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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ferien, Bäder und Landstraßen

mit der Sonntagsruhe gemacht hat, nämlich: eines schickt sich nicht für alle.
Während der Ferien der Allgemeinheit würden viele Leute gerade ihre Haupt¬
arbeit im ganzen Jahre zu verrichte" haben, da feiernde Menschen unter anderm
bedient, unterhalten und belustigt sein wollen, also die, denen die Erfüllung
dieser Aufgaben zufiele, thätig sein müßten, und zwar doppelt und dreifach,
je großer die Zahl die Feiernden wäre. Wenn man sich übrigens dächte, daß
nicht alle ihre Ferien zu derselben Zeit hätten, wenn man den Begriff der
Ferien als eine periodisch wiederkehrende und länger andauernde Einschränkung
jeder Berufs-, Geschäfts- und Lohnarbeit faßte, so dürfte es als nicht ganz
ausgeschlossen erscheinen, daß eine ähnliche Einrichtung in irgend einer Zu¬
kunft einmal verwirklicht würde. Ob nun in einer spätern Zeit alle ihre
Ferien bekommen werden oder nicht, soviel ist gewiß, daß die Forderung der
"Ferien für alle" zu einem politischen Schlagwort ebenso gut geeignet wäre,
wie die des Sonntags für alle und wie jede Forderung für alle oder, mit
andern Worten, nach Gleichberechtigung. Warum sollte sich nicht in einem
Parteiprogramm neben der Forderung eines freien Sonntags die eines freien
Monats, neben der eines "Normalarbeitstngs" die eines Nvrmalarbeitsjahrs
(von so und so viel Monaten) recht gut ausnehmen? Natürlich müßte jeder,
der es bedürftig wäre, von Staats wegen an seinein Sonntag und in seinen
Ferien freigehalten werden und einen Verguügungszuschuß zu seinem Lohn be¬
kommen, etwa wie die Soldaten bei besondern Gelegenheiten eine Löhnungs¬
zulage; denn was kann eine arbeitsfreie Zeit nützen, in der man hungert und
dürstet und traurig ist? Aber das ist ja lauter Zukunftsmusik, und wir leben
in der "heutigen Gesellschaft," aus der wir uicht mit einem Saltomortale in
eine andre hinüberspringen können, die sich, wie uns selbst die Sozialdemo-
kraten lehren, durch nilmähliches Wachsen oder Hineinwachsen, das heißt also
langsam verwandelt.

Die Sozialdemokratie wäre die Partei, die ein solches Schlagwort:
"Ferien für alle!" am besten verwenden könnte. Leider ist auch diese Partei
trotz ihrer unbeugsamen Logik in ihrem Reden und Wollen und ihrem Thun
und Lassen nicht ohne Widerspruch und Unklarheit. Die Sozialdemokratie hat
wie alles Menschenwerk ihre Vorzüge und ihre Fehler. Wozu benutzt sie den
von ihr dringend begehrten Sonntag? Zur Arbeit! Zu einer Arbeit eigner
Art, indem sie z. B. Versammlungen oder Sitzungen, die für die Redner wie
für die Zuhörer anstrengend sind, veranstaltet, indem sie ihre Agitatoren trotz
Wind und Wetter und Hitze und Kälte auf wahre Kriegsmärsche von Dorf
zu Dorf in der Umgebung der Städte hinausschickt; sie läßt die von der
bürgerlichen Gesellschaft in der Woche geplagten Menschen sich für ihre Partei¬
zwecke in Sonntagsüberstunden abmühn. Die Sozialdemokratie weiß die Wohl¬
that der Ferien zu würdigen, aber macht sie selbst Ferien? kennt sie eine
Waffenruhe, führt sie ihren Feder- und Wortkrieg nicht ohne jede Unter-


Ferien, Bäder und Landstraßen

mit der Sonntagsruhe gemacht hat, nämlich: eines schickt sich nicht für alle.
Während der Ferien der Allgemeinheit würden viele Leute gerade ihre Haupt¬
arbeit im ganzen Jahre zu verrichte» haben, da feiernde Menschen unter anderm
bedient, unterhalten und belustigt sein wollen, also die, denen die Erfüllung
dieser Aufgaben zufiele, thätig sein müßten, und zwar doppelt und dreifach,
je großer die Zahl die Feiernden wäre. Wenn man sich übrigens dächte, daß
nicht alle ihre Ferien zu derselben Zeit hätten, wenn man den Begriff der
Ferien als eine periodisch wiederkehrende und länger andauernde Einschränkung
jeder Berufs-, Geschäfts- und Lohnarbeit faßte, so dürfte es als nicht ganz
ausgeschlossen erscheinen, daß eine ähnliche Einrichtung in irgend einer Zu¬
kunft einmal verwirklicht würde. Ob nun in einer spätern Zeit alle ihre
Ferien bekommen werden oder nicht, soviel ist gewiß, daß die Forderung der
„Ferien für alle" zu einem politischen Schlagwort ebenso gut geeignet wäre,
wie die des Sonntags für alle und wie jede Forderung für alle oder, mit
andern Worten, nach Gleichberechtigung. Warum sollte sich nicht in einem
Parteiprogramm neben der Forderung eines freien Sonntags die eines freien
Monats, neben der eines „Normalarbeitstngs" die eines Nvrmalarbeitsjahrs
(von so und so viel Monaten) recht gut ausnehmen? Natürlich müßte jeder,
der es bedürftig wäre, von Staats wegen an seinein Sonntag und in seinen
Ferien freigehalten werden und einen Verguügungszuschuß zu seinem Lohn be¬
kommen, etwa wie die Soldaten bei besondern Gelegenheiten eine Löhnungs¬
zulage; denn was kann eine arbeitsfreie Zeit nützen, in der man hungert und
dürstet und traurig ist? Aber das ist ja lauter Zukunftsmusik, und wir leben
in der „heutigen Gesellschaft," aus der wir uicht mit einem Saltomortale in
eine andre hinüberspringen können, die sich, wie uns selbst die Sozialdemo-
kraten lehren, durch nilmähliches Wachsen oder Hineinwachsen, das heißt also
langsam verwandelt.

Die Sozialdemokratie wäre die Partei, die ein solches Schlagwort:
„Ferien für alle!" am besten verwenden könnte. Leider ist auch diese Partei
trotz ihrer unbeugsamen Logik in ihrem Reden und Wollen und ihrem Thun
und Lassen nicht ohne Widerspruch und Unklarheit. Die Sozialdemokratie hat
wie alles Menschenwerk ihre Vorzüge und ihre Fehler. Wozu benutzt sie den
von ihr dringend begehrten Sonntag? Zur Arbeit! Zu einer Arbeit eigner
Art, indem sie z. B. Versammlungen oder Sitzungen, die für die Redner wie
für die Zuhörer anstrengend sind, veranstaltet, indem sie ihre Agitatoren trotz
Wind und Wetter und Hitze und Kälte auf wahre Kriegsmärsche von Dorf
zu Dorf in der Umgebung der Städte hinausschickt; sie läßt die von der
bürgerlichen Gesellschaft in der Woche geplagten Menschen sich für ihre Partei¬
zwecke in Sonntagsüberstunden abmühn. Die Sozialdemokratie weiß die Wohl¬
that der Ferien zu würdigen, aber macht sie selbst Ferien? kennt sie eine
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[0131] Ferien, Bäder und Landstraßen mit der Sonntagsruhe gemacht hat, nämlich: eines schickt sich nicht für alle. Während der Ferien der Allgemeinheit würden viele Leute gerade ihre Haupt¬ arbeit im ganzen Jahre zu verrichte» haben, da feiernde Menschen unter anderm bedient, unterhalten und belustigt sein wollen, also die, denen die Erfüllung dieser Aufgaben zufiele, thätig sein müßten, und zwar doppelt und dreifach, je großer die Zahl die Feiernden wäre. Wenn man sich übrigens dächte, daß nicht alle ihre Ferien zu derselben Zeit hätten, wenn man den Begriff der Ferien als eine periodisch wiederkehrende und länger andauernde Einschränkung jeder Berufs-, Geschäfts- und Lohnarbeit faßte, so dürfte es als nicht ganz ausgeschlossen erscheinen, daß eine ähnliche Einrichtung in irgend einer Zu¬ kunft einmal verwirklicht würde. Ob nun in einer spätern Zeit alle ihre Ferien bekommen werden oder nicht, soviel ist gewiß, daß die Forderung der „Ferien für alle" zu einem politischen Schlagwort ebenso gut geeignet wäre, wie die des Sonntags für alle und wie jede Forderung für alle oder, mit andern Worten, nach Gleichberechtigung. Warum sollte sich nicht in einem Parteiprogramm neben der Forderung eines freien Sonntags die eines freien Monats, neben der eines „Normalarbeitstngs" die eines Nvrmalarbeitsjahrs (von so und so viel Monaten) recht gut ausnehmen? Natürlich müßte jeder, der es bedürftig wäre, von Staats wegen an seinein Sonntag und in seinen Ferien freigehalten werden und einen Verguügungszuschuß zu seinem Lohn be¬ kommen, etwa wie die Soldaten bei besondern Gelegenheiten eine Löhnungs¬ zulage; denn was kann eine arbeitsfreie Zeit nützen, in der man hungert und dürstet und traurig ist? Aber das ist ja lauter Zukunftsmusik, und wir leben in der „heutigen Gesellschaft," aus der wir uicht mit einem Saltomortale in eine andre hinüberspringen können, die sich, wie uns selbst die Sozialdemo- kraten lehren, durch nilmähliches Wachsen oder Hineinwachsen, das heißt also langsam verwandelt. Die Sozialdemokratie wäre die Partei, die ein solches Schlagwort: „Ferien für alle!" am besten verwenden könnte. Leider ist auch diese Partei trotz ihrer unbeugsamen Logik in ihrem Reden und Wollen und ihrem Thun und Lassen nicht ohne Widerspruch und Unklarheit. Die Sozialdemokratie hat wie alles Menschenwerk ihre Vorzüge und ihre Fehler. Wozu benutzt sie den von ihr dringend begehrten Sonntag? Zur Arbeit! Zu einer Arbeit eigner Art, indem sie z. B. Versammlungen oder Sitzungen, die für die Redner wie für die Zuhörer anstrengend sind, veranstaltet, indem sie ihre Agitatoren trotz Wind und Wetter und Hitze und Kälte auf wahre Kriegsmärsche von Dorf zu Dorf in der Umgebung der Städte hinausschickt; sie läßt die von der bürgerlichen Gesellschaft in der Woche geplagten Menschen sich für ihre Partei¬ zwecke in Sonntagsüberstunden abmühn. Die Sozialdemokratie weiß die Wohl¬ that der Ferien zu würdigen, aber macht sie selbst Ferien? kennt sie eine Waffenruhe, führt sie ihren Feder- und Wortkrieg nicht ohne jede Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/131>, abgerufen am 25.08.2024.