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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universitätsleben

Angriff auf Papendick wurde wieder einmal abgeschlagen, er blieb Pedell, ohne
seine Art auch nur im geringsten zu ändern.

Papendick besaß in der Wiesengasse ein kleines, einstöckiges Haus mit einem
Garten, der durch ein niedriges stated von der Gasse getrennt war. Als ich
nach Wohnungen suchte, sah ich auch hier einen Zettel am Fenster der Giebel¬
stube. Beim Pedell zu wohnen, schien mir aber aus verschiednen Gründen
nicht ratsam, und so mietete ich mich in dein Nachbarhause ein, von wo ich
einen freien Blick auf Papendicks Garten hatte. Schon am nächsten Tage
war aber auch an seinem Hause der Mietzettel verschwunden, und ich bemerkte
in dem Fenster der Giebelstube einen Patent gekleideten Studenten. Es war,
wie ich später erfuhr, ein Mediziner mit Namen Nnbinskh. Auch Lieschen
Papendick bekam ich bald zu sehn. Sie war ein etwas bleiches Kind mit
hübschen, blauen Augen "ut langen blonden Zöpfen. Sie saß gewöhnlich
naschend hinter den Stachel- und Johannisbeersträuchern, die am Zaun standen.
Wenn aber ein Student vorbeiging und sie ansah, wurde sie rot und versteckte
ihren Kopf verlegen hinter die Büsche.

Mit der Zeit wurde ich auch mit Papendick näher bekannt. Ich fand
ihn oft in seiner selbstgezimmerten Laube sitzen. Dort trieb er, wie er sagte,
seine Übungen am Phantom. Er stellte nämlich aus alten Kriegserinnerungen,
Schrapnel- und Granatzündern, Sprengstücken und Kartätschentngeln alle mög¬
lichen Gegenstände zusammen: Leuchter, Aschenbecher, Cigarrenständer, Brief¬
beschwerer und ähnliche Dinge. Und da war er dann immer sehr glücklich,
wenn ich ihm Gelegenheit gab, seine artilleristischen Kenntnisse auszukramen
und seine oft wunderbar klingenden militärischen Erinnerungen an den Mann
zu bringen.

Er, gehörte noch zu dem alten Stamm von Unteroffizieren, denen die viel¬
gepriesene, den meisten Menschen aber verderbliche moderne Volksschulbildung
fremd geblieben war, und die trotzdem oder vielmehr gerade deshalb anspruchs¬
lose, kriegstüchtige Front- und Feldsoldaten abgaben. Heutzutage, sagte er,
streben die Kapitulanten alle darnach, so schnell wie möglich aus dem Front¬
dienst zu kommen und Drehschemelreiter und Tintenwischer zu werden. Wir
haben zu meiner Zeit ans diese militärischen Stubenhocker und hartleibigen Kalk¬
fratzen immer mit Verachtung gesehn. Aber heutzutage, wo beim Militär mehr
geschrieben als gesprochen wird, spielen diese lendenlahmen Kerls die Haupt¬
rolle. Die Armee wird mir zu gebildet! Sie wird bald eine Gesellschaft von
Skribefaxeu und Aktenwürmern fein. Dann grad uus Gott, mit über-
studirten Kerls ist nichts anzufangen. Ich kenne das -- Schwefelbande!

Dabei schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß seine Kriegserinne-
rnngen darauf wie Hollnnderkügelchen umhersprangen. Die leere Kümmel¬
flasche fiel um, und die beide" Schnapsgläser, das große und das kleine,
wären anf die Erde gerollt, wenn ich nicht schnell zugegriffen hätte. Er ge-


Bilder aus dem Universitätsleben

Angriff auf Papendick wurde wieder einmal abgeschlagen, er blieb Pedell, ohne
seine Art auch nur im geringsten zu ändern.

Papendick besaß in der Wiesengasse ein kleines, einstöckiges Haus mit einem
Garten, der durch ein niedriges stated von der Gasse getrennt war. Als ich
nach Wohnungen suchte, sah ich auch hier einen Zettel am Fenster der Giebel¬
stube. Beim Pedell zu wohnen, schien mir aber aus verschiednen Gründen
nicht ratsam, und so mietete ich mich in dein Nachbarhause ein, von wo ich
einen freien Blick auf Papendicks Garten hatte. Schon am nächsten Tage
war aber auch an seinem Hause der Mietzettel verschwunden, und ich bemerkte
in dem Fenster der Giebelstube einen Patent gekleideten Studenten. Es war,
wie ich später erfuhr, ein Mediziner mit Namen Nnbinskh. Auch Lieschen
Papendick bekam ich bald zu sehn. Sie war ein etwas bleiches Kind mit
hübschen, blauen Augen »ut langen blonden Zöpfen. Sie saß gewöhnlich
naschend hinter den Stachel- und Johannisbeersträuchern, die am Zaun standen.
Wenn aber ein Student vorbeiging und sie ansah, wurde sie rot und versteckte
ihren Kopf verlegen hinter die Büsche.

Mit der Zeit wurde ich auch mit Papendick näher bekannt. Ich fand
ihn oft in seiner selbstgezimmerten Laube sitzen. Dort trieb er, wie er sagte,
seine Übungen am Phantom. Er stellte nämlich aus alten Kriegserinnerungen,
Schrapnel- und Granatzündern, Sprengstücken und Kartätschentngeln alle mög¬
lichen Gegenstände zusammen: Leuchter, Aschenbecher, Cigarrenständer, Brief¬
beschwerer und ähnliche Dinge. Und da war er dann immer sehr glücklich,
wenn ich ihm Gelegenheit gab, seine artilleristischen Kenntnisse auszukramen
und seine oft wunderbar klingenden militärischen Erinnerungen an den Mann
zu bringen.

Er, gehörte noch zu dem alten Stamm von Unteroffizieren, denen die viel¬
gepriesene, den meisten Menschen aber verderbliche moderne Volksschulbildung
fremd geblieben war, und die trotzdem oder vielmehr gerade deshalb anspruchs¬
lose, kriegstüchtige Front- und Feldsoldaten abgaben. Heutzutage, sagte er,
streben die Kapitulanten alle darnach, so schnell wie möglich aus dem Front¬
dienst zu kommen und Drehschemelreiter und Tintenwischer zu werden. Wir
haben zu meiner Zeit ans diese militärischen Stubenhocker und hartleibigen Kalk¬
fratzen immer mit Verachtung gesehn. Aber heutzutage, wo beim Militär mehr
geschrieben als gesprochen wird, spielen diese lendenlahmen Kerls die Haupt¬
rolle. Die Armee wird mir zu gebildet! Sie wird bald eine Gesellschaft von
Skribefaxeu und Aktenwürmern fein. Dann grad uus Gott, mit über-
studirten Kerls ist nichts anzufangen. Ich kenne das — Schwefelbande!

Dabei schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß seine Kriegserinne-
rnngen darauf wie Hollnnderkügelchen umhersprangen. Die leere Kümmel¬
flasche fiel um, und die beide» Schnapsgläser, das große und das kleine,
wären anf die Erde gerollt, wenn ich nicht schnell zugegriffen hätte. Er ge-


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[0616] Bilder aus dem Universitätsleben Angriff auf Papendick wurde wieder einmal abgeschlagen, er blieb Pedell, ohne seine Art auch nur im geringsten zu ändern. Papendick besaß in der Wiesengasse ein kleines, einstöckiges Haus mit einem Garten, der durch ein niedriges stated von der Gasse getrennt war. Als ich nach Wohnungen suchte, sah ich auch hier einen Zettel am Fenster der Giebel¬ stube. Beim Pedell zu wohnen, schien mir aber aus verschiednen Gründen nicht ratsam, und so mietete ich mich in dein Nachbarhause ein, von wo ich einen freien Blick auf Papendicks Garten hatte. Schon am nächsten Tage war aber auch an seinem Hause der Mietzettel verschwunden, und ich bemerkte in dem Fenster der Giebelstube einen Patent gekleideten Studenten. Es war, wie ich später erfuhr, ein Mediziner mit Namen Nnbinskh. Auch Lieschen Papendick bekam ich bald zu sehn. Sie war ein etwas bleiches Kind mit hübschen, blauen Augen »ut langen blonden Zöpfen. Sie saß gewöhnlich naschend hinter den Stachel- und Johannisbeersträuchern, die am Zaun standen. Wenn aber ein Student vorbeiging und sie ansah, wurde sie rot und versteckte ihren Kopf verlegen hinter die Büsche. Mit der Zeit wurde ich auch mit Papendick näher bekannt. Ich fand ihn oft in seiner selbstgezimmerten Laube sitzen. Dort trieb er, wie er sagte, seine Übungen am Phantom. Er stellte nämlich aus alten Kriegserinnerungen, Schrapnel- und Granatzündern, Sprengstücken und Kartätschentngeln alle mög¬ lichen Gegenstände zusammen: Leuchter, Aschenbecher, Cigarrenständer, Brief¬ beschwerer und ähnliche Dinge. Und da war er dann immer sehr glücklich, wenn ich ihm Gelegenheit gab, seine artilleristischen Kenntnisse auszukramen und seine oft wunderbar klingenden militärischen Erinnerungen an den Mann zu bringen. Er, gehörte noch zu dem alten Stamm von Unteroffizieren, denen die viel¬ gepriesene, den meisten Menschen aber verderbliche moderne Volksschulbildung fremd geblieben war, und die trotzdem oder vielmehr gerade deshalb anspruchs¬ lose, kriegstüchtige Front- und Feldsoldaten abgaben. Heutzutage, sagte er, streben die Kapitulanten alle darnach, so schnell wie möglich aus dem Front¬ dienst zu kommen und Drehschemelreiter und Tintenwischer zu werden. Wir haben zu meiner Zeit ans diese militärischen Stubenhocker und hartleibigen Kalk¬ fratzen immer mit Verachtung gesehn. Aber heutzutage, wo beim Militär mehr geschrieben als gesprochen wird, spielen diese lendenlahmen Kerls die Haupt¬ rolle. Die Armee wird mir zu gebildet! Sie wird bald eine Gesellschaft von Skribefaxeu und Aktenwürmern fein. Dann grad uus Gott, mit über- studirten Kerls ist nichts anzufangen. Ich kenne das — Schwefelbande! Dabei schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß seine Kriegserinne- rnngen darauf wie Hollnnderkügelchen umhersprangen. Die leere Kümmel¬ flasche fiel um, und die beide» Schnapsgläser, das große und das kleine, wären anf die Erde gerollt, wenn ich nicht schnell zugegriffen hätte. Er ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/616>, abgerufen am 08.01.2025.