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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lin rettender (Sed^ille

nötigen, und wer weiß, was sie noch im Schilde führen! Aber nun Frnu
von Suttner kommandirt hat: "Die Waffen nieder!" müssen sie knirschend
gehorchen, und die Welt kann aufatmen.

Ferner: die Knechtung des jüdischen Stammes schreit gen Himmel. Nur
ausnahmsweise wird ein Jude auf einen Ministerposten berufen, und einen
jüdischen Feldmarschall giebt es nicht; ein befähigter Christ wird ohne Scheu
jedem jüdischen Dummkopf vorgezogen, und an christlichen Festtagen wird die
Börse geschlossen; in Ägypten durften die Juden doch wenigstens Ziegel
streichen, bei uns aber verwehrt man ihnen jede schwere Arbeit, sodaß ihnen
in ihrer Verzweiflung nichts übrig bleibt, als Zeitungen herauszugeben oder
Koupons abzuschneiden. Die Regierungen hatten kein Auge für diese, das
schwärzeste Mittelalter noch übcrdunkeluden Zustände, und schon mußte man
einen allgemeinen Auszug der Kinder Israel, etwa nach Rußland, befürchten:
da trat wiederum eine freie Vereinigung edeldenkender Männer als rettender
Engel auf, und die größte Gefahr ist beseitigt.

Durch solche Erwägungen war ich in die richtige Stimmung versetzt, als
aus Rom die Kunde kam, Held Jmbriaui, der doch vermöge seines Abgeord¬
netenmandates "ehrenwert" ist, sei ohne alle Ehrerbietung hinausgeworfen
worden, nur wegen eines Ausbruches seines glühenden Patriotismus, der doch
nach Friedrich Wilhelm IV. selbst in seineu Übertreibungen noch schön und herz-
erwärmeud bleibt. Der Borfall erschütterte mich, aber zugleich blitzte in mir ein
großer Gedanke auf. Die Gewalt ist nirgends in den rechten Händen, auch freige¬
wählte Parlamente, wie das italienische, unterbrechen ihre segensreiche Thätig¬
keit des Ministerstürzeus, um der Tyrannei Schergendienste zu leisten. Wie
ist diesem schmachvollen Zustande abzuhelfen? Ganz einfach durch Bildung
eines aus der Blüte der freien Politiker beider Hemisphären zusammengesetzten
Weltarevpags, der allein Gesetze zu geben, über Finanzen und Armeen zu ver¬
fügen hätte! Denken wir uns eine Versammlung, zu der Jmbriani aus Rom,
Paul aus Cassagnac, Henri Rochefort, Waschaty aus Wien, Jstvezy ans Pest,
Fürst Krapotkin aus Nußland, die bewährtesten Freiheitsmüuuer aus Kroatien,
Montenegro, den Balkanstaaten und sämtlichen Republiken Amerikas gehörten,
und wir müssen uns sagen, daß dann, aber auch uur dann Freiheit, Friede
und Glückseligkeit auf der ganzen Erde herrschen würden. Aus Deutschland
dürften vor allen Eugen Richter und Bamberger nicht fehlen. So oft ich
das Glück habe, einen dieser beiden großen Männer zu sehen und zu hören,
klingen mir die Worte Titanias im Sommernachtstraum in den Ohren: "Du
bist so weise, wie du reizend bist," und auch die gewissen Fußtritte, die sie
dem Löwen, den sie nicht mehr zu fürchten brauchen, erteilen, stehen mit dein
durch das Zitat aus Shakespeare heraufbeschworen Bilde nicht in Widerspruch.
Und zwar bin ich stets geneigt, dem, der gerade spricht, die Palme der Weis¬
heit und der Schönheit zu reichen. In einem Punkte freilich schien der große


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nötigen, und wer weiß, was sie noch im Schilde führen! Aber nun Frnu
von Suttner kommandirt hat: „Die Waffen nieder!" müssen sie knirschend
gehorchen, und die Welt kann aufatmen.

Ferner: die Knechtung des jüdischen Stammes schreit gen Himmel. Nur
ausnahmsweise wird ein Jude auf einen Ministerposten berufen, und einen
jüdischen Feldmarschall giebt es nicht; ein befähigter Christ wird ohne Scheu
jedem jüdischen Dummkopf vorgezogen, und an christlichen Festtagen wird die
Börse geschlossen; in Ägypten durften die Juden doch wenigstens Ziegel
streichen, bei uns aber verwehrt man ihnen jede schwere Arbeit, sodaß ihnen
in ihrer Verzweiflung nichts übrig bleibt, als Zeitungen herauszugeben oder
Koupons abzuschneiden. Die Regierungen hatten kein Auge für diese, das
schwärzeste Mittelalter noch übcrdunkeluden Zustände, und schon mußte man
einen allgemeinen Auszug der Kinder Israel, etwa nach Rußland, befürchten:
da trat wiederum eine freie Vereinigung edeldenkender Männer als rettender
Engel auf, und die größte Gefahr ist beseitigt.

Durch solche Erwägungen war ich in die richtige Stimmung versetzt, als
aus Rom die Kunde kam, Held Jmbriaui, der doch vermöge seines Abgeord¬
netenmandates „ehrenwert" ist, sei ohne alle Ehrerbietung hinausgeworfen
worden, nur wegen eines Ausbruches seines glühenden Patriotismus, der doch
nach Friedrich Wilhelm IV. selbst in seineu Übertreibungen noch schön und herz-
erwärmeud bleibt. Der Borfall erschütterte mich, aber zugleich blitzte in mir ein
großer Gedanke auf. Die Gewalt ist nirgends in den rechten Händen, auch freige¬
wählte Parlamente, wie das italienische, unterbrechen ihre segensreiche Thätig¬
keit des Ministerstürzeus, um der Tyrannei Schergendienste zu leisten. Wie
ist diesem schmachvollen Zustande abzuhelfen? Ganz einfach durch Bildung
eines aus der Blüte der freien Politiker beider Hemisphären zusammengesetzten
Weltarevpags, der allein Gesetze zu geben, über Finanzen und Armeen zu ver¬
fügen hätte! Denken wir uns eine Versammlung, zu der Jmbriani aus Rom,
Paul aus Cassagnac, Henri Rochefort, Waschaty aus Wien, Jstvezy ans Pest,
Fürst Krapotkin aus Nußland, die bewährtesten Freiheitsmüuuer aus Kroatien,
Montenegro, den Balkanstaaten und sämtlichen Republiken Amerikas gehörten,
und wir müssen uns sagen, daß dann, aber auch uur dann Freiheit, Friede
und Glückseligkeit auf der ganzen Erde herrschen würden. Aus Deutschland
dürften vor allen Eugen Richter und Bamberger nicht fehlen. So oft ich
das Glück habe, einen dieser beiden großen Männer zu sehen und zu hören,
klingen mir die Worte Titanias im Sommernachtstraum in den Ohren: „Du
bist so weise, wie du reizend bist," und auch die gewissen Fußtritte, die sie
dem Löwen, den sie nicht mehr zu fürchten brauchen, erteilen, stehen mit dein
durch das Zitat aus Shakespeare heraufbeschworen Bilde nicht in Widerspruch.
Und zwar bin ich stets geneigt, dem, der gerade spricht, die Palme der Weis¬
heit und der Schönheit zu reichen. In einem Punkte freilich schien der große


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/94>, abgerufen am 08.01.2025.