Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder aus dem Umversttätsleben

brauchte beim Trinken immer zwei Gläser, ein weites und ein enges, um sich,
wie er sagte, genau einzuschießen. Mit zwei großen schnapsen bildete er die
"weite Gabel," mit zwei kleinen die "enge," und dann konzentrirte er das Feuer,
indem er sich dabei, wie er sagte, nur von "Gesühlskonspizienten" leiten ließ.
Jedes andre Korrekturverfahren hielt er für pedantisch und unkriegsmäßig.

Papendick hob die leere Flasche gegen die Sonne und guckte mit be¬
dauerndem Kopsschütteln durch. Dann rief er Lieschen zu, die mit einem
Vnche am offnen Küchenfenster saß, sie möchte ihm doch die "Blattlaus"
bringen. Lieschen kam bald herbei gesprungen und legte auf den Tisch eine
glatte, runde, blattlausförmige Flasche, die ganz mit Nordhäuser gefüllt war.
Scheu Sie, sagte er mit wäßrigen Munde, als er die beiden Schnapsgläser
füllte, von dem ganzen aufgeblasenen Gelehrtenklüugel hier ist doch nur der
Hauptmann Weller ein brauchbarer Mensch. Der hat was geleistet, vor dem
hab ich höllischen Respekt. Den hätten Sie in der Haubitzenbatterie vor Paris
sehn sollen -- na, jetzt ist er zu dick geworden, jetzt könnt ers auch nicht
mehr; aber der hat was fürs Vaterland gethan! Wissen Sie, ein richtiger
Kanonenschuß zur richtigen Zeit wirkt mehr, als wenn hundert gelehrte Lungen¬
pfeifer Tag und Nacht Bücher schreiben.

Da haben Sie Recht, sagte ich. Ist denn der richtige Kanonenschuß dem
Professor Weller gelungen?

Dem gerade nicht, aber mir -- und doch gewissermaßen mir auch nicht,
sondern hier, dieser Blattlaus, fügte er schmunzelnd hinzu, indem er mit dem
Pfropfen an der Flasche quietschte.

Ich sah ihn etwas verwundert an.

Sie glaubens nicht recht? Ja, die Pulte hat was durchgemacht, und
wenn der Hauptmann Weller und ich das eiserne Kreuz tragen, so weiß die
Flasche genau, wer das bewirkt hat.

Er trank den großen Nordhäuser aus, schauderte dann wie fröstelnd zu¬
sammen und drängte mir den kleinen auf. Dann griff er nach seinem Schnupf¬
tabakshorn, zog den Holzstöpsel heraus und füllte mit der braunen Masse ein
Grübchen an der linken Hand, das er geschickt zwischen Daumensehne und
Daumenmuskel zu bilden verstand. Dann sog er bald mit dem einen bald
mit dem andern Nasenloch den Schnupftabak langsam ein, während ein feuchter
Schimmer der Verklärung über seine Augen ging.

Das war, fuhr er mit etwas heiserer Stimme fort, in der zweiten Han-
bitzenbatterie vor Paris, die Weller uuter sich hatte. Wochenlang lagen wir da,
ohne einen Schuß zu thun, bis die Kerls an Moltke schrieben:

Und richtig, uach ein paar Tagen --


Grenzboten UI 1892 77
Bilder aus dem Umversttätsleben

brauchte beim Trinken immer zwei Gläser, ein weites und ein enges, um sich,
wie er sagte, genau einzuschießen. Mit zwei großen schnapsen bildete er die
„weite Gabel," mit zwei kleinen die „enge," und dann konzentrirte er das Feuer,
indem er sich dabei, wie er sagte, nur von „Gesühlskonspizienten" leiten ließ.
Jedes andre Korrekturverfahren hielt er für pedantisch und unkriegsmäßig.

Papendick hob die leere Flasche gegen die Sonne und guckte mit be¬
dauerndem Kopsschütteln durch. Dann rief er Lieschen zu, die mit einem
Vnche am offnen Küchenfenster saß, sie möchte ihm doch die „Blattlaus"
bringen. Lieschen kam bald herbei gesprungen und legte auf den Tisch eine
glatte, runde, blattlausförmige Flasche, die ganz mit Nordhäuser gefüllt war.
Scheu Sie, sagte er mit wäßrigen Munde, als er die beiden Schnapsgläser
füllte, von dem ganzen aufgeblasenen Gelehrtenklüugel hier ist doch nur der
Hauptmann Weller ein brauchbarer Mensch. Der hat was geleistet, vor dem
hab ich höllischen Respekt. Den hätten Sie in der Haubitzenbatterie vor Paris
sehn sollen — na, jetzt ist er zu dick geworden, jetzt könnt ers auch nicht
mehr; aber der hat was fürs Vaterland gethan! Wissen Sie, ein richtiger
Kanonenschuß zur richtigen Zeit wirkt mehr, als wenn hundert gelehrte Lungen¬
pfeifer Tag und Nacht Bücher schreiben.

Da haben Sie Recht, sagte ich. Ist denn der richtige Kanonenschuß dem
Professor Weller gelungen?

Dem gerade nicht, aber mir — und doch gewissermaßen mir auch nicht,
sondern hier, dieser Blattlaus, fügte er schmunzelnd hinzu, indem er mit dem
Pfropfen an der Flasche quietschte.

Ich sah ihn etwas verwundert an.

Sie glaubens nicht recht? Ja, die Pulte hat was durchgemacht, und
wenn der Hauptmann Weller und ich das eiserne Kreuz tragen, so weiß die
Flasche genau, wer das bewirkt hat.

Er trank den großen Nordhäuser aus, schauderte dann wie fröstelnd zu¬
sammen und drängte mir den kleinen auf. Dann griff er nach seinem Schnupf¬
tabakshorn, zog den Holzstöpsel heraus und füllte mit der braunen Masse ein
Grübchen an der linken Hand, das er geschickt zwischen Daumensehne und
Daumenmuskel zu bilden verstand. Dann sog er bald mit dem einen bald
mit dem andern Nasenloch den Schnupftabak langsam ein, während ein feuchter
Schimmer der Verklärung über seine Augen ging.

Das war, fuhr er mit etwas heiserer Stimme fort, in der zweiten Han-
bitzenbatterie vor Paris, die Weller uuter sich hatte. Wochenlang lagen wir da,
ohne einen Schuß zu thun, bis die Kerls an Moltke schrieben:

Und richtig, uach ein paar Tagen —


Grenzboten UI 1892 77
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0617" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213093"/>
          <fw type="header" place="top"> Bilder aus dem Umversttätsleben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2056" prev="#ID_2055"> brauchte beim Trinken immer zwei Gläser, ein weites und ein enges, um sich,<lb/>
wie er sagte, genau einzuschießen. Mit zwei großen schnapsen bildete er die<lb/>
&#x201E;weite Gabel," mit zwei kleinen die &#x201E;enge," und dann konzentrirte er das Feuer,<lb/>
indem er sich dabei, wie er sagte, nur von &#x201E;Gesühlskonspizienten" leiten ließ.<lb/>
Jedes andre Korrekturverfahren hielt er für pedantisch und unkriegsmäßig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2057"> Papendick hob die leere Flasche gegen die Sonne und guckte mit be¬<lb/>
dauerndem Kopsschütteln durch. Dann rief er Lieschen zu, die mit einem<lb/>
Vnche am offnen Küchenfenster saß, sie möchte ihm doch die &#x201E;Blattlaus"<lb/>
bringen. Lieschen kam bald herbei gesprungen und legte auf den Tisch eine<lb/>
glatte, runde, blattlausförmige Flasche, die ganz mit Nordhäuser gefüllt war.<lb/>
Scheu Sie, sagte er mit wäßrigen Munde, als er die beiden Schnapsgläser<lb/>
füllte, von dem ganzen aufgeblasenen Gelehrtenklüugel hier ist doch nur der<lb/>
Hauptmann Weller ein brauchbarer Mensch. Der hat was geleistet, vor dem<lb/>
hab ich höllischen Respekt. Den hätten Sie in der Haubitzenbatterie vor Paris<lb/>
sehn sollen &#x2014; na, jetzt ist er zu dick geworden, jetzt könnt ers auch nicht<lb/>
mehr; aber der hat was fürs Vaterland gethan! Wissen Sie, ein richtiger<lb/>
Kanonenschuß zur richtigen Zeit wirkt mehr, als wenn hundert gelehrte Lungen¬<lb/>
pfeifer Tag und Nacht Bücher schreiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2058"> Da haben Sie Recht, sagte ich. Ist denn der richtige Kanonenschuß dem<lb/>
Professor Weller gelungen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2059"> Dem gerade nicht, aber mir &#x2014; und doch gewissermaßen mir auch nicht,<lb/>
sondern hier, dieser Blattlaus, fügte er schmunzelnd hinzu, indem er mit dem<lb/>
Pfropfen an der Flasche quietschte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2060"> Ich sah ihn etwas verwundert an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2061"> Sie glaubens nicht recht? Ja, die Pulte hat was durchgemacht, und<lb/>
wenn der Hauptmann Weller und ich das eiserne Kreuz tragen, so weiß die<lb/>
Flasche genau, wer das bewirkt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2062"> Er trank den großen Nordhäuser aus, schauderte dann wie fröstelnd zu¬<lb/>
sammen und drängte mir den kleinen auf. Dann griff er nach seinem Schnupf¬<lb/>
tabakshorn, zog den Holzstöpsel heraus und füllte mit der braunen Masse ein<lb/>
Grübchen an der linken Hand, das er geschickt zwischen Daumensehne und<lb/>
Daumenmuskel zu bilden verstand. Dann sog er bald mit dem einen bald<lb/>
mit dem andern Nasenloch den Schnupftabak langsam ein, während ein feuchter<lb/>
Schimmer der Verklärung über seine Augen ging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2063"> Das war, fuhr er mit etwas heiserer Stimme fort, in der zweiten Han-<lb/>
bitzenbatterie vor Paris, die Weller uuter sich hatte. Wochenlang lagen wir da,<lb/>
ohne einen Schuß zu thun, bis die Kerls an Moltke schrieben:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_13" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_2064"> Und richtig, uach ein paar Tagen &#x2014;</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten UI 1892 77</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0617] Bilder aus dem Umversttätsleben brauchte beim Trinken immer zwei Gläser, ein weites und ein enges, um sich, wie er sagte, genau einzuschießen. Mit zwei großen schnapsen bildete er die „weite Gabel," mit zwei kleinen die „enge," und dann konzentrirte er das Feuer, indem er sich dabei, wie er sagte, nur von „Gesühlskonspizienten" leiten ließ. Jedes andre Korrekturverfahren hielt er für pedantisch und unkriegsmäßig. Papendick hob die leere Flasche gegen die Sonne und guckte mit be¬ dauerndem Kopsschütteln durch. Dann rief er Lieschen zu, die mit einem Vnche am offnen Küchenfenster saß, sie möchte ihm doch die „Blattlaus" bringen. Lieschen kam bald herbei gesprungen und legte auf den Tisch eine glatte, runde, blattlausförmige Flasche, die ganz mit Nordhäuser gefüllt war. Scheu Sie, sagte er mit wäßrigen Munde, als er die beiden Schnapsgläser füllte, von dem ganzen aufgeblasenen Gelehrtenklüugel hier ist doch nur der Hauptmann Weller ein brauchbarer Mensch. Der hat was geleistet, vor dem hab ich höllischen Respekt. Den hätten Sie in der Haubitzenbatterie vor Paris sehn sollen — na, jetzt ist er zu dick geworden, jetzt könnt ers auch nicht mehr; aber der hat was fürs Vaterland gethan! Wissen Sie, ein richtiger Kanonenschuß zur richtigen Zeit wirkt mehr, als wenn hundert gelehrte Lungen¬ pfeifer Tag und Nacht Bücher schreiben. Da haben Sie Recht, sagte ich. Ist denn der richtige Kanonenschuß dem Professor Weller gelungen? Dem gerade nicht, aber mir — und doch gewissermaßen mir auch nicht, sondern hier, dieser Blattlaus, fügte er schmunzelnd hinzu, indem er mit dem Pfropfen an der Flasche quietschte. Ich sah ihn etwas verwundert an. Sie glaubens nicht recht? Ja, die Pulte hat was durchgemacht, und wenn der Hauptmann Weller und ich das eiserne Kreuz tragen, so weiß die Flasche genau, wer das bewirkt hat. Er trank den großen Nordhäuser aus, schauderte dann wie fröstelnd zu¬ sammen und drängte mir den kleinen auf. Dann griff er nach seinem Schnupf¬ tabakshorn, zog den Holzstöpsel heraus und füllte mit der braunen Masse ein Grübchen an der linken Hand, das er geschickt zwischen Daumensehne und Daumenmuskel zu bilden verstand. Dann sog er bald mit dem einen bald mit dem andern Nasenloch den Schnupftabak langsam ein, während ein feuchter Schimmer der Verklärung über seine Augen ging. Das war, fuhr er mit etwas heiserer Stimme fort, in der zweiten Han- bitzenbatterie vor Paris, die Weller uuter sich hatte. Wochenlang lagen wir da, ohne einen Schuß zu thun, bis die Kerls an Moltke schrieben: Und richtig, uach ein paar Tagen — Grenzboten UI 1892 77

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/617
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/617>, abgerufen am 08.01.2025.