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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Weder Aomimmismus "och Kapitalismus

iisdem dagegen erklären die Ohnmacht der Arbeiter nicht aus dem Mangel
an Unterhaltsmittcln, sondern daraus, daß sie nicht im Besitz der Pro¬
duktionsmittel sind und unter der Herrschaft des Kapitalismus angeblich nie¬
mals in ihren Besitz gelangen können. Vom Boden dieser Begründung aus
gelangen sie dann auch zu viel weitergehenden Forderungen als die Katheder¬
sozialisten. Deal, sagen sie, wenn die Arbeiter auch auf dem Wege der
Koalition einen höhern Lohn zu erzwingen imstande sind, so ist dieser höhere
Lohn immer noch nicht der volle Arbeitsertrag; diesen vermag der Arbeiter
nicht zu erlangen, so lange es eine von den Arbeitern gesonderte Unternehmer¬
klasse giebt, die unter den Bezeichnungen: Grundrente, Kapitalzins und Unter¬
nehmergewinn einen Teil des den Arbeitern gebührenden Arbeitsertrages für
sich vorwegnimmt; das Unternehmertum muß also abgeschafft werden. So
läuft denn Wolfs Untersuchung auf die Beantwortung der Frage hinaus, ob
die Sozialisten oder die Anhänger des Kapitalismus oder die Kathedersozia¬
listen mit ihren Behauptungen Recht haben.

Für uns ergiebt sich eine ganz andre Frage oder vielmehr Gruppe von
Fragen als Hauptgegenstand der Untersuchung. Was zunächst die gerühmte
Klarheit der beiden Interessentengruppen anlangt, so ist sie keineswegs eine
Frucht mühsamer Geistesarbeit, sonder" auf dieselbe leichte Weise gewonnen,
wie in allen Wissenschaften die Doktrinäre, die sich um die ungeheure Mannich-
faltigkeit der Welt nicht kümmern, durch Folgerungen aus einem "Prinzip"
ihre reinlichen, folgerichtigen und durchsichtigen Shsteme aufzubauen verstehen.
Eben in dieser Einfachheit und Reinlichkeit, die durch das Absehen von der
verwirrenden Mannigfaltigkeit des Lebens auf Kosten der Wahrheit gewonnen
wird, liegt der gemeinsame Grundfehler beider Systeme, und eben dadurch
werden die vermittelnden Kathedersozialisten unklar, daß sie der Wahrheit
näher kommen. Aber freilich, die allerfalschefte Annahme der beiden folge¬
richtigen Shsteme haben auch sie sich zu eigen gemacht und so ihre Unter-
suchungen auf dieselbe unhaltbare Grundlage gestellt wie jene beiden.

Alle drei, samt Wolf, nehmen ganz unbefangen an, die gesamte Be¬
völkerung der Kulturstaaten bestehe aus den beiden Klassen der Unternehmer
und der Arbeiter, und alle sozialen und volkswirtschaftlichen Streitigkeiten
drehten sich um die Aufgabe, den Arbeitsertrag zwischen diese beiden Klassen
nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit zu verteilen; sie alle übersehen die drei
Thatsachen, daß erstens jene Scheidung keineswegs allgemein ist, daß demnach
zweitens in vielen Fällen gar keine Verteilung notwendig ist, sondern dein
Arbeiter sein voller Arbeitsertrag unmittelbar zufließt, und daß drittens in
den Fällen, wo eine Verteilung stattfindet, die Ermittelung des gerechten An¬
teils bald leicht, bald schwierig, bald unmöglich ist.

Wolf selbst entnimmt einem Buche des Sozialisten Kautskh folgendes
Beispiel: "Als bei den Indianern noch Bogen und Pfeile allein gebraucht


Weder Aomimmismus »och Kapitalismus

iisdem dagegen erklären die Ohnmacht der Arbeiter nicht aus dem Mangel
an Unterhaltsmittcln, sondern daraus, daß sie nicht im Besitz der Pro¬
duktionsmittel sind und unter der Herrschaft des Kapitalismus angeblich nie¬
mals in ihren Besitz gelangen können. Vom Boden dieser Begründung aus
gelangen sie dann auch zu viel weitergehenden Forderungen als die Katheder¬
sozialisten. Deal, sagen sie, wenn die Arbeiter auch auf dem Wege der
Koalition einen höhern Lohn zu erzwingen imstande sind, so ist dieser höhere
Lohn immer noch nicht der volle Arbeitsertrag; diesen vermag der Arbeiter
nicht zu erlangen, so lange es eine von den Arbeitern gesonderte Unternehmer¬
klasse giebt, die unter den Bezeichnungen: Grundrente, Kapitalzins und Unter¬
nehmergewinn einen Teil des den Arbeitern gebührenden Arbeitsertrages für
sich vorwegnimmt; das Unternehmertum muß also abgeschafft werden. So
läuft denn Wolfs Untersuchung auf die Beantwortung der Frage hinaus, ob
die Sozialisten oder die Anhänger des Kapitalismus oder die Kathedersozia¬
listen mit ihren Behauptungen Recht haben.

Für uns ergiebt sich eine ganz andre Frage oder vielmehr Gruppe von
Fragen als Hauptgegenstand der Untersuchung. Was zunächst die gerühmte
Klarheit der beiden Interessentengruppen anlangt, so ist sie keineswegs eine
Frucht mühsamer Geistesarbeit, sonder» auf dieselbe leichte Weise gewonnen,
wie in allen Wissenschaften die Doktrinäre, die sich um die ungeheure Mannich-
faltigkeit der Welt nicht kümmern, durch Folgerungen aus einem „Prinzip"
ihre reinlichen, folgerichtigen und durchsichtigen Shsteme aufzubauen verstehen.
Eben in dieser Einfachheit und Reinlichkeit, die durch das Absehen von der
verwirrenden Mannigfaltigkeit des Lebens auf Kosten der Wahrheit gewonnen
wird, liegt der gemeinsame Grundfehler beider Systeme, und eben dadurch
werden die vermittelnden Kathedersozialisten unklar, daß sie der Wahrheit
näher kommen. Aber freilich, die allerfalschefte Annahme der beiden folge¬
richtigen Shsteme haben auch sie sich zu eigen gemacht und so ihre Unter-
suchungen auf dieselbe unhaltbare Grundlage gestellt wie jene beiden.

Alle drei, samt Wolf, nehmen ganz unbefangen an, die gesamte Be¬
völkerung der Kulturstaaten bestehe aus den beiden Klassen der Unternehmer
und der Arbeiter, und alle sozialen und volkswirtschaftlichen Streitigkeiten
drehten sich um die Aufgabe, den Arbeitsertrag zwischen diese beiden Klassen
nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit zu verteilen; sie alle übersehen die drei
Thatsachen, daß erstens jene Scheidung keineswegs allgemein ist, daß demnach
zweitens in vielen Fällen gar keine Verteilung notwendig ist, sondern dein
Arbeiter sein voller Arbeitsertrag unmittelbar zufließt, und daß drittens in
den Fällen, wo eine Verteilung stattfindet, die Ermittelung des gerechten An¬
teils bald leicht, bald schwierig, bald unmöglich ist.

Wolf selbst entnimmt einem Buche des Sozialisten Kautskh folgendes
Beispiel: „Als bei den Indianern noch Bogen und Pfeile allein gebraucht


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[0314] Weder Aomimmismus »och Kapitalismus iisdem dagegen erklären die Ohnmacht der Arbeiter nicht aus dem Mangel an Unterhaltsmittcln, sondern daraus, daß sie nicht im Besitz der Pro¬ duktionsmittel sind und unter der Herrschaft des Kapitalismus angeblich nie¬ mals in ihren Besitz gelangen können. Vom Boden dieser Begründung aus gelangen sie dann auch zu viel weitergehenden Forderungen als die Katheder¬ sozialisten. Deal, sagen sie, wenn die Arbeiter auch auf dem Wege der Koalition einen höhern Lohn zu erzwingen imstande sind, so ist dieser höhere Lohn immer noch nicht der volle Arbeitsertrag; diesen vermag der Arbeiter nicht zu erlangen, so lange es eine von den Arbeitern gesonderte Unternehmer¬ klasse giebt, die unter den Bezeichnungen: Grundrente, Kapitalzins und Unter¬ nehmergewinn einen Teil des den Arbeitern gebührenden Arbeitsertrages für sich vorwegnimmt; das Unternehmertum muß also abgeschafft werden. So läuft denn Wolfs Untersuchung auf die Beantwortung der Frage hinaus, ob die Sozialisten oder die Anhänger des Kapitalismus oder die Kathedersozia¬ listen mit ihren Behauptungen Recht haben. Für uns ergiebt sich eine ganz andre Frage oder vielmehr Gruppe von Fragen als Hauptgegenstand der Untersuchung. Was zunächst die gerühmte Klarheit der beiden Interessentengruppen anlangt, so ist sie keineswegs eine Frucht mühsamer Geistesarbeit, sonder» auf dieselbe leichte Weise gewonnen, wie in allen Wissenschaften die Doktrinäre, die sich um die ungeheure Mannich- faltigkeit der Welt nicht kümmern, durch Folgerungen aus einem „Prinzip" ihre reinlichen, folgerichtigen und durchsichtigen Shsteme aufzubauen verstehen. Eben in dieser Einfachheit und Reinlichkeit, die durch das Absehen von der verwirrenden Mannigfaltigkeit des Lebens auf Kosten der Wahrheit gewonnen wird, liegt der gemeinsame Grundfehler beider Systeme, und eben dadurch werden die vermittelnden Kathedersozialisten unklar, daß sie der Wahrheit näher kommen. Aber freilich, die allerfalschefte Annahme der beiden folge¬ richtigen Shsteme haben auch sie sich zu eigen gemacht und so ihre Unter- suchungen auf dieselbe unhaltbare Grundlage gestellt wie jene beiden. Alle drei, samt Wolf, nehmen ganz unbefangen an, die gesamte Be¬ völkerung der Kulturstaaten bestehe aus den beiden Klassen der Unternehmer und der Arbeiter, und alle sozialen und volkswirtschaftlichen Streitigkeiten drehten sich um die Aufgabe, den Arbeitsertrag zwischen diese beiden Klassen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit zu verteilen; sie alle übersehen die drei Thatsachen, daß erstens jene Scheidung keineswegs allgemein ist, daß demnach zweitens in vielen Fällen gar keine Verteilung notwendig ist, sondern dein Arbeiter sein voller Arbeitsertrag unmittelbar zufließt, und daß drittens in den Fällen, wo eine Verteilung stattfindet, die Ermittelung des gerechten An¬ teils bald leicht, bald schwierig, bald unmöglich ist. Wolf selbst entnimmt einem Buche des Sozialisten Kautskh folgendes Beispiel: „Als bei den Indianern noch Bogen und Pfeile allein gebraucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/314>, abgerufen am 22.12.2024.