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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Gin amerikanischer Sozialist

Sehr scharf kritisirt Grvnlund das liberale Staatsideal, das ja freilich,
wie er ausführt, in der Praxis überall aufgegeben ist, worin ein weiterer Be¬
weis für die Richtigkeit der Ansicht liegt, daß die Entwicklung dem Sozialismus
zustrebe; die Staatsgewalt greift täglich weiter um sich, nimmt immer mehr
Lebensgebiete in Beschlag und schränkt den Spielraum der Privatwillkür immer
mehr ein. Aber auch theoretisch ist die Auflösung des öffentlichen Lebens in
lauter Privatverträge und die Herabsetzung des Staats zum Nachtwächter
verwerflich. Eine Gesellschaft von lauter Zuchthäuslern, meint Gronlunv,
würde jener Jdealgesellschaft Herbert Spencers vorzuziehen sein, "wo jeder
seinen Vertrag hält," und es heiße den Staat aufs schmachvollste herabwür¬
digen, wenn man ihm nur noch das Amt lasse, den Raub der Vcmderbuilt
und Spießgesellen zu bewachen. Vielmehr habe der Staat, als die organi-
sirte Gesellschaft, alle Lebensverhältnisse zu ordnen, zu beherrschen, zu durch¬
dringen. Die erbärmlichen politischen Zustünde der Vereinigten Staaten, die
Frechheit und Gemeinheit der Parteien, die Unvernunft der Nepmsentativ-
verfassung und die Unfähigkeit der Regierung werden nach Gebühr gegeißelt.

Es sei eine lächerliche Einbildung unsrer Reichen, meint Gronlund weiter,
daß das gegenwärtige Eigentumsrecht in alle Ewigkeit bestehen bleiben müsse,
weil es gerade ihnen so paßt, daß es auf einem göttlichen oder auf einem
Naturgesetze, oder Gott weiß auf welchem "unabänderlichen Gesetze der Weder
und Perser" (Esther 1,19) beruhe. Ein unumschränktes Eigentumsrecht gebe
es nicht und habe es nie gegeben. Jedes Recht fließe aus dem Staate, und
dieser habe die Formen des Rechts zu bestimmen und sie durch zweckmäßige
Änderungen den wechselnden Verhältnissen und Bedürfnissen anzupassen. Wenn
eine gewisse Form des Eigentums den geänderten Prvduktivnsverhültnisfen
nicht mehr entspreche, müsse sie eben aufgehoben und durch eine andre ersetzt
werden. Das sei denn bekanntlich schon oft genug geschehen, werde auch mit
dem gegenwärtigen Kapitaleigentum ganz gewiß geschehen, und Proteste würden
den expropriirten Kapitalisten so wenig nützen, wie solche bisher dem Papste,
der säkularisirten Geistlichkeit und den ihrer Feudalrechte beraubten Adelichen
genützt haben. Eine Entschädigungspflicht habe der Staat streng genommen
nicht gegen die zu expropriirenden. Wenn eine neue Maschine etliche tausend
oder hunderttausend Arbeiter nicht etwa des Überflüssigem, sondern der Existenz
beraubt und sie hilflos aufs Pflaster setzt, so denke kein Mensch daran, sie
zu entschädigen, ganz zu schweigen von solchen Füllen, wo ein ganzes Volk,
wie die Jrlünder, von einem andern Volke seines Heimatbvdens beraubt werde,
ohne daß ihm die geringste Entschädigung zu teil würde. Doch könne man
Großmut und Billigkeit walten lassen und die Herren entschädigen. Selbst-
verstündlich nicht mit einem "Kapital," das giebts ja eben nicht mehr; sondern
in der Weise, daß man ihnen bis an ihr Lebensende alle Genüsse und allen
Luxus gewährt, woran sie gewöhnt sind, oder die sie sich mit ihren Einkünften


Gin amerikanischer Sozialist

Sehr scharf kritisirt Grvnlund das liberale Staatsideal, das ja freilich,
wie er ausführt, in der Praxis überall aufgegeben ist, worin ein weiterer Be¬
weis für die Richtigkeit der Ansicht liegt, daß die Entwicklung dem Sozialismus
zustrebe; die Staatsgewalt greift täglich weiter um sich, nimmt immer mehr
Lebensgebiete in Beschlag und schränkt den Spielraum der Privatwillkür immer
mehr ein. Aber auch theoretisch ist die Auflösung des öffentlichen Lebens in
lauter Privatverträge und die Herabsetzung des Staats zum Nachtwächter
verwerflich. Eine Gesellschaft von lauter Zuchthäuslern, meint Gronlunv,
würde jener Jdealgesellschaft Herbert Spencers vorzuziehen sein, „wo jeder
seinen Vertrag hält," und es heiße den Staat aufs schmachvollste herabwür¬
digen, wenn man ihm nur noch das Amt lasse, den Raub der Vcmderbuilt
und Spießgesellen zu bewachen. Vielmehr habe der Staat, als die organi-
sirte Gesellschaft, alle Lebensverhältnisse zu ordnen, zu beherrschen, zu durch¬
dringen. Die erbärmlichen politischen Zustünde der Vereinigten Staaten, die
Frechheit und Gemeinheit der Parteien, die Unvernunft der Nepmsentativ-
verfassung und die Unfähigkeit der Regierung werden nach Gebühr gegeißelt.

Es sei eine lächerliche Einbildung unsrer Reichen, meint Gronlund weiter,
daß das gegenwärtige Eigentumsrecht in alle Ewigkeit bestehen bleiben müsse,
weil es gerade ihnen so paßt, daß es auf einem göttlichen oder auf einem
Naturgesetze, oder Gott weiß auf welchem „unabänderlichen Gesetze der Weder
und Perser" (Esther 1,19) beruhe. Ein unumschränktes Eigentumsrecht gebe
es nicht und habe es nie gegeben. Jedes Recht fließe aus dem Staate, und
dieser habe die Formen des Rechts zu bestimmen und sie durch zweckmäßige
Änderungen den wechselnden Verhältnissen und Bedürfnissen anzupassen. Wenn
eine gewisse Form des Eigentums den geänderten Prvduktivnsverhültnisfen
nicht mehr entspreche, müsse sie eben aufgehoben und durch eine andre ersetzt
werden. Das sei denn bekanntlich schon oft genug geschehen, werde auch mit
dem gegenwärtigen Kapitaleigentum ganz gewiß geschehen, und Proteste würden
den expropriirten Kapitalisten so wenig nützen, wie solche bisher dem Papste,
der säkularisirten Geistlichkeit und den ihrer Feudalrechte beraubten Adelichen
genützt haben. Eine Entschädigungspflicht habe der Staat streng genommen
nicht gegen die zu expropriirenden. Wenn eine neue Maschine etliche tausend
oder hunderttausend Arbeiter nicht etwa des Überflüssigem, sondern der Existenz
beraubt und sie hilflos aufs Pflaster setzt, so denke kein Mensch daran, sie
zu entschädigen, ganz zu schweigen von solchen Füllen, wo ein ganzes Volk,
wie die Jrlünder, von einem andern Volke seines Heimatbvdens beraubt werde,
ohne daß ihm die geringste Entschädigung zu teil würde. Doch könne man
Großmut und Billigkeit walten lassen und die Herren entschädigen. Selbst-
verstündlich nicht mit einem „Kapital," das giebts ja eben nicht mehr; sondern
in der Weise, daß man ihnen bis an ihr Lebensende alle Genüsse und allen
Luxus gewährt, woran sie gewöhnt sind, oder die sie sich mit ihren Einkünften


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[0028] Gin amerikanischer Sozialist Sehr scharf kritisirt Grvnlund das liberale Staatsideal, das ja freilich, wie er ausführt, in der Praxis überall aufgegeben ist, worin ein weiterer Be¬ weis für die Richtigkeit der Ansicht liegt, daß die Entwicklung dem Sozialismus zustrebe; die Staatsgewalt greift täglich weiter um sich, nimmt immer mehr Lebensgebiete in Beschlag und schränkt den Spielraum der Privatwillkür immer mehr ein. Aber auch theoretisch ist die Auflösung des öffentlichen Lebens in lauter Privatverträge und die Herabsetzung des Staats zum Nachtwächter verwerflich. Eine Gesellschaft von lauter Zuchthäuslern, meint Gronlunv, würde jener Jdealgesellschaft Herbert Spencers vorzuziehen sein, „wo jeder seinen Vertrag hält," und es heiße den Staat aufs schmachvollste herabwür¬ digen, wenn man ihm nur noch das Amt lasse, den Raub der Vcmderbuilt und Spießgesellen zu bewachen. Vielmehr habe der Staat, als die organi- sirte Gesellschaft, alle Lebensverhältnisse zu ordnen, zu beherrschen, zu durch¬ dringen. Die erbärmlichen politischen Zustünde der Vereinigten Staaten, die Frechheit und Gemeinheit der Parteien, die Unvernunft der Nepmsentativ- verfassung und die Unfähigkeit der Regierung werden nach Gebühr gegeißelt. Es sei eine lächerliche Einbildung unsrer Reichen, meint Gronlund weiter, daß das gegenwärtige Eigentumsrecht in alle Ewigkeit bestehen bleiben müsse, weil es gerade ihnen so paßt, daß es auf einem göttlichen oder auf einem Naturgesetze, oder Gott weiß auf welchem „unabänderlichen Gesetze der Weder und Perser" (Esther 1,19) beruhe. Ein unumschränktes Eigentumsrecht gebe es nicht und habe es nie gegeben. Jedes Recht fließe aus dem Staate, und dieser habe die Formen des Rechts zu bestimmen und sie durch zweckmäßige Änderungen den wechselnden Verhältnissen und Bedürfnissen anzupassen. Wenn eine gewisse Form des Eigentums den geänderten Prvduktivnsverhültnisfen nicht mehr entspreche, müsse sie eben aufgehoben und durch eine andre ersetzt werden. Das sei denn bekanntlich schon oft genug geschehen, werde auch mit dem gegenwärtigen Kapitaleigentum ganz gewiß geschehen, und Proteste würden den expropriirten Kapitalisten so wenig nützen, wie solche bisher dem Papste, der säkularisirten Geistlichkeit und den ihrer Feudalrechte beraubten Adelichen genützt haben. Eine Entschädigungspflicht habe der Staat streng genommen nicht gegen die zu expropriirenden. Wenn eine neue Maschine etliche tausend oder hunderttausend Arbeiter nicht etwa des Überflüssigem, sondern der Existenz beraubt und sie hilflos aufs Pflaster setzt, so denke kein Mensch daran, sie zu entschädigen, ganz zu schweigen von solchen Füllen, wo ein ganzes Volk, wie die Jrlünder, von einem andern Volke seines Heimatbvdens beraubt werde, ohne daß ihm die geringste Entschädigung zu teil würde. Doch könne man Großmut und Billigkeit walten lassen und die Herren entschädigen. Selbst- verstündlich nicht mit einem „Kapital," das giebts ja eben nicht mehr; sondern in der Weise, daß man ihnen bis an ihr Lebensende alle Genüsse und allen Luxus gewährt, woran sie gewöhnt sind, oder die sie sich mit ihren Einkünften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/28>, abgerufen am 23.07.2024.