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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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und Folgen dieses Feldzugs, "ein historisches Gemälde der Schweiz," ver¬
öffentlichte er 1802 in Weimar; er bemühte sich darin zu zeigen, daß die
kurze Herrschaft revolutionärer Prinzipien in der Schweiz überall allgemeine
Unzufriedenheit erzeugt habe und der Sieg der österreichisch-russischen Waffen
selbst dort mit Sehnsucht herbeigewünscht werde, wo, wie im bernischen Ober¬
lande, die sogenannte Aufklärung allgemein verbreitet sei. "Woher -- fragt
er -- ist diese Erscheinung anders zu erklären, als aus dem natürlichen Ge¬
fühl, dem gesunden Volksverstaud, der alle Afterphilosophen zu Schande"
macht, daß Zernichtuug alles Standvermögens, Umstürzung aller vater¬
ländischen Einrichtungen, Gewohnheiten und eignen innern Landesgesetze, an
deren Platz nur willkürliche Beamten, snchleeres, unverständliches Gewäsche,
Auflagen und fremde Truppen kommen, weder Freiheit noch Glück zu bewirken
fähig sind, sondern geradezu das Grab aller Freiheit und alles Glückes aus¬
machen müssen," Wo er dann die Frage erörtert, was nach dem Siege der
Verbündeten und dem Zusammenbruch der neuen Ordnung in der Schweiz hätte
geschehen sollen und können, entwickelt er schon den Gedanken, der hernach der
Grundpfeiler seines ganzen Systems geworden ist. "Selbst das ganze Volk
sagt er -- ist nicht berechtigt, irgend jemand seine Privatrechte abzusprechen."
Die Herrschaft der Hauptstädte in den sogenannten aristokratischen Kantonen
über das Land beruhe aber eben auf Privatrechten. Es wäre leicht zu be¬
weisen, meint er an einer andern Stelle, daß eine Anordnung, wobei jedes
ursprüngliche Glied des Staates seine Rechte behält, niemand etwas wesent¬
lichen aufopfert und der Souverän nur gewisse, zur gemeinsamen Einigkeit
unentbehrliche Befugnisse hat, d. i. eine durch Verträge bestimmte Ober¬
herrschaft, wie sie in der Schweiz (vor 1798) rein geblieben war, im Grunde
weit billiger und der individuellen Freiheit angemeßner sei, als die neuen
sogenannten repräsentativen Regierungen, die zwar -- das wie? will er gar
nicht berühren -- aus dem Volke hervorgingen, allein, einmal gesetzt, ihrem
wesentlichen Charakter nach völlig unumschränkt, an nichts gebunden seien,
kein Gesetz als ihren Willen kennten, kein Interesse zur Erhaltung fremder
Rechte hätten und bei dem, was sie als öffentliches Bedürfnis aufgaben, uicht
ihr eignes Gut, sondern das der übrigen verzehrten. Diese einfache Einrich¬
tung lasse jeden: das Seine und weiche den Kollisionen durch Festsetzung be¬
stimmter Verhältnisse aus. Sie gründe sich auf Vertrage, von Bedürfnissen
herbeigeführt, und sei eben deswegen teils frei, teils dem Zwecke angemessen;
sie gehe ans allen menschlichen Verbindungen, "gleichsam aus der Natur der
Dinge" hervor und schließe sich dabei wieder schwesterlich ihr an, während
die neuen Verfassungen, die man philosophisch nenne, einem jeden das Seine,
d. h. die eignen gesellschaftlichen Rechte nähmen und alle Privatzweckc zer¬
störten, sich auf keinen Vertrag gründeten, sondern einer metaphysischen Idee
zuliebe, aber allen Wünschen, Verhältnissen und Bedürfnissen zum Trotz, nur


und Folgen dieses Feldzugs, „ein historisches Gemälde der Schweiz," ver¬
öffentlichte er 1802 in Weimar; er bemühte sich darin zu zeigen, daß die
kurze Herrschaft revolutionärer Prinzipien in der Schweiz überall allgemeine
Unzufriedenheit erzeugt habe und der Sieg der österreichisch-russischen Waffen
selbst dort mit Sehnsucht herbeigewünscht werde, wo, wie im bernischen Ober¬
lande, die sogenannte Aufklärung allgemein verbreitet sei. „Woher — fragt
er — ist diese Erscheinung anders zu erklären, als aus dem natürlichen Ge¬
fühl, dem gesunden Volksverstaud, der alle Afterphilosophen zu Schande»
macht, daß Zernichtuug alles Standvermögens, Umstürzung aller vater¬
ländischen Einrichtungen, Gewohnheiten und eignen innern Landesgesetze, an
deren Platz nur willkürliche Beamten, snchleeres, unverständliches Gewäsche,
Auflagen und fremde Truppen kommen, weder Freiheit noch Glück zu bewirken
fähig sind, sondern geradezu das Grab aller Freiheit und alles Glückes aus¬
machen müssen," Wo er dann die Frage erörtert, was nach dem Siege der
Verbündeten und dem Zusammenbruch der neuen Ordnung in der Schweiz hätte
geschehen sollen und können, entwickelt er schon den Gedanken, der hernach der
Grundpfeiler seines ganzen Systems geworden ist. „Selbst das ganze Volk
sagt er — ist nicht berechtigt, irgend jemand seine Privatrechte abzusprechen."
Die Herrschaft der Hauptstädte in den sogenannten aristokratischen Kantonen
über das Land beruhe aber eben auf Privatrechten. Es wäre leicht zu be¬
weisen, meint er an einer andern Stelle, daß eine Anordnung, wobei jedes
ursprüngliche Glied des Staates seine Rechte behält, niemand etwas wesent¬
lichen aufopfert und der Souverän nur gewisse, zur gemeinsamen Einigkeit
unentbehrliche Befugnisse hat, d. i. eine durch Verträge bestimmte Ober¬
herrschaft, wie sie in der Schweiz (vor 1798) rein geblieben war, im Grunde
weit billiger und der individuellen Freiheit angemeßner sei, als die neuen
sogenannten repräsentativen Regierungen, die zwar — das wie? will er gar
nicht berühren — aus dem Volke hervorgingen, allein, einmal gesetzt, ihrem
wesentlichen Charakter nach völlig unumschränkt, an nichts gebunden seien,
kein Gesetz als ihren Willen kennten, kein Interesse zur Erhaltung fremder
Rechte hätten und bei dem, was sie als öffentliches Bedürfnis aufgaben, uicht
ihr eignes Gut, sondern das der übrigen verzehrten. Diese einfache Einrich¬
tung lasse jeden: das Seine und weiche den Kollisionen durch Festsetzung be¬
stimmter Verhältnisse aus. Sie gründe sich auf Vertrage, von Bedürfnissen
herbeigeführt, und sei eben deswegen teils frei, teils dem Zwecke angemessen;
sie gehe ans allen menschlichen Verbindungen, „gleichsam aus der Natur der
Dinge" hervor und schließe sich dabei wieder schwesterlich ihr an, während
die neuen Verfassungen, die man philosophisch nenne, einem jeden das Seine,
d. h. die eignen gesellschaftlichen Rechte nähmen und alle Privatzweckc zer¬
störten, sich auf keinen Vertrag gründeten, sondern einer metaphysischen Idee
zuliebe, aber allen Wünschen, Verhältnissen und Bedürfnissen zum Trotz, nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/598>, abgerufen am 08.01.2025.