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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Hölderlin

Völlig altwürttembergischem Herkommen, und dasselbe Herkommen führte den
Jüngling in das Tübinger theologische Stift und stellte ihm die künftige
Schul- und Pfarrstelle in Aussicht. Selbst die dereinstige Frau Pfarrerin
war schon gefunden: eine Schülerliebe zu Luise Nast, der Tochter des Kloster-
Verwalters von Maulbronn, wurde erwidert und führte zu einer Art von
Verlobung. Und doch war Hölderlin innerlich bereits von der ganzen Welt,
in der er lebte und der seine Zukunft gehören sollte, getrennt. Nicht weil er
bei seinein Studium griechische Sprache und Dichtung bevorzugte ^ gar viele
Tübinger Stiftler und schwäbische Magister waren "tüchtige Griechen"
sondern weil jene Stimmung, der Schiller in dein Gedicht "Die Götter Griechen¬
lands" Ausdruck gab, in der Seele des jungen Muscnsvhnes wohnte, noch
ehe der frühbewunderte Landsmann gesungen hatte: "Da die Götter mensch¬
licher noch waren, waren Menschen göttlicher." Ein früher Ehrgeiz, sich als
Dichter auszuzeichnen und, wenn er dies nicht vermöchte, sich selbst gleichsam
aufzugeben, gesellte sich dem frühempfundnen und namentlich auf Platos Schriften
unablässig genährten Enthusiasmus für die schvnheitsvolle hellenische Welt und
der immer wachsenden Abneigung gegen die "Entartung neueres Barbartums,"
wie sich der Pfarrer in Bvsfens "Luise" ausdrückt. Seine innersten Wünsche
verriet er wenige Jahre nach Beginn seiner Universitätsstudien, wo er
(1797) an seine Schwester schrieb: "Um mich werd' ich immer weniger
besorgt, wenn ich der Zukunft denke, denn täglich werde ich mehr überzeugt,
daß kein Mensch leicht durch gute Tage übermütiger, durch schmale Kost aus
der Hand des Glücks hingegen braver wird, als ich. Und da ist mein höchster
Wunsch, in Ruhe und Eingezogenheit einmal zu leben und Bücher schreiben
zu können, ohne dabei zu hungern."

Daß Hölderlin hierbei an etwas andres dachte als an ein Berufsschrift-
stellertum im heutigen Sinne oder selbst im Sinne Lesstngs, braucht kaum ge¬
sagt zu werden, und daß er voraussah, daß er auch das mäßige Vermögen
nicht besitzen würde, das zu dieser ersehnten Führung seines Lebens gehört
hätte, erfüllte ihn mit Trauer. Er wußte auch zu Zeiten recht wohl, daß in
der Heimat und in der Stille einer württembergischen Landpfarre seine Träume
nicht zum Leben reifen könnten, und dachte wohl daran, die Theologie mit der
Jurisprudenz zu vertauschen, fügte sich aber alsbald wieder den Wünschen der
Mutter, die ihn bat, im Stift auszuhalten: "Ich habe mich entschlossen, von
nnn an in der Lage zu bleiben, in der ich bin. Der Gedanke, Ihnen un¬
ruhige Stunden zu machen, die ungewisse Zukunft, die Vorwürfe, die ich von
denen lieben Meinigen verdiente, und die ich mich (!) in redlichem Maße selbst
machen würde, wenn mich die Hoffnung getäuscht Hütte, der Rat meiner
Freunde, das ekle Studium der Juristerei, die Allfanzereien, denen ich mich
beim Advokatenleben ausgesetzt hätte, und von der andern Seite die Freuden
einer ruhigen Pfarre, die Hoffnung auf gewisse bäldere Bedienstigungen, die


Friedrich Hölderlin

Völlig altwürttembergischem Herkommen, und dasselbe Herkommen führte den
Jüngling in das Tübinger theologische Stift und stellte ihm die künftige
Schul- und Pfarrstelle in Aussicht. Selbst die dereinstige Frau Pfarrerin
war schon gefunden: eine Schülerliebe zu Luise Nast, der Tochter des Kloster-
Verwalters von Maulbronn, wurde erwidert und führte zu einer Art von
Verlobung. Und doch war Hölderlin innerlich bereits von der ganzen Welt,
in der er lebte und der seine Zukunft gehören sollte, getrennt. Nicht weil er
bei seinein Studium griechische Sprache und Dichtung bevorzugte ^ gar viele
Tübinger Stiftler und schwäbische Magister waren „tüchtige Griechen"
sondern weil jene Stimmung, der Schiller in dein Gedicht „Die Götter Griechen¬
lands" Ausdruck gab, in der Seele des jungen Muscnsvhnes wohnte, noch
ehe der frühbewunderte Landsmann gesungen hatte: „Da die Götter mensch¬
licher noch waren, waren Menschen göttlicher." Ein früher Ehrgeiz, sich als
Dichter auszuzeichnen und, wenn er dies nicht vermöchte, sich selbst gleichsam
aufzugeben, gesellte sich dem frühempfundnen und namentlich auf Platos Schriften
unablässig genährten Enthusiasmus für die schvnheitsvolle hellenische Welt und
der immer wachsenden Abneigung gegen die „Entartung neueres Barbartums,"
wie sich der Pfarrer in Bvsfens „Luise" ausdrückt. Seine innersten Wünsche
verriet er wenige Jahre nach Beginn seiner Universitätsstudien, wo er
(1797) an seine Schwester schrieb: „Um mich werd' ich immer weniger
besorgt, wenn ich der Zukunft denke, denn täglich werde ich mehr überzeugt,
daß kein Mensch leicht durch gute Tage übermütiger, durch schmale Kost aus
der Hand des Glücks hingegen braver wird, als ich. Und da ist mein höchster
Wunsch, in Ruhe und Eingezogenheit einmal zu leben und Bücher schreiben
zu können, ohne dabei zu hungern."

Daß Hölderlin hierbei an etwas andres dachte als an ein Berufsschrift-
stellertum im heutigen Sinne oder selbst im Sinne Lesstngs, braucht kaum ge¬
sagt zu werden, und daß er voraussah, daß er auch das mäßige Vermögen
nicht besitzen würde, das zu dieser ersehnten Führung seines Lebens gehört
hätte, erfüllte ihn mit Trauer. Er wußte auch zu Zeiten recht wohl, daß in
der Heimat und in der Stille einer württembergischen Landpfarre seine Träume
nicht zum Leben reifen könnten, und dachte wohl daran, die Theologie mit der
Jurisprudenz zu vertauschen, fügte sich aber alsbald wieder den Wünschen der
Mutter, die ihn bat, im Stift auszuhalten: „Ich habe mich entschlossen, von
nnn an in der Lage zu bleiben, in der ich bin. Der Gedanke, Ihnen un¬
ruhige Stunden zu machen, die ungewisse Zukunft, die Vorwürfe, die ich von
denen lieben Meinigen verdiente, und die ich mich (!) in redlichem Maße selbst
machen würde, wenn mich die Hoffnung getäuscht Hütte, der Rat meiner
Freunde, das ekle Studium der Juristerei, die Allfanzereien, denen ich mich
beim Advokatenleben ausgesetzt hätte, und von der andern Seite die Freuden
einer ruhigen Pfarre, die Hoffnung auf gewisse bäldere Bedienstigungen, die


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[0125] Friedrich Hölderlin Völlig altwürttembergischem Herkommen, und dasselbe Herkommen führte den Jüngling in das Tübinger theologische Stift und stellte ihm die künftige Schul- und Pfarrstelle in Aussicht. Selbst die dereinstige Frau Pfarrerin war schon gefunden: eine Schülerliebe zu Luise Nast, der Tochter des Kloster- Verwalters von Maulbronn, wurde erwidert und führte zu einer Art von Verlobung. Und doch war Hölderlin innerlich bereits von der ganzen Welt, in der er lebte und der seine Zukunft gehören sollte, getrennt. Nicht weil er bei seinein Studium griechische Sprache und Dichtung bevorzugte ^ gar viele Tübinger Stiftler und schwäbische Magister waren „tüchtige Griechen" sondern weil jene Stimmung, der Schiller in dein Gedicht „Die Götter Griechen¬ lands" Ausdruck gab, in der Seele des jungen Muscnsvhnes wohnte, noch ehe der frühbewunderte Landsmann gesungen hatte: „Da die Götter mensch¬ licher noch waren, waren Menschen göttlicher." Ein früher Ehrgeiz, sich als Dichter auszuzeichnen und, wenn er dies nicht vermöchte, sich selbst gleichsam aufzugeben, gesellte sich dem frühempfundnen und namentlich auf Platos Schriften unablässig genährten Enthusiasmus für die schvnheitsvolle hellenische Welt und der immer wachsenden Abneigung gegen die „Entartung neueres Barbartums," wie sich der Pfarrer in Bvsfens „Luise" ausdrückt. Seine innersten Wünsche verriet er wenige Jahre nach Beginn seiner Universitätsstudien, wo er (1797) an seine Schwester schrieb: „Um mich werd' ich immer weniger besorgt, wenn ich der Zukunft denke, denn täglich werde ich mehr überzeugt, daß kein Mensch leicht durch gute Tage übermütiger, durch schmale Kost aus der Hand des Glücks hingegen braver wird, als ich. Und da ist mein höchster Wunsch, in Ruhe und Eingezogenheit einmal zu leben und Bücher schreiben zu können, ohne dabei zu hungern." Daß Hölderlin hierbei an etwas andres dachte als an ein Berufsschrift- stellertum im heutigen Sinne oder selbst im Sinne Lesstngs, braucht kaum ge¬ sagt zu werden, und daß er voraussah, daß er auch das mäßige Vermögen nicht besitzen würde, das zu dieser ersehnten Führung seines Lebens gehört hätte, erfüllte ihn mit Trauer. Er wußte auch zu Zeiten recht wohl, daß in der Heimat und in der Stille einer württembergischen Landpfarre seine Träume nicht zum Leben reifen könnten, und dachte wohl daran, die Theologie mit der Jurisprudenz zu vertauschen, fügte sich aber alsbald wieder den Wünschen der Mutter, die ihn bat, im Stift auszuhalten: „Ich habe mich entschlossen, von nnn an in der Lage zu bleiben, in der ich bin. Der Gedanke, Ihnen un¬ ruhige Stunden zu machen, die ungewisse Zukunft, die Vorwürfe, die ich von denen lieben Meinigen verdiente, und die ich mich (!) in redlichem Maße selbst machen würde, wenn mich die Hoffnung getäuscht Hütte, der Rat meiner Freunde, das ekle Studium der Juristerei, die Allfanzereien, denen ich mich beim Advokatenleben ausgesetzt hätte, und von der andern Seite die Freuden einer ruhigen Pfarre, die Hoffnung auf gewisse bäldere Bedienstigungen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/125>, abgerufen am 22.12.2024.