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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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durch den grausamsten Zwang, durch zahllose Ungerechtigkeiten eingeführt
werden könnten und aller künstlichen Kombinationen ungeachtet immer un¬
zweckmäßig blieben.

Johannes von Müller hat dieses Buch Hallers gleich nach dessen Er¬
scheinen mit der "Empfindung heftiger Trauer, des Unwillens und Mißmuth"
gelesen; in einem Briefe, worin er davon spricht, führt er den Spruch an:
altri c1ni)aru traxit Wirtöntia, mentsiri, vuraront Kuxsri körr!i8?

1306 kehrte Haller in die Heimat zurück. Zwar die Verfassungsände¬
rung von 1798 war auch durch die Mediationsakte Napoleons von 1803
uicht rückgängig gemacht worden, aber wenigstens waren die Radikalen zur
Ruhe verwiesen und die föderative Gestaltung der Schweiz, die jene ange¬
fochten hatten, verbürgt wordeu. In Bern war der Rat trotz seiner demo¬
kratische!? Zusammensetzung unbefangen genug. Haltern mit der Professur des
Staatsrechts an der dortigen Universität zu betrauen. In der Antrittsvorlesung
"Über die Notwendigkeit einer andern obersten Begründung des Staatsrechts"
hat er jene flüchtigen Gedanken des Buches von 1799 über die Grundlage
der schweizerischen Kantonalrechte zum Gegenstand einer ausführlichen Erörte¬
rung gemacht, die ihm sogleich manche -- litterarische und andre -- Gegner-
schaften zuzog. Aber erst 1808 erschien eine systematische Zusammenfassung
und Entwicklung dieser Gedanken unter dem Titel "Handbuch der allgemeinen
Staatsklugheit nach den Gesetzen der Natur." Sowohl aus jener Rede wie
aus dieser Schrift geht hervor, daß er sich mit der Lage der Dinge in seinem
Vaterlnude keineswegs ausgesöhnt hatte. Endlich, nach dem Ausgang der napo¬
leonischen Herrschaft, war Hoffnung, daß die frühern Zustände wieder hergestellt
werden würden. Am 22. Dezember 1813 erklärte der große Rat von Bern die
Mediationsverfassung von 1802 für aufgehoben; andre Kantone folgten mit der¬
selben Erklärung. Aber obgleich Bern hierauf an der Spitze von acht alten Kan¬
tonen zu Luzern die Erklärung abgab, daß nunmehr wieder der Zustand zu Recht
eingetreten sei, der vor dem Eingreifen der französischen Revolutivnsregierung
jahrhundertelang bestanden habe, wurden trotzdem die alten Verfassungen
uicht wieder ins Leben gerufen; so wenig wie in Deutschland trat in der
Schweiz eine vollständige Restauration ein, insbesondre blieben alle Uuter-
thanenverhältnisse abgeschafft. Hierdurch waren die Altkonservativen, denen sich
Hnller selbstverständlich anschloß, keineswegs befriedigt. In dein großen Rat,
>u den er durch seine Partei gelangte, trat er mit Leidenschaft und Hart¬
näckigkeit gegen jede Weiterbildung der heimischen Institutionen auf der ver¬
haßten revolutionären Grundlage auf. 1816 gab er den ersten Band seines
Hauptwerkes, der "Restauration der Staatswissenschaften oder Theorie des
natürlich geselligen Zustandes" heraus, der das Motto aus Juvenal trägt:
biuwyuam Muck vswiÄ kling WMntm, äsest. Gleich in der Vorrede wird
die konstitutionelle Theorie mit einer Art von Fluch belegt: "Wer stets


durch den grausamsten Zwang, durch zahllose Ungerechtigkeiten eingeführt
werden könnten und aller künstlichen Kombinationen ungeachtet immer un¬
zweckmäßig blieben.

Johannes von Müller hat dieses Buch Hallers gleich nach dessen Er¬
scheinen mit der „Empfindung heftiger Trauer, des Unwillens und Mißmuth"
gelesen; in einem Briefe, worin er davon spricht, führt er den Spruch an:
altri c1ni)aru traxit Wirtöntia, mentsiri, vuraront Kuxsri körr!i8?

1306 kehrte Haller in die Heimat zurück. Zwar die Verfassungsände¬
rung von 1798 war auch durch die Mediationsakte Napoleons von 1803
uicht rückgängig gemacht worden, aber wenigstens waren die Radikalen zur
Ruhe verwiesen und die föderative Gestaltung der Schweiz, die jene ange¬
fochten hatten, verbürgt wordeu. In Bern war der Rat trotz seiner demo¬
kratische!? Zusammensetzung unbefangen genug. Haltern mit der Professur des
Staatsrechts an der dortigen Universität zu betrauen. In der Antrittsvorlesung
„Über die Notwendigkeit einer andern obersten Begründung des Staatsrechts"
hat er jene flüchtigen Gedanken des Buches von 1799 über die Grundlage
der schweizerischen Kantonalrechte zum Gegenstand einer ausführlichen Erörte¬
rung gemacht, die ihm sogleich manche — litterarische und andre — Gegner-
schaften zuzog. Aber erst 1808 erschien eine systematische Zusammenfassung
und Entwicklung dieser Gedanken unter dem Titel „Handbuch der allgemeinen
Staatsklugheit nach den Gesetzen der Natur." Sowohl aus jener Rede wie
aus dieser Schrift geht hervor, daß er sich mit der Lage der Dinge in seinem
Vaterlnude keineswegs ausgesöhnt hatte. Endlich, nach dem Ausgang der napo¬
leonischen Herrschaft, war Hoffnung, daß die frühern Zustände wieder hergestellt
werden würden. Am 22. Dezember 1813 erklärte der große Rat von Bern die
Mediationsverfassung von 1802 für aufgehoben; andre Kantone folgten mit der¬
selben Erklärung. Aber obgleich Bern hierauf an der Spitze von acht alten Kan¬
tonen zu Luzern die Erklärung abgab, daß nunmehr wieder der Zustand zu Recht
eingetreten sei, der vor dem Eingreifen der französischen Revolutivnsregierung
jahrhundertelang bestanden habe, wurden trotzdem die alten Verfassungen
uicht wieder ins Leben gerufen; so wenig wie in Deutschland trat in der
Schweiz eine vollständige Restauration ein, insbesondre blieben alle Uuter-
thanenverhältnisse abgeschafft. Hierdurch waren die Altkonservativen, denen sich
Hnller selbstverständlich anschloß, keineswegs befriedigt. In dein großen Rat,
>u den er durch seine Partei gelangte, trat er mit Leidenschaft und Hart¬
näckigkeit gegen jede Weiterbildung der heimischen Institutionen auf der ver¬
haßten revolutionären Grundlage auf. 1816 gab er den ersten Band seines
Hauptwerkes, der „Restauration der Staatswissenschaften oder Theorie des
natürlich geselligen Zustandes" heraus, der das Motto aus Juvenal trägt:
biuwyuam Muck vswiÄ kling WMntm, äsest. Gleich in der Vorrede wird
die konstitutionelle Theorie mit einer Art von Fluch belegt: „Wer stets


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[0599] durch den grausamsten Zwang, durch zahllose Ungerechtigkeiten eingeführt werden könnten und aller künstlichen Kombinationen ungeachtet immer un¬ zweckmäßig blieben. Johannes von Müller hat dieses Buch Hallers gleich nach dessen Er¬ scheinen mit der „Empfindung heftiger Trauer, des Unwillens und Mißmuth" gelesen; in einem Briefe, worin er davon spricht, führt er den Spruch an: altri c1ni)aru traxit Wirtöntia, mentsiri, vuraront Kuxsri körr!i8? 1306 kehrte Haller in die Heimat zurück. Zwar die Verfassungsände¬ rung von 1798 war auch durch die Mediationsakte Napoleons von 1803 uicht rückgängig gemacht worden, aber wenigstens waren die Radikalen zur Ruhe verwiesen und die föderative Gestaltung der Schweiz, die jene ange¬ fochten hatten, verbürgt wordeu. In Bern war der Rat trotz seiner demo¬ kratische!? Zusammensetzung unbefangen genug. Haltern mit der Professur des Staatsrechts an der dortigen Universität zu betrauen. In der Antrittsvorlesung „Über die Notwendigkeit einer andern obersten Begründung des Staatsrechts" hat er jene flüchtigen Gedanken des Buches von 1799 über die Grundlage der schweizerischen Kantonalrechte zum Gegenstand einer ausführlichen Erörte¬ rung gemacht, die ihm sogleich manche — litterarische und andre — Gegner- schaften zuzog. Aber erst 1808 erschien eine systematische Zusammenfassung und Entwicklung dieser Gedanken unter dem Titel „Handbuch der allgemeinen Staatsklugheit nach den Gesetzen der Natur." Sowohl aus jener Rede wie aus dieser Schrift geht hervor, daß er sich mit der Lage der Dinge in seinem Vaterlnude keineswegs ausgesöhnt hatte. Endlich, nach dem Ausgang der napo¬ leonischen Herrschaft, war Hoffnung, daß die frühern Zustände wieder hergestellt werden würden. Am 22. Dezember 1813 erklärte der große Rat von Bern die Mediationsverfassung von 1802 für aufgehoben; andre Kantone folgten mit der¬ selben Erklärung. Aber obgleich Bern hierauf an der Spitze von acht alten Kan¬ tonen zu Luzern die Erklärung abgab, daß nunmehr wieder der Zustand zu Recht eingetreten sei, der vor dem Eingreifen der französischen Revolutivnsregierung jahrhundertelang bestanden habe, wurden trotzdem die alten Verfassungen uicht wieder ins Leben gerufen; so wenig wie in Deutschland trat in der Schweiz eine vollständige Restauration ein, insbesondre blieben alle Uuter- thanenverhältnisse abgeschafft. Hierdurch waren die Altkonservativen, denen sich Hnller selbstverständlich anschloß, keineswegs befriedigt. In dein großen Rat, >u den er durch seine Partei gelangte, trat er mit Leidenschaft und Hart¬ näckigkeit gegen jede Weiterbildung der heimischen Institutionen auf der ver¬ haßten revolutionären Grundlage auf. 1816 gab er den ersten Band seines Hauptwerkes, der „Restauration der Staatswissenschaften oder Theorie des natürlich geselligen Zustandes" heraus, der das Motto aus Juvenal trägt: biuwyuam Muck vswiÄ kling WMntm, äsest. Gleich in der Vorrede wird die konstitutionelle Theorie mit einer Art von Fluch belegt: „Wer stets

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/599>, abgerufen am 09.01.2025.