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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der konservativen Doktrin

von bürgerlichen Vereinigungen, künstlichen Garantien, Konstitutionen und
Organisationen spricht, von dem weichet, haltet ihn für einen Jakobiner oder
sür derselben Knecht, und wenn er auch seine Stimme holdselig macht, von
Milde und Mäßigung, von Liberalität und Humanität, von Kultur, von Ver¬
vollkommnung u. s. w. spricht, so glaubet ihm nicht, denn es sind sieben
Greuel in seinem Herzen!" Mohl sagt, dies Werk sei nicht bloß ein Buch,
sondern eine gewaltige politische That gewesen und habe das unleugbare Ver¬
dienst, die dogmatischen Staatswissenschaften durch Aufnahme einer Reihe von
Staatsarten, die bis dahin keine Berücksichtigung gefunden hatten, in den
Kreis der Beobachtung erweitert zu haben. Was uns betrifft, so finden wir
ein weitres Verdienst auch darin, daß es die alte Auffassung von dem natur¬
rechtlichen Ursprung der Gesellschaft endgiltig beseitigte; die Natur hat nie
Gesetze gegeben, nie Rechte geschaffen, sondern Bedürfnis und Macht des
Menschen thaten dies. Dieser Satz, den heute auch radikale Theoretiker gelten
lassen,") geht zuletzt auf Haller zurück.

Die folgenden fünf Bünde der "Restauration," in denen er seine Ansicht
an den verschiedne" Staatsarten dargelegt, erschienen von 1812 bis 1834.
Inzwischen war es allenthalben in Europa und selbst jenseits des Ozeans zu
Revolutionen gekommen, und in vielen Ländern hatten die von ihm so sehr
verschenken Theorien Leben gewonnen. Weit entfernt aber, sich deshalb mit
ihnen auseinanderzusetzen oder abzufinden, wie es z. B. Gentz und in einer
spätern Periode Ranke gethan hat, wurde Haller dadurch immer verbitterter.
Am bekanntesten ist die grimmige Schrift, zu der ihn die Konstitution der
spanischen Cortes von 1820 veranlaßt hat; sie besteht ans einem ältern, schon
1814 geschriebnen Teil, worin die Verfassung von 1812 einer ausführlichen
Kritik unterzogen wird, und aus spätern Bemerkungen, die hinzugefügt wurden,
als durch die Revolution von 1820 jener Entwurf aufs neue Gesetzeskraft ge¬
winnen sollte. Niemand wird heute dieses Machwerk, das nichts als eine
oberflächliche Nachahmung der französischen Konstitution von 17i)1 ist, in
Schutz nehmen "vollen, aber Haller wendet sich darin mit fanatischem Un¬
gestüm gegen jeden Versuch, ans Grund der revolutionären Theorien die mon¬
archische Gewalt zu beschränken. "Fliehet das Wort Konstitution," ruft er
im Nachwort, "es ist Gift in Monarchien, darum weil es eine demokratische
Grundlage voraussetzt, deu innern Krieg organisirt und zwei auf Leben und
Tod gegen einander dampfende Elemente schafft." Ein "Leichenwort" nennt
er an einer andern Stelle das Wort Konstitution, "welches Verderben mit
sich führt und eiuen Totengeruch verbreitet." Er wagt deu Satz: "Die Volker
bedürfen weit mehr ihre rechtmäßigen Könige als die Könige ihre Völker," er



*) Ich finde ihn u. a., gerade so gefaßt, in einem Vortrage I. Platters über die Boden¬
verstaatlichung. Deutsche Worte, April 1893, S. 218.
Zur Geschichte der konservativen Doktrin

von bürgerlichen Vereinigungen, künstlichen Garantien, Konstitutionen und
Organisationen spricht, von dem weichet, haltet ihn für einen Jakobiner oder
sür derselben Knecht, und wenn er auch seine Stimme holdselig macht, von
Milde und Mäßigung, von Liberalität und Humanität, von Kultur, von Ver¬
vollkommnung u. s. w. spricht, so glaubet ihm nicht, denn es sind sieben
Greuel in seinem Herzen!" Mohl sagt, dies Werk sei nicht bloß ein Buch,
sondern eine gewaltige politische That gewesen und habe das unleugbare Ver¬
dienst, die dogmatischen Staatswissenschaften durch Aufnahme einer Reihe von
Staatsarten, die bis dahin keine Berücksichtigung gefunden hatten, in den
Kreis der Beobachtung erweitert zu haben. Was uns betrifft, so finden wir
ein weitres Verdienst auch darin, daß es die alte Auffassung von dem natur¬
rechtlichen Ursprung der Gesellschaft endgiltig beseitigte; die Natur hat nie
Gesetze gegeben, nie Rechte geschaffen, sondern Bedürfnis und Macht des
Menschen thaten dies. Dieser Satz, den heute auch radikale Theoretiker gelten
lassen,") geht zuletzt auf Haller zurück.

Die folgenden fünf Bünde der „Restauration," in denen er seine Ansicht
an den verschiedne» Staatsarten dargelegt, erschienen von 1812 bis 1834.
Inzwischen war es allenthalben in Europa und selbst jenseits des Ozeans zu
Revolutionen gekommen, und in vielen Ländern hatten die von ihm so sehr
verschenken Theorien Leben gewonnen. Weit entfernt aber, sich deshalb mit
ihnen auseinanderzusetzen oder abzufinden, wie es z. B. Gentz und in einer
spätern Periode Ranke gethan hat, wurde Haller dadurch immer verbitterter.
Am bekanntesten ist die grimmige Schrift, zu der ihn die Konstitution der
spanischen Cortes von 1820 veranlaßt hat; sie besteht ans einem ältern, schon
1814 geschriebnen Teil, worin die Verfassung von 1812 einer ausführlichen
Kritik unterzogen wird, und aus spätern Bemerkungen, die hinzugefügt wurden,
als durch die Revolution von 1820 jener Entwurf aufs neue Gesetzeskraft ge¬
winnen sollte. Niemand wird heute dieses Machwerk, das nichts als eine
oberflächliche Nachahmung der französischen Konstitution von 17i)1 ist, in
Schutz nehmen »vollen, aber Haller wendet sich darin mit fanatischem Un¬
gestüm gegen jeden Versuch, ans Grund der revolutionären Theorien die mon¬
archische Gewalt zu beschränken. „Fliehet das Wort Konstitution," ruft er
im Nachwort, „es ist Gift in Monarchien, darum weil es eine demokratische
Grundlage voraussetzt, deu innern Krieg organisirt und zwei auf Leben und
Tod gegen einander dampfende Elemente schafft." Ein „Leichenwort" nennt
er an einer andern Stelle das Wort Konstitution, „welches Verderben mit
sich führt und eiuen Totengeruch verbreitet." Er wagt deu Satz: „Die Volker
bedürfen weit mehr ihre rechtmäßigen Könige als die Könige ihre Völker," er



*) Ich finde ihn u. a., gerade so gefaßt, in einem Vortrage I. Platters über die Boden¬
verstaatlichung. Deutsche Worte, April 1893, S. 218.
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[0600] Zur Geschichte der konservativen Doktrin von bürgerlichen Vereinigungen, künstlichen Garantien, Konstitutionen und Organisationen spricht, von dem weichet, haltet ihn für einen Jakobiner oder sür derselben Knecht, und wenn er auch seine Stimme holdselig macht, von Milde und Mäßigung, von Liberalität und Humanität, von Kultur, von Ver¬ vollkommnung u. s. w. spricht, so glaubet ihm nicht, denn es sind sieben Greuel in seinem Herzen!" Mohl sagt, dies Werk sei nicht bloß ein Buch, sondern eine gewaltige politische That gewesen und habe das unleugbare Ver¬ dienst, die dogmatischen Staatswissenschaften durch Aufnahme einer Reihe von Staatsarten, die bis dahin keine Berücksichtigung gefunden hatten, in den Kreis der Beobachtung erweitert zu haben. Was uns betrifft, so finden wir ein weitres Verdienst auch darin, daß es die alte Auffassung von dem natur¬ rechtlichen Ursprung der Gesellschaft endgiltig beseitigte; die Natur hat nie Gesetze gegeben, nie Rechte geschaffen, sondern Bedürfnis und Macht des Menschen thaten dies. Dieser Satz, den heute auch radikale Theoretiker gelten lassen,") geht zuletzt auf Haller zurück. Die folgenden fünf Bünde der „Restauration," in denen er seine Ansicht an den verschiedne» Staatsarten dargelegt, erschienen von 1812 bis 1834. Inzwischen war es allenthalben in Europa und selbst jenseits des Ozeans zu Revolutionen gekommen, und in vielen Ländern hatten die von ihm so sehr verschenken Theorien Leben gewonnen. Weit entfernt aber, sich deshalb mit ihnen auseinanderzusetzen oder abzufinden, wie es z. B. Gentz und in einer spätern Periode Ranke gethan hat, wurde Haller dadurch immer verbitterter. Am bekanntesten ist die grimmige Schrift, zu der ihn die Konstitution der spanischen Cortes von 1820 veranlaßt hat; sie besteht ans einem ältern, schon 1814 geschriebnen Teil, worin die Verfassung von 1812 einer ausführlichen Kritik unterzogen wird, und aus spätern Bemerkungen, die hinzugefügt wurden, als durch die Revolution von 1820 jener Entwurf aufs neue Gesetzeskraft ge¬ winnen sollte. Niemand wird heute dieses Machwerk, das nichts als eine oberflächliche Nachahmung der französischen Konstitution von 17i)1 ist, in Schutz nehmen »vollen, aber Haller wendet sich darin mit fanatischem Un¬ gestüm gegen jeden Versuch, ans Grund der revolutionären Theorien die mon¬ archische Gewalt zu beschränken. „Fliehet das Wort Konstitution," ruft er im Nachwort, „es ist Gift in Monarchien, darum weil es eine demokratische Grundlage voraussetzt, deu innern Krieg organisirt und zwei auf Leben und Tod gegen einander dampfende Elemente schafft." Ein „Leichenwort" nennt er an einer andern Stelle das Wort Konstitution, „welches Verderben mit sich führt und eiuen Totengeruch verbreitet." Er wagt deu Satz: „Die Volker bedürfen weit mehr ihre rechtmäßigen Könige als die Könige ihre Völker," er *) Ich finde ihn u. a., gerade so gefaßt, in einem Vortrage I. Platters über die Boden¬ verstaatlichung. Deutsche Worte, April 1893, S. 218.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/600>, abgerufen am 09.01.2025.