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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lhina und das Abendland

wordnen Kriege sehr viel Staub aufgewirbelt, weil die heikle Opiumfrage den
Bruch herbeiführte. Der Eindruck davon hat sich auch jetzt noch nicht verwischt,
obgleich schon fünfzig Jahre darüber hingegangen sind. Immer noch heißt es:
die selbstsüchtigen Engländer haben damals nur deshalb Krieg mit den Chinesen
angefangen, weil diese den Handel mit Opium in ihrem Lande nicht erlauben
wollten. Prüfen Nur die geschichtlichen Thatsachen, so finden wir, daß die Dinge
doch nicht so einfach lagen. Freilich konnte es niemand den chinesischen
Beamten im Ernste verdenken, daß sie energische Maßregeln zur Unterdrückung
des um der ganzen Südküste schwunghaft betriebneu Opiumschmuggels ergriffen,
sobald sie sich von der Verderblichkeit des Opiummnchens für alle nicht ganz
charakterfester Leute überzeugt hatten. Aber in ihrem grenzenlosen Hochmut,
bei ihrer Verachtung der "Barbaren" und bei ihrer völligen Unkenntnis von
der Macht europäischer Nationen hielten sie es für vollkommen überflüssig,
irgend welche internationale Rücksicht zu nehmen. So hielt im März des
Jahres 1839 der Gouverneur von Kanton, um seinen Willen durchzusetzen,
die Ausländer in ihren dortigen Faktoreien gefangen, bis sie ihm alles in
ihren Händen befindliche Opium ausgeliefert hatten. Es wurde dann ver¬
nichtet, aber jede Entschädigung für den sehr bedeutenden Verlust wurde
verweigert.

In England war die öffentliche Meinung über ein solches Verfahren um
so aufgebrachter, als sich unter den eingesperrten Personen auch der zur
Beilegung der Streitigkeiten ernannte Regierungskommissar, der Kapitän
eines Kriegsschiffs, befunden hatte. Dies mußte durch Krieg gesühnt werden.
Später ist es allerdings auch von einigen Engländern getadelt worden, daß
die Opiumfrage zum Anlaß des Bruchs genommen worden ist. Die so urteilen,
und außerhalb Englands ist das wohl die große Mehrzahl, halten offenbar
zweierlei nicht richtig aus einander. Man setze nämlich nur einmal an Stelle
des Opiums irgend einen für China unschädlichen oder nützlichen Einfuhrartikel,
lasse aber alle übrigen Umstände, wie sie waren, und sofort wird das aller
internationalen Sitte ins Geficht schlagende Benehmen der chinesischen Beamten
noch schärfer hervortreten. Die zufällige Schädlichkeit des Gegenstandes be¬
rechtigte sie durchaus nicht zu ihrem schroffen Vorgehen. Es ist auch mit
Sicherheit anzunehmen, daß weit mehr der Haß gegen die Fremden als die
Einsicht von den schlimmen Folgen des Opiumrauchens die Mandarinen zu
möglichst rücksichtslosem Auftreten gereizt habe.

Der Krieg wurde von englischer Seite mit großem Nachdruck geführt,
offenbar in dem richtigen Gefühl, daß ein solcher Hochmut, wie ihn die
Mandarinen immer gezeigt hatten, nur durch eine möglichst empfindliche
Lektion zu brechen sei. Zum erstenmale mußte sich das alte Reich der Mitte
im großen Kriege mit einer Macht des Abendlandes messen. Der Erfolg
konnte von vornherein nicht zweifelhaft sein. Zwar fochten die chinesischen


Lhina und das Abendland

wordnen Kriege sehr viel Staub aufgewirbelt, weil die heikle Opiumfrage den
Bruch herbeiführte. Der Eindruck davon hat sich auch jetzt noch nicht verwischt,
obgleich schon fünfzig Jahre darüber hingegangen sind. Immer noch heißt es:
die selbstsüchtigen Engländer haben damals nur deshalb Krieg mit den Chinesen
angefangen, weil diese den Handel mit Opium in ihrem Lande nicht erlauben
wollten. Prüfen Nur die geschichtlichen Thatsachen, so finden wir, daß die Dinge
doch nicht so einfach lagen. Freilich konnte es niemand den chinesischen
Beamten im Ernste verdenken, daß sie energische Maßregeln zur Unterdrückung
des um der ganzen Südküste schwunghaft betriebneu Opiumschmuggels ergriffen,
sobald sie sich von der Verderblichkeit des Opiummnchens für alle nicht ganz
charakterfester Leute überzeugt hatten. Aber in ihrem grenzenlosen Hochmut,
bei ihrer Verachtung der „Barbaren" und bei ihrer völligen Unkenntnis von
der Macht europäischer Nationen hielten sie es für vollkommen überflüssig,
irgend welche internationale Rücksicht zu nehmen. So hielt im März des
Jahres 1839 der Gouverneur von Kanton, um seinen Willen durchzusetzen,
die Ausländer in ihren dortigen Faktoreien gefangen, bis sie ihm alles in
ihren Händen befindliche Opium ausgeliefert hatten. Es wurde dann ver¬
nichtet, aber jede Entschädigung für den sehr bedeutenden Verlust wurde
verweigert.

In England war die öffentliche Meinung über ein solches Verfahren um
so aufgebrachter, als sich unter den eingesperrten Personen auch der zur
Beilegung der Streitigkeiten ernannte Regierungskommissar, der Kapitän
eines Kriegsschiffs, befunden hatte. Dies mußte durch Krieg gesühnt werden.
Später ist es allerdings auch von einigen Engländern getadelt worden, daß
die Opiumfrage zum Anlaß des Bruchs genommen worden ist. Die so urteilen,
und außerhalb Englands ist das wohl die große Mehrzahl, halten offenbar
zweierlei nicht richtig aus einander. Man setze nämlich nur einmal an Stelle
des Opiums irgend einen für China unschädlichen oder nützlichen Einfuhrartikel,
lasse aber alle übrigen Umstände, wie sie waren, und sofort wird das aller
internationalen Sitte ins Geficht schlagende Benehmen der chinesischen Beamten
noch schärfer hervortreten. Die zufällige Schädlichkeit des Gegenstandes be¬
rechtigte sie durchaus nicht zu ihrem schroffen Vorgehen. Es ist auch mit
Sicherheit anzunehmen, daß weit mehr der Haß gegen die Fremden als die
Einsicht von den schlimmen Folgen des Opiumrauchens die Mandarinen zu
möglichst rücksichtslosem Auftreten gereizt habe.

Der Krieg wurde von englischer Seite mit großem Nachdruck geführt,
offenbar in dem richtigen Gefühl, daß ein solcher Hochmut, wie ihn die
Mandarinen immer gezeigt hatten, nur durch eine möglichst empfindliche
Lektion zu brechen sei. Zum erstenmale mußte sich das alte Reich der Mitte
im großen Kriege mit einer Macht des Abendlandes messen. Der Erfolg
konnte von vornherein nicht zweifelhaft sein. Zwar fochten die chinesischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/79>, abgerufen am 06.01.2025.