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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ferien, Bäder und Landstraßen

brechung fort? Lafargue, ein französischer Sozialdemokrat, hat ein "Recht
auf Faulheit" geschrieben, das von dem einen bis zum andern Ende ein be¬
geistertes Loblied auf die Ferien ist, und dennoch ist er selbst nur theoretisch
faul; aber was soll man von Philosophen halten, die sich selbst nicht treu
sind und nicht so weise leben, wie sie denken! Trotz der Hundstage stritten
sich der "Kollege" Vollmar und seine Gegner herum, mögen dies nun
Liebknecht und Bebel oder der Partei- oder der Fraktionsvvrstand oder
die sogenannte Gesamtpartei sein. Ach, selbst die Laufbahn als Führer
der Sozialdemokratie hat ihre Schattenseite,!, sie machen sich, wenn es ihre
politischen Feinde nicht thun, unter einander das bischen Leben sauer;
diese vielbeschwerten, überarbeiteten Führer der "sogenannten Arbeiterpartei,"
wie sich Minister Herrfurth, sich selbst tröstend, ausdrückte, sie, die sich
für die Befreiung des Proletariats aufopfern, sind wahrhaftig auch nicht
zu beneiden. Aber wenn sich die Sozialdemokratie jetzt noch keine Ferien
gönnt, obwohl nicht daran zu zweifeln ist, daß in ihrem Zukunftsstaat in
der That alle Leute und sie selbst ihre Ferien haben würden, so ist offenbar
wie gewöhnlich eben nicht sie selbst, sondern die "heutige Gesellschaft" daran
schuld, die sie "zwingt," es ebenso wie die andern, also falsch zu machen.
Die Sozialdemokratie muß beständig auf dein Posten sein, weil die übrigen
politischen Parteien nicht abrüsten mögen; die bürgerliche Presse läßt auf der
Eisenbahn und in den Bädern selbst in den Ferien dem reisenden und er¬
holungsbedürftigen Publikum keine Ruhe, und die Arbeiterpresse läßt deshalb
in Stadt und Land, in den Wirtschaften und auf der Landstraße dem arbei¬
tenden Volke auch keine Ruhe. Dieselbe Ruhelosigkeit wie auf dem wirtschaft¬
lichen und technischen Gebiet erfüllt unsre mit Schnellpressen druckende und
denkende Zeit auf geistigem Gebiete. Nein, die Sozialdemokratie hat Recht,
wenn sie die gegenwärtigen Verhältnisse mangelhaft findet, wenn sie die herr¬
schende Unordnung und Unsicherheit tadelt, ihre Kritik der heutigen Zustände
würde nicht die hervorragendste Seite ihrer Thätigkeit sein, wenn sie nicht
bis zu einem gewissen Grade richtig und unwiderleglich wäre. Gegen ihre
positiven Vorschläge mag die bürgerliche Gesellschaft, mögen die Regierungen
mißtrauisch sein, denn eine radikale Änderung, wie sie von der Sozialdemo¬
kratie gefordert wird, wäre keine Besserung, ja vielleicht ist man sogar schon
geneigt, den sozialistischen Lehren der Partei unter dem Namen "Staats¬
sozialismus" ein zu großes Entgegenkommen zu beweisen, und gerät, indem
man alle zufrieden zu machen sucht, wodurch man gerade niemanden zufrieden
macht, auf eine schiefe Ebne, auf der sich schwer halten läßt. Die Sozial-
demokraten mögen die gegenwärtigen Zustände ausgezeichnet kritisiren, be¬
schreiben und zergliedern, aber gerade weil sie so vorzügliche Kritiker sind, ist
es fraglich, ob sie eben so vorzügliche Bessermacher wären. Auch in der
Sozialpolitik heißt es: 1^" oritiMk We Wöo, 1'in't, oft Mlivilv. Leider ist


Ferien, Bäder und Landstraßen

brechung fort? Lafargue, ein französischer Sozialdemokrat, hat ein „Recht
auf Faulheit" geschrieben, das von dem einen bis zum andern Ende ein be¬
geistertes Loblied auf die Ferien ist, und dennoch ist er selbst nur theoretisch
faul; aber was soll man von Philosophen halten, die sich selbst nicht treu
sind und nicht so weise leben, wie sie denken! Trotz der Hundstage stritten
sich der „Kollege" Vollmar und seine Gegner herum, mögen dies nun
Liebknecht und Bebel oder der Partei- oder der Fraktionsvvrstand oder
die sogenannte Gesamtpartei sein. Ach, selbst die Laufbahn als Führer
der Sozialdemokratie hat ihre Schattenseite,!, sie machen sich, wenn es ihre
politischen Feinde nicht thun, unter einander das bischen Leben sauer;
diese vielbeschwerten, überarbeiteten Führer der „sogenannten Arbeiterpartei,"
wie sich Minister Herrfurth, sich selbst tröstend, ausdrückte, sie, die sich
für die Befreiung des Proletariats aufopfern, sind wahrhaftig auch nicht
zu beneiden. Aber wenn sich die Sozialdemokratie jetzt noch keine Ferien
gönnt, obwohl nicht daran zu zweifeln ist, daß in ihrem Zukunftsstaat in
der That alle Leute und sie selbst ihre Ferien haben würden, so ist offenbar
wie gewöhnlich eben nicht sie selbst, sondern die „heutige Gesellschaft" daran
schuld, die sie „zwingt," es ebenso wie die andern, also falsch zu machen.
Die Sozialdemokratie muß beständig auf dein Posten sein, weil die übrigen
politischen Parteien nicht abrüsten mögen; die bürgerliche Presse läßt auf der
Eisenbahn und in den Bädern selbst in den Ferien dem reisenden und er¬
holungsbedürftigen Publikum keine Ruhe, und die Arbeiterpresse läßt deshalb
in Stadt und Land, in den Wirtschaften und auf der Landstraße dem arbei¬
tenden Volke auch keine Ruhe. Dieselbe Ruhelosigkeit wie auf dem wirtschaft¬
lichen und technischen Gebiet erfüllt unsre mit Schnellpressen druckende und
denkende Zeit auf geistigem Gebiete. Nein, die Sozialdemokratie hat Recht,
wenn sie die gegenwärtigen Verhältnisse mangelhaft findet, wenn sie die herr¬
schende Unordnung und Unsicherheit tadelt, ihre Kritik der heutigen Zustände
würde nicht die hervorragendste Seite ihrer Thätigkeit sein, wenn sie nicht
bis zu einem gewissen Grade richtig und unwiderleglich wäre. Gegen ihre
positiven Vorschläge mag die bürgerliche Gesellschaft, mögen die Regierungen
mißtrauisch sein, denn eine radikale Änderung, wie sie von der Sozialdemo¬
kratie gefordert wird, wäre keine Besserung, ja vielleicht ist man sogar schon
geneigt, den sozialistischen Lehren der Partei unter dem Namen „Staats¬
sozialismus" ein zu großes Entgegenkommen zu beweisen, und gerät, indem
man alle zufrieden zu machen sucht, wodurch man gerade niemanden zufrieden
macht, auf eine schiefe Ebne, auf der sich schwer halten läßt. Die Sozial-
demokraten mögen die gegenwärtigen Zustände ausgezeichnet kritisiren, be¬
schreiben und zergliedern, aber gerade weil sie so vorzügliche Kritiker sind, ist
es fraglich, ob sie eben so vorzügliche Bessermacher wären. Auch in der
Sozialpolitik heißt es: 1^» oritiMk We Wöo, 1'in't, oft Mlivilv. Leider ist


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[0132] Ferien, Bäder und Landstraßen brechung fort? Lafargue, ein französischer Sozialdemokrat, hat ein „Recht auf Faulheit" geschrieben, das von dem einen bis zum andern Ende ein be¬ geistertes Loblied auf die Ferien ist, und dennoch ist er selbst nur theoretisch faul; aber was soll man von Philosophen halten, die sich selbst nicht treu sind und nicht so weise leben, wie sie denken! Trotz der Hundstage stritten sich der „Kollege" Vollmar und seine Gegner herum, mögen dies nun Liebknecht und Bebel oder der Partei- oder der Fraktionsvvrstand oder die sogenannte Gesamtpartei sein. Ach, selbst die Laufbahn als Führer der Sozialdemokratie hat ihre Schattenseite,!, sie machen sich, wenn es ihre politischen Feinde nicht thun, unter einander das bischen Leben sauer; diese vielbeschwerten, überarbeiteten Führer der „sogenannten Arbeiterpartei," wie sich Minister Herrfurth, sich selbst tröstend, ausdrückte, sie, die sich für die Befreiung des Proletariats aufopfern, sind wahrhaftig auch nicht zu beneiden. Aber wenn sich die Sozialdemokratie jetzt noch keine Ferien gönnt, obwohl nicht daran zu zweifeln ist, daß in ihrem Zukunftsstaat in der That alle Leute und sie selbst ihre Ferien haben würden, so ist offenbar wie gewöhnlich eben nicht sie selbst, sondern die „heutige Gesellschaft" daran schuld, die sie „zwingt," es ebenso wie die andern, also falsch zu machen. Die Sozialdemokratie muß beständig auf dein Posten sein, weil die übrigen politischen Parteien nicht abrüsten mögen; die bürgerliche Presse läßt auf der Eisenbahn und in den Bädern selbst in den Ferien dem reisenden und er¬ holungsbedürftigen Publikum keine Ruhe, und die Arbeiterpresse läßt deshalb in Stadt und Land, in den Wirtschaften und auf der Landstraße dem arbei¬ tenden Volke auch keine Ruhe. Dieselbe Ruhelosigkeit wie auf dem wirtschaft¬ lichen und technischen Gebiet erfüllt unsre mit Schnellpressen druckende und denkende Zeit auf geistigem Gebiete. Nein, die Sozialdemokratie hat Recht, wenn sie die gegenwärtigen Verhältnisse mangelhaft findet, wenn sie die herr¬ schende Unordnung und Unsicherheit tadelt, ihre Kritik der heutigen Zustände würde nicht die hervorragendste Seite ihrer Thätigkeit sein, wenn sie nicht bis zu einem gewissen Grade richtig und unwiderleglich wäre. Gegen ihre positiven Vorschläge mag die bürgerliche Gesellschaft, mögen die Regierungen mißtrauisch sein, denn eine radikale Änderung, wie sie von der Sozialdemo¬ kratie gefordert wird, wäre keine Besserung, ja vielleicht ist man sogar schon geneigt, den sozialistischen Lehren der Partei unter dem Namen „Staats¬ sozialismus" ein zu großes Entgegenkommen zu beweisen, und gerät, indem man alle zufrieden zu machen sucht, wodurch man gerade niemanden zufrieden macht, auf eine schiefe Ebne, auf der sich schwer halten läßt. Die Sozial- demokraten mögen die gegenwärtigen Zustände ausgezeichnet kritisiren, be¬ schreiben und zergliedern, aber gerade weil sie so vorzügliche Kritiker sind, ist es fraglich, ob sie eben so vorzügliche Bessermacher wären. Auch in der Sozialpolitik heißt es: 1^» oritiMk We Wöo, 1'in't, oft Mlivilv. Leider ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/132>, abgerufen am 22.12.2024.