Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.An die Antiker des Fürsten Bismcirck gar nichts Neues. Daß er gegen die Handelsverträge in ihrer vereinbarten An die Antiker des Fürsten Bismcirck gar nichts Neues. Daß er gegen die Handelsverträge in ihrer vereinbarten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212535"/> <fw type="header" place="top"> An die Antiker des Fürsten Bismcirck</fw><lb/> <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136" next="#ID_138"> gar nichts Neues. Daß er gegen die Handelsverträge in ihrer vereinbarten<lb/> Gestalt ist, wußte man längst, und daß er auf gute Beziehungen zu Rußland<lb/> den höchsten Wert legt, das ist ebenfalls längst bekannt- Jene haben die Probe<lb/> noch nicht bestanden, erst die Zukunft also muß lehren, wer Recht hat; aber<lb/> wenn Vismarck die „Unzulänglichkeit" der deutschen Unterhändler tadelt, so<lb/> hat er doch wohl den Anspruch darauf, daß diese seine Meinung mindestens<lb/> ebensoviel gelte, als die Lobpreisungen irgendwelches namenlosen Zeitungs-<lb/> korrespoudcnteu für Volkswirtschaft. Was das zweite betrifft, so versucht die<lb/> „norddeutsche Allgemeine Zeitung" den Nachweis, daß der frühere Reichs¬<lb/> kanzler selbst die von ihm jetzt getadelte Veränderung unsers Verhältnisses zu<lb/> Rußland herbeigeführt habe, indem er den Dreibund schloß und die russischen<lb/> Werte aus Deutschland verdrängte. Gewiß hat er das gethan, aber hat er<lb/> es etwa jetzt geleugnet oder — vergessen? Er hat nur bedauert, daß der<lb/> „Draht" zwischen uns und Rußland abgerissen sei, und dieser „Draht" war<lb/> das Vertrauen des Zaren auf den Fürsten, ein Vertraue», das beide« um so<lb/> mehr Ehre macht, je schwerer es sich Vismarck erworben hatte, und das der<lb/> Selbstherrscher in sehr bestimmter Weise zu bekunden noch jetzt nicht verschmäht<lb/> hat, indem er dem Grafen Waldersee in Kiel Grüße uach Friedrichsruh auf¬<lb/> trug. Die Politik, auch die große, wird bekanntlich nicht von Maschinen,<lb/> sondern von lebendigen Menschen gemacht, die ebenso fühlen wie andre<lb/> Sterbliche. Das Vertrauen ist also auch in diesen Verhältnissen etwas ganz<lb/> Persönliches, so gut wie im gewöhnlichen Leben, es läßt sich nicht über¬<lb/> tragen, es will durch Thaten erworben sein. Daß dies dem Grafen Caprivi<lb/> gegenüber dem Zaren nicht gelungen ist, das und nichts andres hat Vismarck<lb/> mit seinem Bilde sagen wollen, und weil er das wußte, deshalb hat er<lb/> auch den Augenblick seines eignen Rücktritts für schlecht gewählt erachtet.<lb/> Nun tadelt er außerdem die neue Poleupolitik. Daß sie so ziemlich das<lb/> Gegenteil von dem ist, was der gewesene Reichskanzler seit mehr als<lb/> vierzig Jahren für richtig gehalten hat, ist weltkundig. Wer ein gutes<lb/> Verhältnis zu Rußland will, der darf in den preußischen Polen keine Hoff¬<lb/> nungen erwecken, deren Verwirklichung die Russen mindestens bis hinter die<lb/> Pripetsümpfe zurückwerfen würde; wer das thut, der gefährdet unser Ver¬<lb/> hältnis zu Rußland. Das kann ja notwendig sein, und wir maßen uns nicht<lb/> an, die Gründe der jetzigen Regierung zu verurteilen, weil wir sie nicht kennen.<lb/> Wenn man wirklich einen Krieg gegen Rußland für unvermeidlich ansieht,<lb/> dann mag man ja die nationalen Hoffnungen der Polen beleben, und man<lb/> wird vielleicht sogar die Wiederherstellung Polens ins Auge fassen müssen,<lb/> aber gewiß nur als letztes, äußerstes Mittel, das unabsehbare Umwälzungen<lb/> in Osteuropa herbeiführen würde. Vorläufig ist die Antwort auf die neue<lb/> deutsche Politik die Verbrüderung von Kronstäbe und das russisch-französische<lb/> Einverständnis, das hintanzuhalten Fürst Vismarck immer als eine seiner</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
An die Antiker des Fürsten Bismcirck
gar nichts Neues. Daß er gegen die Handelsverträge in ihrer vereinbarten
Gestalt ist, wußte man längst, und daß er auf gute Beziehungen zu Rußland
den höchsten Wert legt, das ist ebenfalls längst bekannt- Jene haben die Probe
noch nicht bestanden, erst die Zukunft also muß lehren, wer Recht hat; aber
wenn Vismarck die „Unzulänglichkeit" der deutschen Unterhändler tadelt, so
hat er doch wohl den Anspruch darauf, daß diese seine Meinung mindestens
ebensoviel gelte, als die Lobpreisungen irgendwelches namenlosen Zeitungs-
korrespoudcnteu für Volkswirtschaft. Was das zweite betrifft, so versucht die
„norddeutsche Allgemeine Zeitung" den Nachweis, daß der frühere Reichs¬
kanzler selbst die von ihm jetzt getadelte Veränderung unsers Verhältnisses zu
Rußland herbeigeführt habe, indem er den Dreibund schloß und die russischen
Werte aus Deutschland verdrängte. Gewiß hat er das gethan, aber hat er
es etwa jetzt geleugnet oder — vergessen? Er hat nur bedauert, daß der
„Draht" zwischen uns und Rußland abgerissen sei, und dieser „Draht" war
das Vertrauen des Zaren auf den Fürsten, ein Vertraue», das beide« um so
mehr Ehre macht, je schwerer es sich Vismarck erworben hatte, und das der
Selbstherrscher in sehr bestimmter Weise zu bekunden noch jetzt nicht verschmäht
hat, indem er dem Grafen Waldersee in Kiel Grüße uach Friedrichsruh auf¬
trug. Die Politik, auch die große, wird bekanntlich nicht von Maschinen,
sondern von lebendigen Menschen gemacht, die ebenso fühlen wie andre
Sterbliche. Das Vertrauen ist also auch in diesen Verhältnissen etwas ganz
Persönliches, so gut wie im gewöhnlichen Leben, es läßt sich nicht über¬
tragen, es will durch Thaten erworben sein. Daß dies dem Grafen Caprivi
gegenüber dem Zaren nicht gelungen ist, das und nichts andres hat Vismarck
mit seinem Bilde sagen wollen, und weil er das wußte, deshalb hat er
auch den Augenblick seines eignen Rücktritts für schlecht gewählt erachtet.
Nun tadelt er außerdem die neue Poleupolitik. Daß sie so ziemlich das
Gegenteil von dem ist, was der gewesene Reichskanzler seit mehr als
vierzig Jahren für richtig gehalten hat, ist weltkundig. Wer ein gutes
Verhältnis zu Rußland will, der darf in den preußischen Polen keine Hoff¬
nungen erwecken, deren Verwirklichung die Russen mindestens bis hinter die
Pripetsümpfe zurückwerfen würde; wer das thut, der gefährdet unser Ver¬
hältnis zu Rußland. Das kann ja notwendig sein, und wir maßen uns nicht
an, die Gründe der jetzigen Regierung zu verurteilen, weil wir sie nicht kennen.
Wenn man wirklich einen Krieg gegen Rußland für unvermeidlich ansieht,
dann mag man ja die nationalen Hoffnungen der Polen beleben, und man
wird vielleicht sogar die Wiederherstellung Polens ins Auge fassen müssen,
aber gewiß nur als letztes, äußerstes Mittel, das unabsehbare Umwälzungen
in Osteuropa herbeiführen würde. Vorläufig ist die Antwort auf die neue
deutsche Politik die Verbrüderung von Kronstäbe und das russisch-französische
Einverständnis, das hintanzuhalten Fürst Vismarck immer als eine seiner
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