Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder aus dem Universitätsleben

werter? Glauben Sie mir, auch das ist undankbarer als Gänsehütcn und
Steineklopfer. Lehrer sein heißt, sich täglich stundenlang der Beobachtung
und Kritik von mindestens sechzig frischen Angen und sechzig scharfen Ohren
aussetzen. Schon das auf die Dauer zu ertragen, dazu gehören die Nerven
eines Nilpferdes, und die, mein Fräulein, holen Sie sich nicht durch wissen¬
schaftliche Studien. Denn nnr auf Kosten des kleinen Gehirns, d. h. der
Nerven, kann eine Frau ihr großes Gehirn ausbilden und verwerten. Sie
haben von unsern Müttern eine schlechte Meinung, und da gebe ich Ihnen
ganz Recht. Daß wir jetzt eine so grundsatzlose, genußsüchtige, frühreife
Jugend haben, männliche wie weibliche, ist Schuld der deutschen Mütter.
Versuchen Sie es in der Schule, den Kampf gegen diese Mütter aufzunehmen,
so wird es Ihnen gehen, wie dem alten Helden mit der lernäischen Schlange.
Täuschen Sie sich nicht, ich sage Ihnen, es dauert nicht zehn Jahre, und Sie
sind als Lehrerin fertig mit Ihren Nerven, mit Ihrer Spannkraft, womöglich
mit Ihrem Gehirn. Der Weg durch unsre modernen Lehrerinnenseminare
führt ins Irrenhaus! Sehen Sie sich mal an, wer alles drin sitzt. Und
da wollen Sie den Prozeß noch beschleunigen durch wissenschaftliche Studien?
Das ist ja, als führe ein Zug mit vollem Dampf auf ein totes Geleise. Das
giebt allemal eine Katastrophe.

Aber was soll ich denn nur anfangen. Herr Professor? fragte Luise
etwas kleinlaut. Was soll ich denn studiren?

Hier, rief der Professor und schleuderte das Kochbuch auf den Tisch,
das studiren Sie!

Luise warf einen Blick hinein, dann wurde sie über und über rot, biß
sich auf die Unterlippe und stand schnell auf. Wenn das Ihr ganzer Rat
ist, dann habe ich bei Ihnen nichts mehr zu suchen. Damit verließ sie das
Zimmer, ohne den Professor weiter anzusehn.

Knorre schritt eine Weile auf und ab , dann rief er Franz, er möge ihm
den Rock bringen. Er zog sich an und ging nach dem Hotel zum Mittags¬
tisch. Aber auf der Promenade blieb er heute nicht bloß einmal, sonder"
dreimal stehn, und jedesmal stieß er den Stock mit größerer Heftigkeit als
sonst auf die Erde.

Der ganze Stammtisch im Hotel saß voll Junggesellen : Lehrern, Ärzten,
Juristen und penstonirten Offizieren. Den meisten, namentlich den jungen
Herren, sah man an, daß sie ihre Jugendjahre standesgemäß verlebt hatten.
Die kahle Platte war vorherrschend, und der Gesichtsciusdruck zeigte bei allen
einen Zug unverkennbarer Selbstzufriedenheit und einer gewissen Übersättigung
oder angenehmen Erschlaffung.

Fachsimpelei und Politisiren waren bei Tische streng verpönt. Man
liebte pikante Geschichten, die Pointen durften aber nur angedeutet werden --
diese sehr sittlich aussehende Forderung war seltsamerweise gerade von den


Bilder aus dem Universitätsleben

werter? Glauben Sie mir, auch das ist undankbarer als Gänsehütcn und
Steineklopfer. Lehrer sein heißt, sich täglich stundenlang der Beobachtung
und Kritik von mindestens sechzig frischen Angen und sechzig scharfen Ohren
aussetzen. Schon das auf die Dauer zu ertragen, dazu gehören die Nerven
eines Nilpferdes, und die, mein Fräulein, holen Sie sich nicht durch wissen¬
schaftliche Studien. Denn nnr auf Kosten des kleinen Gehirns, d. h. der
Nerven, kann eine Frau ihr großes Gehirn ausbilden und verwerten. Sie
haben von unsern Müttern eine schlechte Meinung, und da gebe ich Ihnen
ganz Recht. Daß wir jetzt eine so grundsatzlose, genußsüchtige, frühreife
Jugend haben, männliche wie weibliche, ist Schuld der deutschen Mütter.
Versuchen Sie es in der Schule, den Kampf gegen diese Mütter aufzunehmen,
so wird es Ihnen gehen, wie dem alten Helden mit der lernäischen Schlange.
Täuschen Sie sich nicht, ich sage Ihnen, es dauert nicht zehn Jahre, und Sie
sind als Lehrerin fertig mit Ihren Nerven, mit Ihrer Spannkraft, womöglich
mit Ihrem Gehirn. Der Weg durch unsre modernen Lehrerinnenseminare
führt ins Irrenhaus! Sehen Sie sich mal an, wer alles drin sitzt. Und
da wollen Sie den Prozeß noch beschleunigen durch wissenschaftliche Studien?
Das ist ja, als führe ein Zug mit vollem Dampf auf ein totes Geleise. Das
giebt allemal eine Katastrophe.

Aber was soll ich denn nur anfangen. Herr Professor? fragte Luise
etwas kleinlaut. Was soll ich denn studiren?

Hier, rief der Professor und schleuderte das Kochbuch auf den Tisch,
das studiren Sie!

Luise warf einen Blick hinein, dann wurde sie über und über rot, biß
sich auf die Unterlippe und stand schnell auf. Wenn das Ihr ganzer Rat
ist, dann habe ich bei Ihnen nichts mehr zu suchen. Damit verließ sie das
Zimmer, ohne den Professor weiter anzusehn.

Knorre schritt eine Weile auf und ab , dann rief er Franz, er möge ihm
den Rock bringen. Er zog sich an und ging nach dem Hotel zum Mittags¬
tisch. Aber auf der Promenade blieb er heute nicht bloß einmal, sonder»
dreimal stehn, und jedesmal stieß er den Stock mit größerer Heftigkeit als
sonst auf die Erde.

Der ganze Stammtisch im Hotel saß voll Junggesellen : Lehrern, Ärzten,
Juristen und penstonirten Offizieren. Den meisten, namentlich den jungen
Herren, sah man an, daß sie ihre Jugendjahre standesgemäß verlebt hatten.
Die kahle Platte war vorherrschend, und der Gesichtsciusdruck zeigte bei allen
einen Zug unverkennbarer Selbstzufriedenheit und einer gewissen Übersättigung
oder angenehmen Erschlaffung.

Fachsimpelei und Politisiren waren bei Tische streng verpönt. Man
liebte pikante Geschichten, die Pointen durften aber nur angedeutet werden —
diese sehr sittlich aussehende Forderung war seltsamerweise gerade von den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213304"/>
          <fw type="header" place="top"> Bilder aus dem Universitätsleben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_548" prev="#ID_547"> werter? Glauben Sie mir, auch das ist undankbarer als Gänsehütcn und<lb/>
Steineklopfer. Lehrer sein heißt, sich täglich stundenlang der Beobachtung<lb/>
und Kritik von mindestens sechzig frischen Angen und sechzig scharfen Ohren<lb/>
aussetzen. Schon das auf die Dauer zu ertragen, dazu gehören die Nerven<lb/>
eines Nilpferdes, und die, mein Fräulein, holen Sie sich nicht durch wissen¬<lb/>
schaftliche Studien. Denn nnr auf Kosten des kleinen Gehirns, d. h. der<lb/>
Nerven, kann eine Frau ihr großes Gehirn ausbilden und verwerten. Sie<lb/>
haben von unsern Müttern eine schlechte Meinung, und da gebe ich Ihnen<lb/>
ganz Recht. Daß wir jetzt eine so grundsatzlose, genußsüchtige, frühreife<lb/>
Jugend haben, männliche wie weibliche, ist Schuld der deutschen Mütter.<lb/>
Versuchen Sie es in der Schule, den Kampf gegen diese Mütter aufzunehmen,<lb/>
so wird es Ihnen gehen, wie dem alten Helden mit der lernäischen Schlange.<lb/>
Täuschen Sie sich nicht, ich sage Ihnen, es dauert nicht zehn Jahre, und Sie<lb/>
sind als Lehrerin fertig mit Ihren Nerven, mit Ihrer Spannkraft, womöglich<lb/>
mit Ihrem Gehirn. Der Weg durch unsre modernen Lehrerinnenseminare<lb/>
führt ins Irrenhaus! Sehen Sie sich mal an, wer alles drin sitzt. Und<lb/>
da wollen Sie den Prozeß noch beschleunigen durch wissenschaftliche Studien?<lb/>
Das ist ja, als führe ein Zug mit vollem Dampf auf ein totes Geleise. Das<lb/>
giebt allemal eine Katastrophe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_549"> Aber was soll ich denn nur anfangen. Herr Professor? fragte Luise<lb/>
etwas kleinlaut.  Was soll ich denn studiren?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_550"> Hier, rief der Professor und schleuderte das Kochbuch auf den Tisch,<lb/>
das studiren Sie!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_551"> Luise warf einen Blick hinein, dann wurde sie über und über rot, biß<lb/>
sich auf die Unterlippe und stand schnell auf. Wenn das Ihr ganzer Rat<lb/>
ist, dann habe ich bei Ihnen nichts mehr zu suchen. Damit verließ sie das<lb/>
Zimmer, ohne den Professor weiter anzusehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_552"> Knorre schritt eine Weile auf und ab , dann rief er Franz, er möge ihm<lb/>
den Rock bringen. Er zog sich an und ging nach dem Hotel zum Mittags¬<lb/>
tisch. Aber auf der Promenade blieb er heute nicht bloß einmal, sonder»<lb/>
dreimal stehn, und jedesmal stieß er den Stock mit größerer Heftigkeit als<lb/>
sonst auf die Erde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_553"> Der ganze Stammtisch im Hotel saß voll Junggesellen : Lehrern, Ärzten,<lb/>
Juristen und penstonirten Offizieren. Den meisten, namentlich den jungen<lb/>
Herren, sah man an, daß sie ihre Jugendjahre standesgemäß verlebt hatten.<lb/>
Die kahle Platte war vorherrschend, und der Gesichtsciusdruck zeigte bei allen<lb/>
einen Zug unverkennbarer Selbstzufriedenheit und einer gewissen Übersättigung<lb/>
oder angenehmen Erschlaffung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_554" next="#ID_555"> Fachsimpelei und Politisiren waren bei Tische streng verpönt. Man<lb/>
liebte pikante Geschichten, die Pointen durften aber nur angedeutet werden &#x2014;<lb/>
diese sehr sittlich aussehende Forderung war seltsamerweise gerade von den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Bilder aus dem Universitätsleben werter? Glauben Sie mir, auch das ist undankbarer als Gänsehütcn und Steineklopfer. Lehrer sein heißt, sich täglich stundenlang der Beobachtung und Kritik von mindestens sechzig frischen Angen und sechzig scharfen Ohren aussetzen. Schon das auf die Dauer zu ertragen, dazu gehören die Nerven eines Nilpferdes, und die, mein Fräulein, holen Sie sich nicht durch wissen¬ schaftliche Studien. Denn nnr auf Kosten des kleinen Gehirns, d. h. der Nerven, kann eine Frau ihr großes Gehirn ausbilden und verwerten. Sie haben von unsern Müttern eine schlechte Meinung, und da gebe ich Ihnen ganz Recht. Daß wir jetzt eine so grundsatzlose, genußsüchtige, frühreife Jugend haben, männliche wie weibliche, ist Schuld der deutschen Mütter. Versuchen Sie es in der Schule, den Kampf gegen diese Mütter aufzunehmen, so wird es Ihnen gehen, wie dem alten Helden mit der lernäischen Schlange. Täuschen Sie sich nicht, ich sage Ihnen, es dauert nicht zehn Jahre, und Sie sind als Lehrerin fertig mit Ihren Nerven, mit Ihrer Spannkraft, womöglich mit Ihrem Gehirn. Der Weg durch unsre modernen Lehrerinnenseminare führt ins Irrenhaus! Sehen Sie sich mal an, wer alles drin sitzt. Und da wollen Sie den Prozeß noch beschleunigen durch wissenschaftliche Studien? Das ist ja, als führe ein Zug mit vollem Dampf auf ein totes Geleise. Das giebt allemal eine Katastrophe. Aber was soll ich denn nur anfangen. Herr Professor? fragte Luise etwas kleinlaut. Was soll ich denn studiren? Hier, rief der Professor und schleuderte das Kochbuch auf den Tisch, das studiren Sie! Luise warf einen Blick hinein, dann wurde sie über und über rot, biß sich auf die Unterlippe und stand schnell auf. Wenn das Ihr ganzer Rat ist, dann habe ich bei Ihnen nichts mehr zu suchen. Damit verließ sie das Zimmer, ohne den Professor weiter anzusehn. Knorre schritt eine Weile auf und ab , dann rief er Franz, er möge ihm den Rock bringen. Er zog sich an und ging nach dem Hotel zum Mittags¬ tisch. Aber auf der Promenade blieb er heute nicht bloß einmal, sonder» dreimal stehn, und jedesmal stieß er den Stock mit größerer Heftigkeit als sonst auf die Erde. Der ganze Stammtisch im Hotel saß voll Junggesellen : Lehrern, Ärzten, Juristen und penstonirten Offizieren. Den meisten, namentlich den jungen Herren, sah man an, daß sie ihre Jugendjahre standesgemäß verlebt hatten. Die kahle Platte war vorherrschend, und der Gesichtsciusdruck zeigte bei allen einen Zug unverkennbarer Selbstzufriedenheit und einer gewissen Übersättigung oder angenehmen Erschlaffung. Fachsimpelei und Politisiren waren bei Tische streng verpönt. Man liebte pikante Geschichten, die Pointen durften aber nur angedeutet werden — diese sehr sittlich aussehende Forderung war seltsamerweise gerade von den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/190>, abgerufen am 01.07.2024.