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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

entweder sich und seinen Gaul nur an solchen Orten mit Wein erquicke, wo
keine hungernden Witwen und Waisen hcrnmstehn, oder gleichzeitig diese Armen
mit einem Almosen erfreue. Aber geholfen werden kann diesen Armen weder
durch Almosen, noch durch den Verzicht der Reichen auf den Weingenuß,
sondern nur durch Vergrößerung der Flächen, auf denen Roggen gebaut wird.
Nicht daher rührt ihre Not, daß zu viel Wein, sondern daß zu wenig Roggen
im Lande ist; denn entspräche der Roggenvorrat dem Bedarf, dann würde
das Brot so billig sein, daß sich auch die Armen genug davon kaufen könnten,
und Allerärmste, d. h. solche, die keine Arbeit finden und daher gar kein Geld
haben, würde es nicht geben. So wenig also die Armen ihr Brot zu opfern
brauchen, damit sich die großen Geister und die Rennpferde in Wein Lebens¬
mut antrinken können, so wenig brauchen die Reichen ans den Wein zu ver¬
zichten, damit die Armen Brot bekommen.

Um um zu dem Gedankengange Wolff zurückzukehren, so stellt er, um
der unliebsamen Folgerung auszuweichen, zu der er sich gedrängt sah, die
angestellte Untersuchung des Gruudprvblems der sozialen Ethik als ergebnislos
und daher eigentlich überflüssig dar. "Ein absolutes Maß, eine Lösung in
ethischen Dingen giebt es eben nicht. Und noch eine Steigerung mag die
Willkür darin finden jsoll wohl heißen: und noch mehr wird der Spielraum,
den die Willkür des persönlichen Geschmacks bei der Entscheidung solcher
Fragen beansprucht, dadurch vergrößert^, daß, wen" selbst der Streit über
das Ziel, damit immer noch nicht jeuer ^ über das Recht beigelegt wäre. Eine
gewisse Verteilung der Einkommen kann uns dem Ziel der Entwicklung näher
bringen als eine andre. Stellt diese Verteilung das Recht schon dar? HatX,
weil er mit einem Einkommen von einem gewissen Betrage den ihm von
Gesellschafts wegen gestellten Aufgaben am besten entsprechen würde, darum
ein Recht auf dieses Einkommen? Heute muß er sich sein "Recht" ans dem
Markte in Konkurrenz mit andern gegenüber einer vielleicht mißleiteten oder
unverständigen Menge von Käufern zu erkämpfen suchen. Um Extreme heraus¬
zugreifen, denke mau an den Vörsianermillivuür gegenüber einem in seiner
Dachkammer verhungernden Jünger einer "wenig praktischen" Wissenschaft.
Ist die Leistung des letztern nicht vielleicht von Gesellschafts wegen bessern
Rechts als die Leistung jenes? Das Gesetz schützt trotzdem den Millionär,
das Recht ist mit ihm, und ebenso >?j reicht das Recht des verhungernden
Musensohns nicht weiter als die Wand seiner Mansarde."

Wolf verzichtet also darauf, den Inhalt des Rechts auf den vollen Ar¬
beitsertrag aus dem Ziele der Kulturentwicklung zu ermitteln. Er begnügt
sich damit, festzustellen, daß jenes Recht allgemein anerkannt werde, und findet,
daß sich der Streit eigentlich nur darum drehe, ob es schon verwirklicht sei
oder nicht. Die Sozialsten behaupteten, dem Arbeiter allein gebühre der
ganze Arbeitsertrag, ein beträchtlicher Teil davon aber werde ihm vom Unter-


Weder Kommunismus noch Kapitalismus

entweder sich und seinen Gaul nur an solchen Orten mit Wein erquicke, wo
keine hungernden Witwen und Waisen hcrnmstehn, oder gleichzeitig diese Armen
mit einem Almosen erfreue. Aber geholfen werden kann diesen Armen weder
durch Almosen, noch durch den Verzicht der Reichen auf den Weingenuß,
sondern nur durch Vergrößerung der Flächen, auf denen Roggen gebaut wird.
Nicht daher rührt ihre Not, daß zu viel Wein, sondern daß zu wenig Roggen
im Lande ist; denn entspräche der Roggenvorrat dem Bedarf, dann würde
das Brot so billig sein, daß sich auch die Armen genug davon kaufen könnten,
und Allerärmste, d. h. solche, die keine Arbeit finden und daher gar kein Geld
haben, würde es nicht geben. So wenig also die Armen ihr Brot zu opfern
brauchen, damit sich die großen Geister und die Rennpferde in Wein Lebens¬
mut antrinken können, so wenig brauchen die Reichen ans den Wein zu ver¬
zichten, damit die Armen Brot bekommen.

Um um zu dem Gedankengange Wolff zurückzukehren, so stellt er, um
der unliebsamen Folgerung auszuweichen, zu der er sich gedrängt sah, die
angestellte Untersuchung des Gruudprvblems der sozialen Ethik als ergebnislos
und daher eigentlich überflüssig dar. „Ein absolutes Maß, eine Lösung in
ethischen Dingen giebt es eben nicht. Und noch eine Steigerung mag die
Willkür darin finden jsoll wohl heißen: und noch mehr wird der Spielraum,
den die Willkür des persönlichen Geschmacks bei der Entscheidung solcher
Fragen beansprucht, dadurch vergrößert^, daß, wen» selbst der Streit über
das Ziel, damit immer noch nicht jeuer ^ über das Recht beigelegt wäre. Eine
gewisse Verteilung der Einkommen kann uns dem Ziel der Entwicklung näher
bringen als eine andre. Stellt diese Verteilung das Recht schon dar? HatX,
weil er mit einem Einkommen von einem gewissen Betrage den ihm von
Gesellschafts wegen gestellten Aufgaben am besten entsprechen würde, darum
ein Recht auf dieses Einkommen? Heute muß er sich sein »Recht« ans dem
Markte in Konkurrenz mit andern gegenüber einer vielleicht mißleiteten oder
unverständigen Menge von Käufern zu erkämpfen suchen. Um Extreme heraus¬
zugreifen, denke mau an den Vörsianermillivuür gegenüber einem in seiner
Dachkammer verhungernden Jünger einer »wenig praktischen« Wissenschaft.
Ist die Leistung des letztern nicht vielleicht von Gesellschafts wegen bessern
Rechts als die Leistung jenes? Das Gesetz schützt trotzdem den Millionär,
das Recht ist mit ihm, und ebenso >?j reicht das Recht des verhungernden
Musensohns nicht weiter als die Wand seiner Mansarde."

Wolf verzichtet also darauf, den Inhalt des Rechts auf den vollen Ar¬
beitsertrag aus dem Ziele der Kulturentwicklung zu ermitteln. Er begnügt
sich damit, festzustellen, daß jenes Recht allgemein anerkannt werde, und findet,
daß sich der Streit eigentlich nur darum drehe, ob es schon verwirklicht sei
oder nicht. Die Sozialsten behaupteten, dem Arbeiter allein gebühre der
ganze Arbeitsertrag, ein beträchtlicher Teil davon aber werde ihm vom Unter-


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[0312] Weder Kommunismus noch Kapitalismus entweder sich und seinen Gaul nur an solchen Orten mit Wein erquicke, wo keine hungernden Witwen und Waisen hcrnmstehn, oder gleichzeitig diese Armen mit einem Almosen erfreue. Aber geholfen werden kann diesen Armen weder durch Almosen, noch durch den Verzicht der Reichen auf den Weingenuß, sondern nur durch Vergrößerung der Flächen, auf denen Roggen gebaut wird. Nicht daher rührt ihre Not, daß zu viel Wein, sondern daß zu wenig Roggen im Lande ist; denn entspräche der Roggenvorrat dem Bedarf, dann würde das Brot so billig sein, daß sich auch die Armen genug davon kaufen könnten, und Allerärmste, d. h. solche, die keine Arbeit finden und daher gar kein Geld haben, würde es nicht geben. So wenig also die Armen ihr Brot zu opfern brauchen, damit sich die großen Geister und die Rennpferde in Wein Lebens¬ mut antrinken können, so wenig brauchen die Reichen ans den Wein zu ver¬ zichten, damit die Armen Brot bekommen. Um um zu dem Gedankengange Wolff zurückzukehren, so stellt er, um der unliebsamen Folgerung auszuweichen, zu der er sich gedrängt sah, die angestellte Untersuchung des Gruudprvblems der sozialen Ethik als ergebnislos und daher eigentlich überflüssig dar. „Ein absolutes Maß, eine Lösung in ethischen Dingen giebt es eben nicht. Und noch eine Steigerung mag die Willkür darin finden jsoll wohl heißen: und noch mehr wird der Spielraum, den die Willkür des persönlichen Geschmacks bei der Entscheidung solcher Fragen beansprucht, dadurch vergrößert^, daß, wen» selbst der Streit über das Ziel, damit immer noch nicht jeuer ^ über das Recht beigelegt wäre. Eine gewisse Verteilung der Einkommen kann uns dem Ziel der Entwicklung näher bringen als eine andre. Stellt diese Verteilung das Recht schon dar? HatX, weil er mit einem Einkommen von einem gewissen Betrage den ihm von Gesellschafts wegen gestellten Aufgaben am besten entsprechen würde, darum ein Recht auf dieses Einkommen? Heute muß er sich sein »Recht« ans dem Markte in Konkurrenz mit andern gegenüber einer vielleicht mißleiteten oder unverständigen Menge von Käufern zu erkämpfen suchen. Um Extreme heraus¬ zugreifen, denke mau an den Vörsianermillivuür gegenüber einem in seiner Dachkammer verhungernden Jünger einer »wenig praktischen« Wissenschaft. Ist die Leistung des letztern nicht vielleicht von Gesellschafts wegen bessern Rechts als die Leistung jenes? Das Gesetz schützt trotzdem den Millionär, das Recht ist mit ihm, und ebenso >?j reicht das Recht des verhungernden Musensohns nicht weiter als die Wand seiner Mansarde." Wolf verzichtet also darauf, den Inhalt des Rechts auf den vollen Ar¬ beitsertrag aus dem Ziele der Kulturentwicklung zu ermitteln. Er begnügt sich damit, festzustellen, daß jenes Recht allgemein anerkannt werde, und findet, daß sich der Streit eigentlich nur darum drehe, ob es schon verwirklicht sei oder nicht. Die Sozialsten behaupteten, dem Arbeiter allein gebühre der ganze Arbeitsertrag, ein beträchtlicher Teil davon aber werde ihm vom Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/312>, abgerufen am 23.07.2024.