr cliligit war ihm fatal und veranlaßte ihn bei unsern jugendlichen Disputationen zu heftigen Ausfällen; aber dem Dichter des 06i xrowinm villAN8 vt, arosv könne man sie allenfalls verzeihen, meinte er. Koberstein, unserm deutschen Lehrer, pries er einmal als seinen Lieblings¬ dichter — Hölderlin, bei dem Lehrer übrigens ohne Erfolg. Nach der Schulzeit sind unsre Wege auseinandergegangen. Nietzsche studirte in Bonn und Leipzig klassische Philologie und erhielt, von dem damals einflußreichen Ritschl empfohlen, noch ehe er zum Doktor promovirt worden war, eine Professur der Philologie an der Universität in Basel (1868). Im deutsch-französischen Kriege unterbrach er seine akademische Thätigkeit und machte (als Offizier der reitenden Artillerie) den Feldzug mit. „Ich verstehe mich, schrieb er später in einem Briefe, auf zweierlei Waffen, Säbel und Kanone, und vielleicht noch auf eine dritte." Bis 1870 lag er dann seinen Universitätspflichten in Basel ob. In den ersten Jahren, bis über den Krieg hinaus, erfreute er sich der Frische seines reichen Geistes. Er wurde, nachdem sich in den engern Schweizer Kreisen das Urteil über ihn gebildet hatte, viel gefeiert und aufgesucht. Eine Menge hervorragender Leute, „viel und mancherlei von dem Besten, was Mischen Paris und Se. Petersburg wächst," trat zu ihm in persönliche Be¬ ziehungen. Mit Jakob Burkhardt. dem Kulturhistoriker, und Richard Wagner. der damals mit seiner Frau ein Landhaus bei Luzern bewohnte, verbanden ihn enge Freundschaftsbande. Mit Burkhardt blieb er durch alle Wandlungen seines Denkens verbunden^ Aber von Wagner, dein er sich anfangs mit Leib und Seele verschrieben hatte und dessen musikalisches Kuustidcnl an ihm einen begeisterten Propheten fand, trennte ihn später der katholisirende Zug im Parsifal; in der Verherrlichung des asketischen Ideals, das Wagner zur Erniedrigung und Anbetung vor dem Kreuze der mittelalterlichen Kirche zwang, sah Nietzsche die endgiltigen letztem Kuustziele Wagners, und dies bedeutete dem nun schon vorgeschritten Mhiker eine Gefahr für die Weltkultur, ein Grenzbuten IV 1892

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/33>, abgerufen am 23.07.2024.