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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Fischerleben auf der Adria

geben. In diesem Bethätignngstrieb wandern die Insassen, für die es in der
Kälte und Dunkelheit der tiefen "Meerschaft" keine Jahreszeiten giebt, zu
entlegnen, sonnigen Usern, in deren Schaum der Frühlingswind schon längst
so manches Blütenblntt der Mandelbäume hinabgeweht hat.

Die Griechen sahen einst in dem Thunfisch, jenem mächtigen Stachelflosser,
der sich jetzt gegen die Oberfläche und den Rand des Meeres emporhebt, eine
Hinweisung auf den Mond, der schimmernd den Wellen entsteigt -- nicht
minder aber auch auf die Einwirkung jeuer Göttin, die den Pfeilen der Jäger
und den Netzen der Fischer ihre Beute entgegenbringt, und weihten ihn, beide
Bilder im Auge behaltend, der Artemis, die Seen und Meere durchschweift.
Die Einbildungskraft des Volks an diesen Küsten bringt den Wanderzug der
Thüre, zu deren Empfang man jetzt anfängt sich bereit zu halten, nicht mit
solchen Erwägungen und Vorstellungen in Zusammenhang. Es setzt diese
Spende des Meers mit den ersten Anzeichen der freundlichsten Spende des
Landes, nämlich dem Wein, in Verbindung. Die Leute sagen: Wenn der Wein¬
stock seine Knospen zu öffnen beginnt, dann rücken die Heere der Thüre heran.
Das ganze Treiben, das damit zusammenhängt, ist zugleich so seltsam und
so wenig bekannt, daß sich eine Schilderung davon wohl lohnt.

Der Gast von Abbazia hat an sieben nahe gelegnen Örtlichkeiten Gelegen¬
heit, es zu beobachten: in Prelula, bei der Punta Sereica am Eingänge des
Fjordes von Buecari, bei Buecari selbst, bei Buearizza, in der Bucht von
Dubno, bei Se. Jakob und im Hafen Vos auf der Insel Veglia. Überall
dort ist das Ufer nicht seicht, man kommt wenige Schritte vom Festland in
eine Tiefe von etwa zwanzig bis dreißig Metern.

Kein andrer schwimmender Gast unsrer Küsten wird mit der gleichen
Umständlichkeit empfangen. Die rechtwinklig ausgespannten Netze,") Kammern
darstellend, mit all ihren künstlich darin angebrachten Durchschlüpfen, die be¬
sonders zu diesem Zweck am Ufer aufgerichteten Gebäude und andre Vorrich¬
tungen, die Teilnahme der Bevölkerung und schließlich auch noch das Mit¬
wirken der Geistlichkeit als Vertreterin der Kirche -- das alles kommt nicht
annähernd bei andern Hantirungen derartig vor, für die das Meer Saat¬
feld ist.

Es wird wohl uur wenige Gäste dieses Strandes geben, die einer den
Thunfischen gelieferten "Schlacht" (die Italiener gebrauchen einen derartigen
Ausdruck) zugesehen hätten. Noch wenigem war es wohl gegönnt, einen Blick



5> Damit ist übrigens keineswegs gesagt, daß der Fang der Thüre nur mit feststehenden
NetMmmeru betrieben werde. Nicht wenige werden auch ans dem offnen Meer erbeutet.
Man findet deu Thun dort meist in Gesellschaft seines nächsten Verwandten, des mittel¬
ländischen Boniten, der sogenannten Palamida. Dieser Fisch hat denselben seltsamen Stahl¬
glanz, deu man an der ganzen Familie der Makrelen, insbesondre auch an dem mächtigsten,
dem Thun, wahrnimmt.
Fischerleben auf der Adria

geben. In diesem Bethätignngstrieb wandern die Insassen, für die es in der
Kälte und Dunkelheit der tiefen „Meerschaft" keine Jahreszeiten giebt, zu
entlegnen, sonnigen Usern, in deren Schaum der Frühlingswind schon längst
so manches Blütenblntt der Mandelbäume hinabgeweht hat.

Die Griechen sahen einst in dem Thunfisch, jenem mächtigen Stachelflosser,
der sich jetzt gegen die Oberfläche und den Rand des Meeres emporhebt, eine
Hinweisung auf den Mond, der schimmernd den Wellen entsteigt — nicht
minder aber auch auf die Einwirkung jeuer Göttin, die den Pfeilen der Jäger
und den Netzen der Fischer ihre Beute entgegenbringt, und weihten ihn, beide
Bilder im Auge behaltend, der Artemis, die Seen und Meere durchschweift.
Die Einbildungskraft des Volks an diesen Küsten bringt den Wanderzug der
Thüre, zu deren Empfang man jetzt anfängt sich bereit zu halten, nicht mit
solchen Erwägungen und Vorstellungen in Zusammenhang. Es setzt diese
Spende des Meers mit den ersten Anzeichen der freundlichsten Spende des
Landes, nämlich dem Wein, in Verbindung. Die Leute sagen: Wenn der Wein¬
stock seine Knospen zu öffnen beginnt, dann rücken die Heere der Thüre heran.
Das ganze Treiben, das damit zusammenhängt, ist zugleich so seltsam und
so wenig bekannt, daß sich eine Schilderung davon wohl lohnt.

Der Gast von Abbazia hat an sieben nahe gelegnen Örtlichkeiten Gelegen¬
heit, es zu beobachten: in Prelula, bei der Punta Sereica am Eingänge des
Fjordes von Buecari, bei Buecari selbst, bei Buearizza, in der Bucht von
Dubno, bei Se. Jakob und im Hafen Vos auf der Insel Veglia. Überall
dort ist das Ufer nicht seicht, man kommt wenige Schritte vom Festland in
eine Tiefe von etwa zwanzig bis dreißig Metern.

Kein andrer schwimmender Gast unsrer Küsten wird mit der gleichen
Umständlichkeit empfangen. Die rechtwinklig ausgespannten Netze,") Kammern
darstellend, mit all ihren künstlich darin angebrachten Durchschlüpfen, die be¬
sonders zu diesem Zweck am Ufer aufgerichteten Gebäude und andre Vorrich¬
tungen, die Teilnahme der Bevölkerung und schließlich auch noch das Mit¬
wirken der Geistlichkeit als Vertreterin der Kirche — das alles kommt nicht
annähernd bei andern Hantirungen derartig vor, für die das Meer Saat¬
feld ist.

Es wird wohl uur wenige Gäste dieses Strandes geben, die einer den
Thunfischen gelieferten „Schlacht" (die Italiener gebrauchen einen derartigen
Ausdruck) zugesehen hätten. Noch wenigem war es wohl gegönnt, einen Blick



5> Damit ist übrigens keineswegs gesagt, daß der Fang der Thüre nur mit feststehenden
NetMmmeru betrieben werde. Nicht wenige werden auch ans dem offnen Meer erbeutet.
Man findet deu Thun dort meist in Gesellschaft seines nächsten Verwandten, des mittel¬
ländischen Boniten, der sogenannten Palamida. Dieser Fisch hat denselben seltsamen Stahl¬
glanz, deu man an der ganzen Familie der Makrelen, insbesondre auch an dem mächtigsten,
dem Thun, wahrnimmt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/84>, abgerufen am 08.01.2025.