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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

wurden, kannte jeder Krieger seine Pfeile und hatte keine Schwierigkeit, die
von ihm getöteten Büffel positiv zu erkennen. Diese waren ganz sein indi¬
viduelles Eigentum. Fanden sich aber Pfeile von verschiednen Männern in
demselben toten Büffel, so wurden die Eigentumsausprüche je nach deren Lage
entschieden. Wenn jeder Pfeil eine rötliche Wunde verursachte, so wurde der
Büffel geteilt-" Hier war also das Recht auf den vollen Arbeitsertrag ver¬
wirklicht, und dasselbe geschieht ja noch bis auf den heutigen Tag überall bei
Jagd und Fischfang. Aber nicht bloß der Jäger und der Fischer, sondern
auch der unverschuldete Kleinbauer, der seinen Acker mit Weib und Kindern
selbst bestellt und keiner Lohnarbeiter bedarf, erleidet keinen Abzug. Ihm
allein gehört die ganze Ernte, gehört die Milch seiner Kühe, der Erlös aus
verkauften Vieh, das Fleisch seiner Schweine. Der größere Bauer, der sich
Knechte, Mägde und Tagelöhner hält, muß allerdings schon mit diesen teilen,
oder vom sozialdemokratischen Gesichtspunkte aus betrachtet: sie müssen ihren
Arbeitsertrag mit ihm teilen; allein die Schwierigkeit, die ans dieser Arbeits¬
gemeinschaft herausgediftelt werden könnte, ist rein theoretischer Natur und
hat gar keine praktische Bedeutung. Denn der Bauerknecht hält sich für
genügend belohnt, wenn er satt und gut zu essen hat, und wenn sein Geld¬
lohn für die ortsübliche Kleidung, das ortsübliche Sonntagsvergnügen und
einen Sparpfennig hinreicht. Zwischen ihm und dem Bauer besteht also kein
Streit über die gerechte Teilung. Bei den Arbeitern der Rittergüter, aus die
wir später zu sprechen kommen, verhält sich die Sache allerdings schon anders.
Weil die "klassische Ökonomie" wie der "klassische Svzinlismus" in England
entstanden ist, wo es keinen Bauernstand mehr giebt, so haben die Herren
Gelehrten diesen Stand, der in Deutschland noch vor fünfzig Jahren zwei
Drittel der Bevölkerung ausmachte, und der noch hente in Frankreich und
Deutschland den Kern des Volkes bildet, der Reinlichkeit und Einfachheit ihrer
Systeme zuliebe übersehen und ans einer Frage, die nnr einen Teil der
städtischen und industriellen Bevölkerung angeht, eine allgemeine Frage gemacht.

Nur einen Teil! Auch der kleine Handwerker wird nicht davon berührt.
Sodann giebt es Fälle der Arbeitsteilung, die immer auch Arbeitsgemeinschaft
ist, wo vou Scheidung in Unternehmer und Arbeiter keine Rede sein kann,
und die Teilung des Arbeitsertrages auf dem Wege des Vertrags erfolgt,
ohne daß der eine sich in Gefahr begiebt, vom andern vergewaltigt oder über¬
vorteilt zu werden. So wenn sich Verleger, Schriftsteller und Buchdrucker
zur Herausgabe eines Buches, Maurermeister, Zimmermeister und Schiefer-
deckermeister zum Bau eines Hauses vereinigen. In vielen Gegenden Deutsch¬
lands sind auch die Maurer und Zimmerleute noch keine reinen "Arbeiter,"
die dem Meister als Unternehmer auf Gnade und Ungnade ausgeliefert waren.
In kleinern Städten wenigstens beschäftigen die Meister vielfach Leute von
den umliegenden Dörfern. Diese Leute sind meistens Söhne von Ackerstellen-


Weder Kommunismus noch Kapitalismus

wurden, kannte jeder Krieger seine Pfeile und hatte keine Schwierigkeit, die
von ihm getöteten Büffel positiv zu erkennen. Diese waren ganz sein indi¬
viduelles Eigentum. Fanden sich aber Pfeile von verschiednen Männern in
demselben toten Büffel, so wurden die Eigentumsausprüche je nach deren Lage
entschieden. Wenn jeder Pfeil eine rötliche Wunde verursachte, so wurde der
Büffel geteilt-" Hier war also das Recht auf den vollen Arbeitsertrag ver¬
wirklicht, und dasselbe geschieht ja noch bis auf den heutigen Tag überall bei
Jagd und Fischfang. Aber nicht bloß der Jäger und der Fischer, sondern
auch der unverschuldete Kleinbauer, der seinen Acker mit Weib und Kindern
selbst bestellt und keiner Lohnarbeiter bedarf, erleidet keinen Abzug. Ihm
allein gehört die ganze Ernte, gehört die Milch seiner Kühe, der Erlös aus
verkauften Vieh, das Fleisch seiner Schweine. Der größere Bauer, der sich
Knechte, Mägde und Tagelöhner hält, muß allerdings schon mit diesen teilen,
oder vom sozialdemokratischen Gesichtspunkte aus betrachtet: sie müssen ihren
Arbeitsertrag mit ihm teilen; allein die Schwierigkeit, die ans dieser Arbeits¬
gemeinschaft herausgediftelt werden könnte, ist rein theoretischer Natur und
hat gar keine praktische Bedeutung. Denn der Bauerknecht hält sich für
genügend belohnt, wenn er satt und gut zu essen hat, und wenn sein Geld¬
lohn für die ortsübliche Kleidung, das ortsübliche Sonntagsvergnügen und
einen Sparpfennig hinreicht. Zwischen ihm und dem Bauer besteht also kein
Streit über die gerechte Teilung. Bei den Arbeitern der Rittergüter, aus die
wir später zu sprechen kommen, verhält sich die Sache allerdings schon anders.
Weil die „klassische Ökonomie" wie der „klassische Svzinlismus" in England
entstanden ist, wo es keinen Bauernstand mehr giebt, so haben die Herren
Gelehrten diesen Stand, der in Deutschland noch vor fünfzig Jahren zwei
Drittel der Bevölkerung ausmachte, und der noch hente in Frankreich und
Deutschland den Kern des Volkes bildet, der Reinlichkeit und Einfachheit ihrer
Systeme zuliebe übersehen und ans einer Frage, die nnr einen Teil der
städtischen und industriellen Bevölkerung angeht, eine allgemeine Frage gemacht.

Nur einen Teil! Auch der kleine Handwerker wird nicht davon berührt.
Sodann giebt es Fälle der Arbeitsteilung, die immer auch Arbeitsgemeinschaft
ist, wo vou Scheidung in Unternehmer und Arbeiter keine Rede sein kann,
und die Teilung des Arbeitsertrages auf dem Wege des Vertrags erfolgt,
ohne daß der eine sich in Gefahr begiebt, vom andern vergewaltigt oder über¬
vorteilt zu werden. So wenn sich Verleger, Schriftsteller und Buchdrucker
zur Herausgabe eines Buches, Maurermeister, Zimmermeister und Schiefer-
deckermeister zum Bau eines Hauses vereinigen. In vielen Gegenden Deutsch¬
lands sind auch die Maurer und Zimmerleute noch keine reinen „Arbeiter,"
die dem Meister als Unternehmer auf Gnade und Ungnade ausgeliefert waren.
In kleinern Städten wenigstens beschäftigen die Meister vielfach Leute von
den umliegenden Dörfern. Diese Leute sind meistens Söhne von Ackerstellen-


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[0315] Weder Kommunismus noch Kapitalismus wurden, kannte jeder Krieger seine Pfeile und hatte keine Schwierigkeit, die von ihm getöteten Büffel positiv zu erkennen. Diese waren ganz sein indi¬ viduelles Eigentum. Fanden sich aber Pfeile von verschiednen Männern in demselben toten Büffel, so wurden die Eigentumsausprüche je nach deren Lage entschieden. Wenn jeder Pfeil eine rötliche Wunde verursachte, so wurde der Büffel geteilt-" Hier war also das Recht auf den vollen Arbeitsertrag ver¬ wirklicht, und dasselbe geschieht ja noch bis auf den heutigen Tag überall bei Jagd und Fischfang. Aber nicht bloß der Jäger und der Fischer, sondern auch der unverschuldete Kleinbauer, der seinen Acker mit Weib und Kindern selbst bestellt und keiner Lohnarbeiter bedarf, erleidet keinen Abzug. Ihm allein gehört die ganze Ernte, gehört die Milch seiner Kühe, der Erlös aus verkauften Vieh, das Fleisch seiner Schweine. Der größere Bauer, der sich Knechte, Mägde und Tagelöhner hält, muß allerdings schon mit diesen teilen, oder vom sozialdemokratischen Gesichtspunkte aus betrachtet: sie müssen ihren Arbeitsertrag mit ihm teilen; allein die Schwierigkeit, die ans dieser Arbeits¬ gemeinschaft herausgediftelt werden könnte, ist rein theoretischer Natur und hat gar keine praktische Bedeutung. Denn der Bauerknecht hält sich für genügend belohnt, wenn er satt und gut zu essen hat, und wenn sein Geld¬ lohn für die ortsübliche Kleidung, das ortsübliche Sonntagsvergnügen und einen Sparpfennig hinreicht. Zwischen ihm und dem Bauer besteht also kein Streit über die gerechte Teilung. Bei den Arbeitern der Rittergüter, aus die wir später zu sprechen kommen, verhält sich die Sache allerdings schon anders. Weil die „klassische Ökonomie" wie der „klassische Svzinlismus" in England entstanden ist, wo es keinen Bauernstand mehr giebt, so haben die Herren Gelehrten diesen Stand, der in Deutschland noch vor fünfzig Jahren zwei Drittel der Bevölkerung ausmachte, und der noch hente in Frankreich und Deutschland den Kern des Volkes bildet, der Reinlichkeit und Einfachheit ihrer Systeme zuliebe übersehen und ans einer Frage, die nnr einen Teil der städtischen und industriellen Bevölkerung angeht, eine allgemeine Frage gemacht. Nur einen Teil! Auch der kleine Handwerker wird nicht davon berührt. Sodann giebt es Fälle der Arbeitsteilung, die immer auch Arbeitsgemeinschaft ist, wo vou Scheidung in Unternehmer und Arbeiter keine Rede sein kann, und die Teilung des Arbeitsertrages auf dem Wege des Vertrags erfolgt, ohne daß der eine sich in Gefahr begiebt, vom andern vergewaltigt oder über¬ vorteilt zu werden. So wenn sich Verleger, Schriftsteller und Buchdrucker zur Herausgabe eines Buches, Maurermeister, Zimmermeister und Schiefer- deckermeister zum Bau eines Hauses vereinigen. In vielen Gegenden Deutsch¬ lands sind auch die Maurer und Zimmerleute noch keine reinen „Arbeiter," die dem Meister als Unternehmer auf Gnade und Ungnade ausgeliefert waren. In kleinern Städten wenigstens beschäftigen die Meister vielfach Leute von den umliegenden Dörfern. Diese Leute sind meistens Söhne von Ackerstellen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/315>, abgerufen am 23.07.2024.