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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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China und das Abendland

Soldaten in vielen Fällen ganz tapfer, aber ihre Bewaffnung und vor allein
ihre Führung waren gar zu schlecht. So ging ein Gefecht nach dem andern
verloren, und eine Hafenstadt nach der andern fiel in die Hände der Sieger,
bis diese schließlich mit einer mächtigen Flotte von zweiuudsiebzig meist großen
Kriegsschiffen in den Aangizetiang einliefen. Tfchinkiang, eine am Schnitt¬
punkte dieses Stromes und des großen Kaiserkanals gelegne befestigte Stadt,
wurde erstürmt, wobei schreckliche Szenen vorkamen. Denn da dieser Ort damals,
als es noch keine Dampfschiffahrt nach Tientsin gab, wegen der Versorgung
der nördlichen Provinzen mit Reis und Getreide besonders wichtig war, so bestand
ein großer Teil der Besatzung aus Mantschus, die lieber ihre Häuser anzündeten
und ihre Frauen und Kinder und sich selbst töteten, als daß sie sich den
Feinden ergaben. Solch eine wilde Verzweiflung, wie sie die Engländer bisher
noch nicht angetroffen hatten, war darin begründet, daß die Mantschus, deren
Vorfahren im Jahre 1644 als Eroberer ins Land gekommen waren und die
einheimische Ming-Dynnstie gestürzt hatten, nun das Ende ihrer eignen Herr¬
schaft für gekommen hielten.

Tschiukiang war ein Schntthciufe, als es die Sieger ganz in der Gewalt
hatten. Aber viel war damit gewonnen, nämlich erstens ein Stützpunkt, von
dem aus sie ebenso den Vantzekinng wie den Kaiserkanal erfolgreich absperren
konnten, und zweitens die Aussicht, das uur wenige Stunden flußaufwärts
liegende Nanking, an Wichtigkeit die zweite Stadt Chinas, bald gleichfalls zu
erobern. Ohne Verzug wurden die Vorbereitungen zum Sturm getroffen; aber
es sollte nicht mehr dazu kommen. Denn die Absperrung der Wasserwege
machte sich bei dem sehr bedeutenden Schiffsverkehr bereits in der ganzen
Umgegend empfindlich fühlbar, und außerdem fingen die Chinesen an, sich
von der Aussichtslosigkeit weitern Widerstands zu überzeugen. Nachdem die
kaiserliche Genehmigung eingetroffen war, wurden Verhandlungen angeknüpft,
die zum Frieden zu Nanking führten (1842).

War der Krieg von den Engländern mit Energie und Umsicht geführt
worden, so bewiesen sie auch bei den Friedensverhandlungen großes Geschick.
Mit dem ihnen in solchen Sachen eignen weiten Blick erkannten sie, daß die
Erwerbung einer größern Strecke Landes weniger vorteilhaft für sie sei und
dabei doch die Chinesen weit mehr schmerzen würde, als die Eröffnung einer
zu den gebrachten Opfern und erreichten Erfolgen im Verhältnis stehenden
Anzahl von Häfen für den auswärtigen Handel. Sie begnügten sich also
mit der kleinen Felseninsel Hongkong. Dafür wurden, in der Reihenfolge von
Süden nach Norden, folgende fünf großen chinesischen Häfen für den Verkehr mit
Ausländern freigegeben: Kanton, Amoy, Futschau, Ninggo und Shanghai. Von
allen diesen Orten aus sollte auch der Transithandel ins Innre des weiten
Reiches erlaubt sein. Ein Zolltarif sollte vereinbart werden. Ferner mußte
China eine Entschädigung für das vernichtete Opium sowie sür die Kriegskosten


China und das Abendland

Soldaten in vielen Fällen ganz tapfer, aber ihre Bewaffnung und vor allein
ihre Führung waren gar zu schlecht. So ging ein Gefecht nach dem andern
verloren, und eine Hafenstadt nach der andern fiel in die Hände der Sieger,
bis diese schließlich mit einer mächtigen Flotte von zweiuudsiebzig meist großen
Kriegsschiffen in den Aangizetiang einliefen. Tfchinkiang, eine am Schnitt¬
punkte dieses Stromes und des großen Kaiserkanals gelegne befestigte Stadt,
wurde erstürmt, wobei schreckliche Szenen vorkamen. Denn da dieser Ort damals,
als es noch keine Dampfschiffahrt nach Tientsin gab, wegen der Versorgung
der nördlichen Provinzen mit Reis und Getreide besonders wichtig war, so bestand
ein großer Teil der Besatzung aus Mantschus, die lieber ihre Häuser anzündeten
und ihre Frauen und Kinder und sich selbst töteten, als daß sie sich den
Feinden ergaben. Solch eine wilde Verzweiflung, wie sie die Engländer bisher
noch nicht angetroffen hatten, war darin begründet, daß die Mantschus, deren
Vorfahren im Jahre 1644 als Eroberer ins Land gekommen waren und die
einheimische Ming-Dynnstie gestürzt hatten, nun das Ende ihrer eignen Herr¬
schaft für gekommen hielten.

Tschiukiang war ein Schntthciufe, als es die Sieger ganz in der Gewalt
hatten. Aber viel war damit gewonnen, nämlich erstens ein Stützpunkt, von
dem aus sie ebenso den Vantzekinng wie den Kaiserkanal erfolgreich absperren
konnten, und zweitens die Aussicht, das uur wenige Stunden flußaufwärts
liegende Nanking, an Wichtigkeit die zweite Stadt Chinas, bald gleichfalls zu
erobern. Ohne Verzug wurden die Vorbereitungen zum Sturm getroffen; aber
es sollte nicht mehr dazu kommen. Denn die Absperrung der Wasserwege
machte sich bei dem sehr bedeutenden Schiffsverkehr bereits in der ganzen
Umgegend empfindlich fühlbar, und außerdem fingen die Chinesen an, sich
von der Aussichtslosigkeit weitern Widerstands zu überzeugen. Nachdem die
kaiserliche Genehmigung eingetroffen war, wurden Verhandlungen angeknüpft,
die zum Frieden zu Nanking führten (1842).

War der Krieg von den Engländern mit Energie und Umsicht geführt
worden, so bewiesen sie auch bei den Friedensverhandlungen großes Geschick.
Mit dem ihnen in solchen Sachen eignen weiten Blick erkannten sie, daß die
Erwerbung einer größern Strecke Landes weniger vorteilhaft für sie sei und
dabei doch die Chinesen weit mehr schmerzen würde, als die Eröffnung einer
zu den gebrachten Opfern und erreichten Erfolgen im Verhältnis stehenden
Anzahl von Häfen für den auswärtigen Handel. Sie begnügten sich also
mit der kleinen Felseninsel Hongkong. Dafür wurden, in der Reihenfolge von
Süden nach Norden, folgende fünf großen chinesischen Häfen für den Verkehr mit
Ausländern freigegeben: Kanton, Amoy, Futschau, Ninggo und Shanghai. Von
allen diesen Orten aus sollte auch der Transithandel ins Innre des weiten
Reiches erlaubt sein. Ein Zolltarif sollte vereinbart werden. Ferner mußte
China eine Entschädigung für das vernichtete Opium sowie sür die Kriegskosten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/80>, abgerufen am 08.01.2025.