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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Hölderlin

Meine Phantasie dachte sich den unglücklichen Dichter in einem einsamen in
den See hinaus gebauten Turme, traurigen Blickes hinstnrreud auf die öde
Wasserfläche zu seinen Füßen. Erst später lernte ich die Gedichte aus seinen
gesunden Tagen kennen, deren Gedankeninhalt verwandte Saiten in mir be¬
rührte. In ihrer Form, deren strenge Schönheit sie griechischen Marmor-
bildern vergleichen läßt, verbunden mit dem ganzen Zauber musikalischen
Wohllautes, dessen unsre Sprache fähig ist, scheinen sie noch hente mir das
vollendetste zu sein, was auf diesem begrenzten Gebiete geschaffen ist. Zu¬
gleich erfuhr ich einiges nähere über sein tragisches Schicksal. Und nie ist
seine Gestalt ganz wieder meinem Sinn entschwunden, in kürzern oder längern
Zwischeuräumen kehrten meine Gedanken immer wieder zu ihr zurück. Als ich
dann durch meinen ärztlichen Beruf mit den Nachtseiten des menschlichen
Geistes- und Gemütslebens vertrauter wurde, gewann Hölderlins trauriges
Los ein neues Interesse sür mich, und ich fing an, mich mit der Entstehung
seiner Krankheit und den Ursachen, welche den frühen Untergang dieser reich
begabten Natur verschuldet hatten, zu beschäftigen. Doch reifte erst spät in
mir der Plan, von diesem Standpunkte aus das Leben des Dichters zu schil¬
dern." Wie aus dem Bericht Verthold Litzmanns hervorgeht, hat der Ver¬
fasser, nachdem er jahrzehntelang für seinen Zweck gesammelt und vorgearbeitet
hatte, erst in seinem siebzigsten Lebensjahr mit der Ausarbeitung der Bio¬
graphie begonnen und ist dann glücklich genug gewesen, diese seine Lieblings¬
arbeit zu vollenden und den Beginn des Drucks noch zu erleben. Eine bloß
um des interessanten Materials willen unternommene Arbeit war hier in
keinem Falle zu befürchten, die lebendige Hingebung an den Dichter ist Seele
und Odem des Buches.

Gleich seinem erlauchten Landsmann und Gönner Schiller war auch
Hölderlin auf dem Boden Altwürttembergs, des Herzogtums der Ulrich und
Christoph, und uuter der Regierung des despotischen Karl, Schubart-Schillerschen
Angedenkens, geboren (am 20. März 1770 zu Lauffen am Neckar). Elf Jahre
jünger als Schiller, erzogen als der Sohn einer jungen Witwe, die auch ihren
zweiten Gatten in ihrem einunddreißigsten Lebensjahre verlor, hatte Hölderlin
in früher Jugend uicht, wie Schiller, die rauhe Unbill der Verhültnisfe, son¬
dern die Wehmut des Lebens kennen lernen. Litzmnnn meint, "Friedrich
Hölderlin war ein phantasiereicher Knabe mit einem weichen Herzen. So wird
es mit Recht als ein Unglück für ihn bezeichnet, daß auch der zweite Vater
ihm so früh entrissen wurde und seine Erziehung allein weiblichen Händen
anvertraut blieb. Das Gegengewicht, dessen seine Natur bedurft hätte, fand
er bei der zärtlichen Mutter und Großmutter nicht."

Die Bildung, die der Knabe zunächst durch die lateinische Schule in Nür-
tingen (uuter der Leitung des Präzeptors M. Kraz), dann in der niedern
^lvsterschule zu Denkendorf und der höhern zu Maulbronn empfing, entsprach


Friedrich Hölderlin

Meine Phantasie dachte sich den unglücklichen Dichter in einem einsamen in
den See hinaus gebauten Turme, traurigen Blickes hinstnrreud auf die öde
Wasserfläche zu seinen Füßen. Erst später lernte ich die Gedichte aus seinen
gesunden Tagen kennen, deren Gedankeninhalt verwandte Saiten in mir be¬
rührte. In ihrer Form, deren strenge Schönheit sie griechischen Marmor-
bildern vergleichen läßt, verbunden mit dem ganzen Zauber musikalischen
Wohllautes, dessen unsre Sprache fähig ist, scheinen sie noch hente mir das
vollendetste zu sein, was auf diesem begrenzten Gebiete geschaffen ist. Zu¬
gleich erfuhr ich einiges nähere über sein tragisches Schicksal. Und nie ist
seine Gestalt ganz wieder meinem Sinn entschwunden, in kürzern oder längern
Zwischeuräumen kehrten meine Gedanken immer wieder zu ihr zurück. Als ich
dann durch meinen ärztlichen Beruf mit den Nachtseiten des menschlichen
Geistes- und Gemütslebens vertrauter wurde, gewann Hölderlins trauriges
Los ein neues Interesse sür mich, und ich fing an, mich mit der Entstehung
seiner Krankheit und den Ursachen, welche den frühen Untergang dieser reich
begabten Natur verschuldet hatten, zu beschäftigen. Doch reifte erst spät in
mir der Plan, von diesem Standpunkte aus das Leben des Dichters zu schil¬
dern." Wie aus dem Bericht Verthold Litzmanns hervorgeht, hat der Ver¬
fasser, nachdem er jahrzehntelang für seinen Zweck gesammelt und vorgearbeitet
hatte, erst in seinem siebzigsten Lebensjahr mit der Ausarbeitung der Bio¬
graphie begonnen und ist dann glücklich genug gewesen, diese seine Lieblings¬
arbeit zu vollenden und den Beginn des Drucks noch zu erleben. Eine bloß
um des interessanten Materials willen unternommene Arbeit war hier in
keinem Falle zu befürchten, die lebendige Hingebung an den Dichter ist Seele
und Odem des Buches.

Gleich seinem erlauchten Landsmann und Gönner Schiller war auch
Hölderlin auf dem Boden Altwürttembergs, des Herzogtums der Ulrich und
Christoph, und uuter der Regierung des despotischen Karl, Schubart-Schillerschen
Angedenkens, geboren (am 20. März 1770 zu Lauffen am Neckar). Elf Jahre
jünger als Schiller, erzogen als der Sohn einer jungen Witwe, die auch ihren
zweiten Gatten in ihrem einunddreißigsten Lebensjahre verlor, hatte Hölderlin
in früher Jugend uicht, wie Schiller, die rauhe Unbill der Verhültnisfe, son¬
dern die Wehmut des Lebens kennen lernen. Litzmnnn meint, „Friedrich
Hölderlin war ein phantasiereicher Knabe mit einem weichen Herzen. So wird
es mit Recht als ein Unglück für ihn bezeichnet, daß auch der zweite Vater
ihm so früh entrissen wurde und seine Erziehung allein weiblichen Händen
anvertraut blieb. Das Gegengewicht, dessen seine Natur bedurft hätte, fand
er bei der zärtlichen Mutter und Großmutter nicht."

Die Bildung, die der Knabe zunächst durch die lateinische Schule in Nür-
tingen (uuter der Leitung des Präzeptors M. Kraz), dann in der niedern
^lvsterschule zu Denkendorf und der höhern zu Maulbronn empfing, entsprach


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[0124] Friedrich Hölderlin Meine Phantasie dachte sich den unglücklichen Dichter in einem einsamen in den See hinaus gebauten Turme, traurigen Blickes hinstnrreud auf die öde Wasserfläche zu seinen Füßen. Erst später lernte ich die Gedichte aus seinen gesunden Tagen kennen, deren Gedankeninhalt verwandte Saiten in mir be¬ rührte. In ihrer Form, deren strenge Schönheit sie griechischen Marmor- bildern vergleichen läßt, verbunden mit dem ganzen Zauber musikalischen Wohllautes, dessen unsre Sprache fähig ist, scheinen sie noch hente mir das vollendetste zu sein, was auf diesem begrenzten Gebiete geschaffen ist. Zu¬ gleich erfuhr ich einiges nähere über sein tragisches Schicksal. Und nie ist seine Gestalt ganz wieder meinem Sinn entschwunden, in kürzern oder längern Zwischeuräumen kehrten meine Gedanken immer wieder zu ihr zurück. Als ich dann durch meinen ärztlichen Beruf mit den Nachtseiten des menschlichen Geistes- und Gemütslebens vertrauter wurde, gewann Hölderlins trauriges Los ein neues Interesse sür mich, und ich fing an, mich mit der Entstehung seiner Krankheit und den Ursachen, welche den frühen Untergang dieser reich begabten Natur verschuldet hatten, zu beschäftigen. Doch reifte erst spät in mir der Plan, von diesem Standpunkte aus das Leben des Dichters zu schil¬ dern." Wie aus dem Bericht Verthold Litzmanns hervorgeht, hat der Ver¬ fasser, nachdem er jahrzehntelang für seinen Zweck gesammelt und vorgearbeitet hatte, erst in seinem siebzigsten Lebensjahr mit der Ausarbeitung der Bio¬ graphie begonnen und ist dann glücklich genug gewesen, diese seine Lieblings¬ arbeit zu vollenden und den Beginn des Drucks noch zu erleben. Eine bloß um des interessanten Materials willen unternommene Arbeit war hier in keinem Falle zu befürchten, die lebendige Hingebung an den Dichter ist Seele und Odem des Buches. Gleich seinem erlauchten Landsmann und Gönner Schiller war auch Hölderlin auf dem Boden Altwürttembergs, des Herzogtums der Ulrich und Christoph, und uuter der Regierung des despotischen Karl, Schubart-Schillerschen Angedenkens, geboren (am 20. März 1770 zu Lauffen am Neckar). Elf Jahre jünger als Schiller, erzogen als der Sohn einer jungen Witwe, die auch ihren zweiten Gatten in ihrem einunddreißigsten Lebensjahre verlor, hatte Hölderlin in früher Jugend uicht, wie Schiller, die rauhe Unbill der Verhültnisfe, son¬ dern die Wehmut des Lebens kennen lernen. Litzmnnn meint, „Friedrich Hölderlin war ein phantasiereicher Knabe mit einem weichen Herzen. So wird es mit Recht als ein Unglück für ihn bezeichnet, daß auch der zweite Vater ihm so früh entrissen wurde und seine Erziehung allein weiblichen Händen anvertraut blieb. Das Gegengewicht, dessen seine Natur bedurft hätte, fand er bei der zärtlichen Mutter und Großmutter nicht." Die Bildung, die der Knabe zunächst durch die lateinische Schule in Nür- tingen (uuter der Leitung des Präzeptors M. Kraz), dann in der niedern ^lvsterschule zu Denkendorf und der höhern zu Maulbronn empfing, entsprach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/124>, abgerufen am 22.12.2024.