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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

füllen könnten, "Oft und bis zum Überdruß hat mau nachgewiesen, daß ohne
die Anhäufung großer Reichtümer weder die Großindustrie noch die Blüte
der Kunst gedeihen kann. Die Persönlichkeit eines gereiften großen Volkes
kommt nicht zur Durchbildung ohne starke soziale Gegensätze." Darauf hat
Schmoller geantwortet, daß selbst die höchsten Blüten geistigen Lebens zu
ihrer Entfaltung großer Reichtümer nicht bedürften. In der aure^ inoäio-
oriws gediehen sie am besten. "Die größten deutscheu Dichter haben sich vor
hundert Jahren in Weimar, die genialsten deutscheu Maler und Architekten
unsrer Zeit haben sich in dem armen Vaiern, in München versammelt, als
dort sicher noch kein Privatmann eine Million besaß." Wolf schließt sich
dieser Ansicht, die selbstverständlich auch die unsre ist, aus vollem Herzen um.
"Nein, es leidet keinen Zweifel: auf dem Boden mittlern Wohlstandes kann
nicht nur die mittlere Volkskraft reifen, sondern auch deu Ausuahmeerschei-
nuugen. den großen Künstlern und Denkern wird er der günstigste sein.
Existenzbedingung jener, die den Fortschritt "leisten," ist nicht Opferung der
andern---- Der Weg, der zum Glücksziel führt, d. h. zur Bedachtuahme
auf alle oder möglichst viele ^wie ungeschickt ausgedrückt!^, muß das Kulturziel
nicht verfehlen." Er schließt mit einigen Versen aus den "Schutzslehendeu"
des Euripides, in denen ausgeführt wird, daß weder die Reichen noch die
Armen etwas taugen, Zucht und Ordnung nur beim Mittelstande zu finden
sei, unterläßt es aber merkwürdigerweise, aus seinen richtigen Vordersätzen die
allein zulässige Folgerung zu ziehen, daß die Begünstigung des Kapitalismus
und somit auch der Zweck, zu dem er sein Buch geschrieben hat, verwerflich sei.

Aus der von Wolf beleuchteten Polemik Treitschkes Wollen wir doch
noch einen Satz hervorheben als ein Beispiel jener zahlreichen Fälle, wo her¬
vorragende Männer offenbaren, wie wenig sie von wirtschaftlichen Verhältnissen
versteh". Wolf spricht von den "jedes menschliche Gefühl empörenden
Kontrasten der Großstadt," durch die man sich aber in der aristokratischen
Lebensansicht nicht irre machen lassen dürfe, und greift folgenden Satz heraus:
"Dort auf den Tribünen des Rennplatzes drängt sich lachend die geputzte
Menge, drunten wird ein edles Rennpferd durch eine Flasche Wein gestärkt,
und einige Schritte davon bettelt eine arme Frau um Brot für ihre Kinder."
Otto Effertz führt denselben Satz an und fragt, was es Wohl der armen Fran
nutzen könnte, wenn der Gaul den Champagner nicht kriegte? Was sie braucht,
ist nicht Wein, sondern Brot, und da der Roggen an Nebgcländen so wenig
gedeiht wie der Wein auf Noggenacker, so steheu einander die beiden nicht im
Wege, und der Gaul fügt der armen Frau kein Unrecht zu. Es ist demnach
gar keine Herrenmoral nötig, um die Grundlosigkeit der Gewissensbisse ein-
zusehn, die der Weingenuß empfindsamen und mitleidigen Seelen im Hinblick
auf das menschliche Elend erregt. Klugheit und feine Empfindung mögen
also wohl fordern, daß der Reiche den anstößigen Kontrast vermeide und


Weder Kommunismus noch Kapitalismus

füllen könnten, „Oft und bis zum Überdruß hat mau nachgewiesen, daß ohne
die Anhäufung großer Reichtümer weder die Großindustrie noch die Blüte
der Kunst gedeihen kann. Die Persönlichkeit eines gereiften großen Volkes
kommt nicht zur Durchbildung ohne starke soziale Gegensätze." Darauf hat
Schmoller geantwortet, daß selbst die höchsten Blüten geistigen Lebens zu
ihrer Entfaltung großer Reichtümer nicht bedürften. In der aure^ inoäio-
oriws gediehen sie am besten. „Die größten deutscheu Dichter haben sich vor
hundert Jahren in Weimar, die genialsten deutscheu Maler und Architekten
unsrer Zeit haben sich in dem armen Vaiern, in München versammelt, als
dort sicher noch kein Privatmann eine Million besaß." Wolf schließt sich
dieser Ansicht, die selbstverständlich auch die unsre ist, aus vollem Herzen um.
„Nein, es leidet keinen Zweifel: auf dem Boden mittlern Wohlstandes kann
nicht nur die mittlere Volkskraft reifen, sondern auch deu Ausuahmeerschei-
nuugen. den großen Künstlern und Denkern wird er der günstigste sein.
Existenzbedingung jener, die den Fortschritt »leisten,« ist nicht Opferung der
andern---- Der Weg, der zum Glücksziel führt, d. h. zur Bedachtuahme
auf alle oder möglichst viele ^wie ungeschickt ausgedrückt!^, muß das Kulturziel
nicht verfehlen." Er schließt mit einigen Versen aus den „Schutzslehendeu"
des Euripides, in denen ausgeführt wird, daß weder die Reichen noch die
Armen etwas taugen, Zucht und Ordnung nur beim Mittelstande zu finden
sei, unterläßt es aber merkwürdigerweise, aus seinen richtigen Vordersätzen die
allein zulässige Folgerung zu ziehen, daß die Begünstigung des Kapitalismus
und somit auch der Zweck, zu dem er sein Buch geschrieben hat, verwerflich sei.

Aus der von Wolf beleuchteten Polemik Treitschkes Wollen wir doch
noch einen Satz hervorheben als ein Beispiel jener zahlreichen Fälle, wo her¬
vorragende Männer offenbaren, wie wenig sie von wirtschaftlichen Verhältnissen
versteh». Wolf spricht von den „jedes menschliche Gefühl empörenden
Kontrasten der Großstadt," durch die man sich aber in der aristokratischen
Lebensansicht nicht irre machen lassen dürfe, und greift folgenden Satz heraus:
„Dort auf den Tribünen des Rennplatzes drängt sich lachend die geputzte
Menge, drunten wird ein edles Rennpferd durch eine Flasche Wein gestärkt,
und einige Schritte davon bettelt eine arme Frau um Brot für ihre Kinder."
Otto Effertz führt denselben Satz an und fragt, was es Wohl der armen Fran
nutzen könnte, wenn der Gaul den Champagner nicht kriegte? Was sie braucht,
ist nicht Wein, sondern Brot, und da der Roggen an Nebgcländen so wenig
gedeiht wie der Wein auf Noggenacker, so steheu einander die beiden nicht im
Wege, und der Gaul fügt der armen Frau kein Unrecht zu. Es ist demnach
gar keine Herrenmoral nötig, um die Grundlosigkeit der Gewissensbisse ein-
zusehn, die der Weingenuß empfindsamen und mitleidigen Seelen im Hinblick
auf das menschliche Elend erregt. Klugheit und feine Empfindung mögen
also wohl fordern, daß der Reiche den anstößigen Kontrast vermeide und


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[0311] Weder Kommunismus noch Kapitalismus füllen könnten, „Oft und bis zum Überdruß hat mau nachgewiesen, daß ohne die Anhäufung großer Reichtümer weder die Großindustrie noch die Blüte der Kunst gedeihen kann. Die Persönlichkeit eines gereiften großen Volkes kommt nicht zur Durchbildung ohne starke soziale Gegensätze." Darauf hat Schmoller geantwortet, daß selbst die höchsten Blüten geistigen Lebens zu ihrer Entfaltung großer Reichtümer nicht bedürften. In der aure^ inoäio- oriws gediehen sie am besten. „Die größten deutscheu Dichter haben sich vor hundert Jahren in Weimar, die genialsten deutscheu Maler und Architekten unsrer Zeit haben sich in dem armen Vaiern, in München versammelt, als dort sicher noch kein Privatmann eine Million besaß." Wolf schließt sich dieser Ansicht, die selbstverständlich auch die unsre ist, aus vollem Herzen um. „Nein, es leidet keinen Zweifel: auf dem Boden mittlern Wohlstandes kann nicht nur die mittlere Volkskraft reifen, sondern auch deu Ausuahmeerschei- nuugen. den großen Künstlern und Denkern wird er der günstigste sein. Existenzbedingung jener, die den Fortschritt »leisten,« ist nicht Opferung der andern---- Der Weg, der zum Glücksziel führt, d. h. zur Bedachtuahme auf alle oder möglichst viele ^wie ungeschickt ausgedrückt!^, muß das Kulturziel nicht verfehlen." Er schließt mit einigen Versen aus den „Schutzslehendeu" des Euripides, in denen ausgeführt wird, daß weder die Reichen noch die Armen etwas taugen, Zucht und Ordnung nur beim Mittelstande zu finden sei, unterläßt es aber merkwürdigerweise, aus seinen richtigen Vordersätzen die allein zulässige Folgerung zu ziehen, daß die Begünstigung des Kapitalismus und somit auch der Zweck, zu dem er sein Buch geschrieben hat, verwerflich sei. Aus der von Wolf beleuchteten Polemik Treitschkes Wollen wir doch noch einen Satz hervorheben als ein Beispiel jener zahlreichen Fälle, wo her¬ vorragende Männer offenbaren, wie wenig sie von wirtschaftlichen Verhältnissen versteh». Wolf spricht von den „jedes menschliche Gefühl empörenden Kontrasten der Großstadt," durch die man sich aber in der aristokratischen Lebensansicht nicht irre machen lassen dürfe, und greift folgenden Satz heraus: „Dort auf den Tribünen des Rennplatzes drängt sich lachend die geputzte Menge, drunten wird ein edles Rennpferd durch eine Flasche Wein gestärkt, und einige Schritte davon bettelt eine arme Frau um Brot für ihre Kinder." Otto Effertz führt denselben Satz an und fragt, was es Wohl der armen Fran nutzen könnte, wenn der Gaul den Champagner nicht kriegte? Was sie braucht, ist nicht Wein, sondern Brot, und da der Roggen an Nebgcländen so wenig gedeiht wie der Wein auf Noggenacker, so steheu einander die beiden nicht im Wege, und der Gaul fügt der armen Frau kein Unrecht zu. Es ist demnach gar keine Herrenmoral nötig, um die Grundlosigkeit der Gewissensbisse ein- zusehn, die der Weingenuß empfindsamen und mitleidigen Seelen im Hinblick auf das menschliche Elend erregt. Klugheit und feine Empfindung mögen also wohl fordern, daß der Reiche den anstößigen Kontrast vermeide und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/311>, abgerufen am 22.12.2024.