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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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sich keine Sommererhvlung gönnen können, Geschäftsleute, Lcideninhaber, Hand¬
werker und so fort, nicht selten die vorwurfsvolle Frage auf: Wer giebt uns
denn Ferien? Neidisch blicken sie den Glücklichen nach, die das ewige Einerlei der
Amts- und Geschäftspflichten einmal abschütteln und im Besitze eines "zu¬
sammengestellten Fahrscheinhefts" oder einer "festen Rundreise- oder Saison¬
fahrkarte" in die Ferne, in die Bäder und Sommerfrischen eilen oder Schmetter¬
lingstouren von Ort zu Ort unternehmen können- Die Post, die Eisenbahn,
die Gerichtsverwaltuug, die Großkaufmannschaft und Großindustrie, alle haben
es der Schule nachgemacht und ihren Beamten und Angestellten einen Anspruch
auf eine Urlaubszeit gewährt, in der sie sich erholen und aufhalten können,
wie und wo es ihnen beliebt, in der sie, anstatt zu "Schuften" oder wie sonst
die lieblichen vulgären Ausdrücke für des "Lebens Würze," die Arbeit, heißen
mögen, das Recht haben, den Varon zu spielen, zu "baronisiren." Es würde
einen allgemeinen Aufruhr geben, wenn man sich einfallen lassen wollte, ein
solches einmal bewilligtes und bereits gewohntes Recht zurückzunehmen. Für
die leitenden Persönlichkeiten, für die Fabrik- und Kaufherren, für die Gruud-
und Kapitalbesitzer versteht es sich fast von selbst, daß sie eine Zeit lang ihre
Thür schließen und verreist sind.

Was ursprünglich nur einem Bedürfnis entstammte, ist dann nach dem
gewöhnlichen Verlauf Mode geworden, Mode, die alle mitmachen. Alle Welt,
soweit sie zu leben versteht und zu leben hat, nimmt sich Ferien oder läßt sie
sich geben. Auch der Proletarier bekommt gelegentlich Ferien oder weiß sie
sich zu verschaffen. Aber die allgemeine Freiheit und Gleichheit ist auch in
dieser Beziehung noch nicht verwirklicht, und es ginge natürlich nicht, daß
alle, wie und wann sie wollten, zu arbeiten aufhören und, wohin und so weit
sie wollten, drauf losreisen könnten; die Welt, die dann entstünde, wäre
noch sonderbarer als die, in der wir gegenwärtig leben. Die rechte Ordnung
fehlt schon heute: der eine hat Ferien, der andre keine, der eine hat genug,
der andre zu wenig, der eine hat immer, der andre niemals Ferien.

Die Ferien haben eine gewisse sozialpolitische Bedeutung. Sie sind für
die, denen sie zu teil werden, in dem Kreislauf des Jahres, was in dem Ab¬
schnitt der Woche der Sonntag ist. Die Gesamtheit hat wie beim Sonntag,
so auch bei den Ferien ein Interesse daran, wer die freie Zeit erhält und
wer nicht, auch darnu, welcher Gebrauch von ihr gemacht wird. In dieser
unscheinbaren und doch so schwierigen Frage, wie die Arbeits- und Feiertage
und -Wochen für das gesamte Volk anzuordnen und zu verteilen sind, steckt
der Kern unsrer sozialen Frage, wie in der Aufstellung des Lehrplans und
der Bestimmung der Schulstunden und -Wochen die ganze Erziehungsfrage.
Wären die Ferien allgemein eingeführt, so würden sie gewissermaßen eine lange
Sonntagsruhe sein, aber man würde bei einer solchen Einrichtung, wenn sie
überhaupt ins Leben treten könnte, dieselbe Erfahrung machen, die man jetzt


sich keine Sommererhvlung gönnen können, Geschäftsleute, Lcideninhaber, Hand¬
werker und so fort, nicht selten die vorwurfsvolle Frage auf: Wer giebt uns
denn Ferien? Neidisch blicken sie den Glücklichen nach, die das ewige Einerlei der
Amts- und Geschäftspflichten einmal abschütteln und im Besitze eines „zu¬
sammengestellten Fahrscheinhefts" oder einer „festen Rundreise- oder Saison¬
fahrkarte" in die Ferne, in die Bäder und Sommerfrischen eilen oder Schmetter¬
lingstouren von Ort zu Ort unternehmen können- Die Post, die Eisenbahn,
die Gerichtsverwaltuug, die Großkaufmannschaft und Großindustrie, alle haben
es der Schule nachgemacht und ihren Beamten und Angestellten einen Anspruch
auf eine Urlaubszeit gewährt, in der sie sich erholen und aufhalten können,
wie und wo es ihnen beliebt, in der sie, anstatt zu „Schuften" oder wie sonst
die lieblichen vulgären Ausdrücke für des „Lebens Würze," die Arbeit, heißen
mögen, das Recht haben, den Varon zu spielen, zu „baronisiren." Es würde
einen allgemeinen Aufruhr geben, wenn man sich einfallen lassen wollte, ein
solches einmal bewilligtes und bereits gewohntes Recht zurückzunehmen. Für
die leitenden Persönlichkeiten, für die Fabrik- und Kaufherren, für die Gruud-
und Kapitalbesitzer versteht es sich fast von selbst, daß sie eine Zeit lang ihre
Thür schließen und verreist sind.

Was ursprünglich nur einem Bedürfnis entstammte, ist dann nach dem
gewöhnlichen Verlauf Mode geworden, Mode, die alle mitmachen. Alle Welt,
soweit sie zu leben versteht und zu leben hat, nimmt sich Ferien oder läßt sie
sich geben. Auch der Proletarier bekommt gelegentlich Ferien oder weiß sie
sich zu verschaffen. Aber die allgemeine Freiheit und Gleichheit ist auch in
dieser Beziehung noch nicht verwirklicht, und es ginge natürlich nicht, daß
alle, wie und wann sie wollten, zu arbeiten aufhören und, wohin und so weit
sie wollten, drauf losreisen könnten; die Welt, die dann entstünde, wäre
noch sonderbarer als die, in der wir gegenwärtig leben. Die rechte Ordnung
fehlt schon heute: der eine hat Ferien, der andre keine, der eine hat genug,
der andre zu wenig, der eine hat immer, der andre niemals Ferien.

Die Ferien haben eine gewisse sozialpolitische Bedeutung. Sie sind für
die, denen sie zu teil werden, in dem Kreislauf des Jahres, was in dem Ab¬
schnitt der Woche der Sonntag ist. Die Gesamtheit hat wie beim Sonntag,
so auch bei den Ferien ein Interesse daran, wer die freie Zeit erhält und
wer nicht, auch darnu, welcher Gebrauch von ihr gemacht wird. In dieser
unscheinbaren und doch so schwierigen Frage, wie die Arbeits- und Feiertage
und -Wochen für das gesamte Volk anzuordnen und zu verteilen sind, steckt
der Kern unsrer sozialen Frage, wie in der Aufstellung des Lehrplans und
der Bestimmung der Schulstunden und -Wochen die ganze Erziehungsfrage.
Wären die Ferien allgemein eingeführt, so würden sie gewissermaßen eine lange
Sonntagsruhe sein, aber man würde bei einer solchen Einrichtung, wenn sie
überhaupt ins Leben treten könnte, dieselbe Erfahrung machen, die man jetzt


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[0130] sich keine Sommererhvlung gönnen können, Geschäftsleute, Lcideninhaber, Hand¬ werker und so fort, nicht selten die vorwurfsvolle Frage auf: Wer giebt uns denn Ferien? Neidisch blicken sie den Glücklichen nach, die das ewige Einerlei der Amts- und Geschäftspflichten einmal abschütteln und im Besitze eines „zu¬ sammengestellten Fahrscheinhefts" oder einer „festen Rundreise- oder Saison¬ fahrkarte" in die Ferne, in die Bäder und Sommerfrischen eilen oder Schmetter¬ lingstouren von Ort zu Ort unternehmen können- Die Post, die Eisenbahn, die Gerichtsverwaltuug, die Großkaufmannschaft und Großindustrie, alle haben es der Schule nachgemacht und ihren Beamten und Angestellten einen Anspruch auf eine Urlaubszeit gewährt, in der sie sich erholen und aufhalten können, wie und wo es ihnen beliebt, in der sie, anstatt zu „Schuften" oder wie sonst die lieblichen vulgären Ausdrücke für des „Lebens Würze," die Arbeit, heißen mögen, das Recht haben, den Varon zu spielen, zu „baronisiren." Es würde einen allgemeinen Aufruhr geben, wenn man sich einfallen lassen wollte, ein solches einmal bewilligtes und bereits gewohntes Recht zurückzunehmen. Für die leitenden Persönlichkeiten, für die Fabrik- und Kaufherren, für die Gruud- und Kapitalbesitzer versteht es sich fast von selbst, daß sie eine Zeit lang ihre Thür schließen und verreist sind. Was ursprünglich nur einem Bedürfnis entstammte, ist dann nach dem gewöhnlichen Verlauf Mode geworden, Mode, die alle mitmachen. Alle Welt, soweit sie zu leben versteht und zu leben hat, nimmt sich Ferien oder läßt sie sich geben. Auch der Proletarier bekommt gelegentlich Ferien oder weiß sie sich zu verschaffen. Aber die allgemeine Freiheit und Gleichheit ist auch in dieser Beziehung noch nicht verwirklicht, und es ginge natürlich nicht, daß alle, wie und wann sie wollten, zu arbeiten aufhören und, wohin und so weit sie wollten, drauf losreisen könnten; die Welt, die dann entstünde, wäre noch sonderbarer als die, in der wir gegenwärtig leben. Die rechte Ordnung fehlt schon heute: der eine hat Ferien, der andre keine, der eine hat genug, der andre zu wenig, der eine hat immer, der andre niemals Ferien. Die Ferien haben eine gewisse sozialpolitische Bedeutung. Sie sind für die, denen sie zu teil werden, in dem Kreislauf des Jahres, was in dem Ab¬ schnitt der Woche der Sonntag ist. Die Gesamtheit hat wie beim Sonntag, so auch bei den Ferien ein Interesse daran, wer die freie Zeit erhält und wer nicht, auch darnu, welcher Gebrauch von ihr gemacht wird. In dieser unscheinbaren und doch so schwierigen Frage, wie die Arbeits- und Feiertage und -Wochen für das gesamte Volk anzuordnen und zu verteilen sind, steckt der Kern unsrer sozialen Frage, wie in der Aufstellung des Lehrplans und der Bestimmung der Schulstunden und -Wochen die ganze Erziehungsfrage. Wären die Ferien allgemein eingeführt, so würden sie gewissermaßen eine lange Sonntagsruhe sein, aber man würde bei einer solchen Einrichtung, wenn sie überhaupt ins Leben treten könnte, dieselbe Erfahrung machen, die man jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/130>, abgerufen am 22.12.2024.