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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universitcitsleben

Mitgliedern gestellt worden, von denen mein wußte, daß sie in der Praxis
am wüstesten lebten. Aber "immer anständig!" war ihr Wahlspruch; vol-i
M kalt, mÄis ne M M Für jede ungeschickt vvrgetragne Zweideutigkeit
"Ulßte ein Groschen in eine Kasse gezahlt werden, die mitten auf dem Tische
stand und alle Monate einmal in Champagner vertrunken wurde. So wahrte
man die Form des Anstands. Einige jedoch, denen diese Groschenwirtschast
zu langweilig war, kauften sich jeden Monat durch eine Zahlung von zehn
Mark frei, und die brauchten sich dann keinen Zwang aufzuerlegen.

Die meisten Geschichten drehten sich natürlich um das Ewig-Weibliche.
^l"f diesem Gebiete wurde jede neue Anekdote immer dankbar, mit vornehm
näselndem Gelächter aufgenommen. Heute kam man in Knorres Anwesenheit
'Ulf die Frauenfrage zu sprechen, und ein junger Jurist behandelte sie und
demselben souveränen, von Sachkenntnis nicht getrübten Urteil, als hätte er
den Wasserlauf eines großen Stromes zu reguliren oder die kirchlichen Ver¬
hältnisse einer Provinz umzugestalten.

Zum erstenmale fühlte sich Professor Knorre in dieser Gesellschaft unbe¬
haglich. Er wurde den Gedanken an das einsame Mädchen nicht los. Er
zeigte keinen rechten Appetit, vergaß auch, der Wirtin seine Vorlesung über
die Mayonnaise zu halten. Die lockern Witze waren ihm sonst nicht unan¬
genehm gewesen, aber heute war ihm alles widerwärtig, und als ein pen-
sionirter Major den Unterschied zwischen einem Gestüt und einer Frauen¬
universität erklärte, stand Knorre unwillig aus und ging fort.

Am nächsten Tage fehlten in seinem Kolleg die Hospitantinnen. Nur
Fräulein Luise Schmidt saß auf ihrem alten Platz und schrieb alles emsig
"ach. was Knorre vortrug. Er sprach nicht mit derselben Schärfe und Leb¬
haftigkeit, wie am Tage zuvor, aber doch noch polternd genug, sodaß auch
die verkatertsten Studenten nicht stumpfsinnig hindämmern konnten. Häufig
blickte er nach Luise hinüber. Die Ärmste sah blaß aus. kränklich, niederge¬
drückt. Ihre Augen waren matt und etwas eingesunken, um den Mund lag
ein Zug schmerzlicher Entmutigung.

Knorre bemerkte das alles. Er wurde unruhig. zerstreut und nahm mehr
"is sonst zu seinem Kollegienhefte seine Zuflucht. Aber während er vorlas,
schweiften feine Gedanken doch wo anders hin: sie waren und der Szene
beschäftigt, die sich gestern zwischen ihm und dem Mädchen abgespielt hatte.
Er mußte an ihre traurigen Lebensschicksale denken, die sie ihm so rückhaltlos
anvertraut hatte. Wie mutig, wie schaffensfreudig und zukunftsfroh hatte sie
"och in der vorigen Stunde dreingeschaut, und wie müde, verzagt und getunkt
W) sie jetzt nach ihrer Unterredung aus! Ihm war es. als hätte er an dem
en'samen. verlassenen Mädchen ein bittres Unrecht begangen, und der Gedanke
daran schnürte ihm so die Kehle zusammen, daß er sich ein paarmal räuspern
und krampfhaft schlucken mußte. Dann machte er sich Luft mit einem derben


Bilder aus dem Universitcitsleben

Mitgliedern gestellt worden, von denen mein wußte, daß sie in der Praxis
am wüstesten lebten. Aber „immer anständig!" war ihr Wahlspruch; vol-i
M kalt, mÄis ne M M Für jede ungeschickt vvrgetragne Zweideutigkeit
»Ulßte ein Groschen in eine Kasse gezahlt werden, die mitten auf dem Tische
stand und alle Monate einmal in Champagner vertrunken wurde. So wahrte
man die Form des Anstands. Einige jedoch, denen diese Groschenwirtschast
zu langweilig war, kauften sich jeden Monat durch eine Zahlung von zehn
Mark frei, und die brauchten sich dann keinen Zwang aufzuerlegen.

Die meisten Geschichten drehten sich natürlich um das Ewig-Weibliche.
^l»f diesem Gebiete wurde jede neue Anekdote immer dankbar, mit vornehm
näselndem Gelächter aufgenommen. Heute kam man in Knorres Anwesenheit
'Ulf die Frauenfrage zu sprechen, und ein junger Jurist behandelte sie und
demselben souveränen, von Sachkenntnis nicht getrübten Urteil, als hätte er
den Wasserlauf eines großen Stromes zu reguliren oder die kirchlichen Ver¬
hältnisse einer Provinz umzugestalten.

Zum erstenmale fühlte sich Professor Knorre in dieser Gesellschaft unbe¬
haglich. Er wurde den Gedanken an das einsame Mädchen nicht los. Er
zeigte keinen rechten Appetit, vergaß auch, der Wirtin seine Vorlesung über
die Mayonnaise zu halten. Die lockern Witze waren ihm sonst nicht unan¬
genehm gewesen, aber heute war ihm alles widerwärtig, und als ein pen-
sionirter Major den Unterschied zwischen einem Gestüt und einer Frauen¬
universität erklärte, stand Knorre unwillig aus und ging fort.

Am nächsten Tage fehlten in seinem Kolleg die Hospitantinnen. Nur
Fräulein Luise Schmidt saß auf ihrem alten Platz und schrieb alles emsig
"ach. was Knorre vortrug. Er sprach nicht mit derselben Schärfe und Leb¬
haftigkeit, wie am Tage zuvor, aber doch noch polternd genug, sodaß auch
die verkatertsten Studenten nicht stumpfsinnig hindämmern konnten. Häufig
blickte er nach Luise hinüber. Die Ärmste sah blaß aus. kränklich, niederge¬
drückt. Ihre Augen waren matt und etwas eingesunken, um den Mund lag
ein Zug schmerzlicher Entmutigung.

Knorre bemerkte das alles. Er wurde unruhig. zerstreut und nahm mehr
"is sonst zu seinem Kollegienhefte seine Zuflucht. Aber während er vorlas,
schweiften feine Gedanken doch wo anders hin: sie waren und der Szene
beschäftigt, die sich gestern zwischen ihm und dem Mädchen abgespielt hatte.
Er mußte an ihre traurigen Lebensschicksale denken, die sie ihm so rückhaltlos
anvertraut hatte. Wie mutig, wie schaffensfreudig und zukunftsfroh hatte sie
«och in der vorigen Stunde dreingeschaut, und wie müde, verzagt und getunkt
W) sie jetzt nach ihrer Unterredung aus! Ihm war es. als hätte er an dem
en'samen. verlassenen Mädchen ein bittres Unrecht begangen, und der Gedanke
daran schnürte ihm so die Kehle zusammen, daß er sich ein paarmal räuspern
und krampfhaft schlucken mußte. Dann machte er sich Luft mit einem derben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/191>, abgerufen am 29.06.2024.