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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ein Baukdepotgesetz

So entsteht von selbst die Frage: Wie ist der Gefahr vorzubeugen, die
dem Bankkunden dadurch erwächst, daß er, in der wohlbegründeten Erwartung,
durch Vermittlung des Bankiers das Eigentum an Effekten zu erwerben,
zwar -- wie sich Jul. Goldschmidt drastisch ausdrückt -- sein dem Bankier
zu diesem Zwecke anvertrautes Geld los wird, aber die dasür erworbnen Effekten
nicht erhält, sei es, weil der Bankier diese zu seinem Nutzen verwendet, sei es,
weil sie ihm aus irgend welchem andern Grunde abhanden gekommen sind?

Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Das in Zeiten wirtschaft¬
licher Krisen immer auftretende Streben, einen "Schuldigen" zu finden, den
man für den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich machen kann, hat wie
gewöhnlich so auch hier auf absonderliche Irrwege geführt. In dem Artikel
376 des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs glaubte man ihn gepackt zu
haben. Ein junger juristischer Schriftsteller, dem seiner eignen Angabe zufolge
eine reiche Erfahrung in der Börsenpraxis zur Seite steht, bläst ins Horn,
und plötzlich vereinigen sich von allen Seiten ärmliche Kurzsichtigkeit und
unreifes Halbwissen, und rufen gemeinsam den Staat zum Kampf auf gegen
eine Einrichtung, die sie nicht begreifen und nicht zu würdigen verstehen, bei
der sie nur die Opfer sehen, aber nicht die Vorteile, die aus der verschlungnen
Kette von Ursachen und Wirkungen hervorleuchten.

Dieser Artikel 376 des Handelsgesetzbuches enthält die bekannte Bestimmung,
die dem Kommissionär gestattet, in das aufgetragne Geschäft selbst als Gegcn-
kontrcchent einzutreten, d. h. die ihm zum Kauf ausgegebnen Waren oder
Effekten selbst als Verkäufer zu liefern oder das zum Verkauf überwiesene Gut
selbst als Käufer zu übernehmen, wenn er nur nachweist, daß er den Börsen¬
oder Marktpreis zur Zeit der Ausführung des Auftrags eingehalten hat. Dies
sogenannte Selbsteintrittsrecht des Kommissionärs ist vom Handelsbrauch von
jeher anerkannt und gefördert worden. Wer es für "unbegreiflich" hält, "wie
diese Bestimmung überhaupt in das Handelsgesetzbuch hineingekommen ist,"
der kennt den Boden der geschichtlichen Thatsachen nicht, der übersieht, daß
in Italien der Selbsteintritt des Kommissionärs bereits am Ende des siebzehnten
Jahrhunderts, in Frankreich und Holland wahrscheinlich noch früher allgemein
ausgebildet und üblich gewesen ist, der vergißt, daß auch in Deutschland längst
vor der Geltung des Handelsgesetzbuches die Selbstlieferung eine ebenso häufig
vorkommende wie nie beanstandete Art der Auftragsausführung gewesen ist,
und daß sich das Handelsgesetzbuch zu den von den Motiven des württem¬
bergischen, des Frankfurter und des preußischen Entwurfs übereinstimmend
betonten Bedürfnissen des Verkehrs und zu den allgemeinen Anschauungen der
Kaufmannswelt hätte in Gegensatz setzen müssen, wenn es unterlassen hätte,
dem Selbsteintritt, der in Baden bereits im Jahre 1809 gesetzliche Anerkennung
gefunden hatte, die Weihe des Gesetzes zu geben.

Was aber beunruhigt denn an dem Artikel 376 so? Mit der allge-


Ein Baukdepotgesetz

So entsteht von selbst die Frage: Wie ist der Gefahr vorzubeugen, die
dem Bankkunden dadurch erwächst, daß er, in der wohlbegründeten Erwartung,
durch Vermittlung des Bankiers das Eigentum an Effekten zu erwerben,
zwar — wie sich Jul. Goldschmidt drastisch ausdrückt — sein dem Bankier
zu diesem Zwecke anvertrautes Geld los wird, aber die dasür erworbnen Effekten
nicht erhält, sei es, weil der Bankier diese zu seinem Nutzen verwendet, sei es,
weil sie ihm aus irgend welchem andern Grunde abhanden gekommen sind?

Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Das in Zeiten wirtschaft¬
licher Krisen immer auftretende Streben, einen „Schuldigen" zu finden, den
man für den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich machen kann, hat wie
gewöhnlich so auch hier auf absonderliche Irrwege geführt. In dem Artikel
376 des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs glaubte man ihn gepackt zu
haben. Ein junger juristischer Schriftsteller, dem seiner eignen Angabe zufolge
eine reiche Erfahrung in der Börsenpraxis zur Seite steht, bläst ins Horn,
und plötzlich vereinigen sich von allen Seiten ärmliche Kurzsichtigkeit und
unreifes Halbwissen, und rufen gemeinsam den Staat zum Kampf auf gegen
eine Einrichtung, die sie nicht begreifen und nicht zu würdigen verstehen, bei
der sie nur die Opfer sehen, aber nicht die Vorteile, die aus der verschlungnen
Kette von Ursachen und Wirkungen hervorleuchten.

Dieser Artikel 376 des Handelsgesetzbuches enthält die bekannte Bestimmung,
die dem Kommissionär gestattet, in das aufgetragne Geschäft selbst als Gegcn-
kontrcchent einzutreten, d. h. die ihm zum Kauf ausgegebnen Waren oder
Effekten selbst als Verkäufer zu liefern oder das zum Verkauf überwiesene Gut
selbst als Käufer zu übernehmen, wenn er nur nachweist, daß er den Börsen¬
oder Marktpreis zur Zeit der Ausführung des Auftrags eingehalten hat. Dies
sogenannte Selbsteintrittsrecht des Kommissionärs ist vom Handelsbrauch von
jeher anerkannt und gefördert worden. Wer es für „unbegreiflich" hält, „wie
diese Bestimmung überhaupt in das Handelsgesetzbuch hineingekommen ist,"
der kennt den Boden der geschichtlichen Thatsachen nicht, der übersieht, daß
in Italien der Selbsteintritt des Kommissionärs bereits am Ende des siebzehnten
Jahrhunderts, in Frankreich und Holland wahrscheinlich noch früher allgemein
ausgebildet und üblich gewesen ist, der vergißt, daß auch in Deutschland längst
vor der Geltung des Handelsgesetzbuches die Selbstlieferung eine ebenso häufig
vorkommende wie nie beanstandete Art der Auftragsausführung gewesen ist,
und daß sich das Handelsgesetzbuch zu den von den Motiven des württem¬
bergischen, des Frankfurter und des preußischen Entwurfs übereinstimmend
betonten Bedürfnissen des Verkehrs und zu den allgemeinen Anschauungen der
Kaufmannswelt hätte in Gegensatz setzen müssen, wenn es unterlassen hätte,
dem Selbsteintritt, der in Baden bereits im Jahre 1809 gesetzliche Anerkennung
gefunden hatte, die Weihe des Gesetzes zu geben.

Was aber beunruhigt denn an dem Artikel 376 so? Mit der allge-


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[0301] Ein Baukdepotgesetz So entsteht von selbst die Frage: Wie ist der Gefahr vorzubeugen, die dem Bankkunden dadurch erwächst, daß er, in der wohlbegründeten Erwartung, durch Vermittlung des Bankiers das Eigentum an Effekten zu erwerben, zwar — wie sich Jul. Goldschmidt drastisch ausdrückt — sein dem Bankier zu diesem Zwecke anvertrautes Geld los wird, aber die dasür erworbnen Effekten nicht erhält, sei es, weil der Bankier diese zu seinem Nutzen verwendet, sei es, weil sie ihm aus irgend welchem andern Grunde abhanden gekommen sind? Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Das in Zeiten wirtschaft¬ licher Krisen immer auftretende Streben, einen „Schuldigen" zu finden, den man für den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich machen kann, hat wie gewöhnlich so auch hier auf absonderliche Irrwege geführt. In dem Artikel 376 des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs glaubte man ihn gepackt zu haben. Ein junger juristischer Schriftsteller, dem seiner eignen Angabe zufolge eine reiche Erfahrung in der Börsenpraxis zur Seite steht, bläst ins Horn, und plötzlich vereinigen sich von allen Seiten ärmliche Kurzsichtigkeit und unreifes Halbwissen, und rufen gemeinsam den Staat zum Kampf auf gegen eine Einrichtung, die sie nicht begreifen und nicht zu würdigen verstehen, bei der sie nur die Opfer sehen, aber nicht die Vorteile, die aus der verschlungnen Kette von Ursachen und Wirkungen hervorleuchten. Dieser Artikel 376 des Handelsgesetzbuches enthält die bekannte Bestimmung, die dem Kommissionär gestattet, in das aufgetragne Geschäft selbst als Gegcn- kontrcchent einzutreten, d. h. die ihm zum Kauf ausgegebnen Waren oder Effekten selbst als Verkäufer zu liefern oder das zum Verkauf überwiesene Gut selbst als Käufer zu übernehmen, wenn er nur nachweist, daß er den Börsen¬ oder Marktpreis zur Zeit der Ausführung des Auftrags eingehalten hat. Dies sogenannte Selbsteintrittsrecht des Kommissionärs ist vom Handelsbrauch von jeher anerkannt und gefördert worden. Wer es für „unbegreiflich" hält, „wie diese Bestimmung überhaupt in das Handelsgesetzbuch hineingekommen ist," der kennt den Boden der geschichtlichen Thatsachen nicht, der übersieht, daß in Italien der Selbsteintritt des Kommissionärs bereits am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, in Frankreich und Holland wahrscheinlich noch früher allgemein ausgebildet und üblich gewesen ist, der vergißt, daß auch in Deutschland längst vor der Geltung des Handelsgesetzbuches die Selbstlieferung eine ebenso häufig vorkommende wie nie beanstandete Art der Auftragsausführung gewesen ist, und daß sich das Handelsgesetzbuch zu den von den Motiven des württem¬ bergischen, des Frankfurter und des preußischen Entwurfs übereinstimmend betonten Bedürfnissen des Verkehrs und zu den allgemeinen Anschauungen der Kaufmannswelt hätte in Gegensatz setzen müssen, wenn es unterlassen hätte, dem Selbsteintritt, der in Baden bereits im Jahre 1809 gesetzliche Anerkennung gefunden hatte, die Weihe des Gesetzes zu geben. Was aber beunruhigt denn an dem Artikel 376 so? Mit der allge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/301>, abgerufen am 23.07.2024.