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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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An die Kritiker des Fürsten Bismarck

Hauptaufgaben betrachtet hat. Seine Kritik ist jedenfalls nur die Konsequenz
dessen, was er immer vertreten hat.

Es wäre gewiß uuter allen Umständen rücksichtsvoller gewesen, wenn er
diese Kritik jetzt nicht geübt hätte. Aber er hält es nicht nur für sein Recht,
sondern geradezu für seine patriotische Pflicht, auf Grund einer Erfahrung, wie
sie kein andrer Sterblicher besitzt, seine warnende Stimme zu erheben, wo nach
seiner Meinung das Neichsschifs einen falschen Kurs steuert. Diese Auffassung der
Pflicht aber ist auch etwas höchst Persönliches. Und wenn er das Verfahren der
jetzigen Regierung in dem einen oder dem andern Punkte tadelt, ohne doch je¬
mals die Ehrfurcht vor der Person des Kaisers zu verletzen, so hat er bloß das
offen herausgesagt, was Hunderttausende denken. Es ist nicht anders -- und das
sei ehrlich ausgesprochen, wie es diesen grünen Blättern ziemt -- das felsenfeste
Vertrauen, das die Nation früher auf die Neichsregiernng setzte, solange Fürst
Bismarck das Nuder führte, hat sich auf seinen Nachfolger nicht übertragen, denn
es ist etwas Persönliches und will in langer, erfolgreicher Arbeit erworben sein.
Und wenn die "norddeutsche Allgemeine Zeitung" in erfreulicher Übereinstim-
mung mit Ultrnmontanen, Sozialdemokraten und Freisinnigen die vorwurfsvolle
Frage hinzufügt, ob eine solche Kritik "patriotisch" sei, oder wenn gar andre
Leute, die die freiheitliche Gesinnung in Erbpacht genommen haben, gegen ein
freies Wort des größten Deutschen nach dein Staatsanwalt rufen und von "an
Vaterlandsverrat streifenden" Handlungen faseln, so fragen wir entgegen: Darf
man dem Mitbegründer des Reichs, und zwar in demfelben Augenblicke, wo er
immer und immer wieder, in Dresden, München und Augsburg, feine patriotische
Freude über das Gelingen seines Lebenswerks in den wärmsten Worten und oft
in tiefster Bewegung ausgesprochen hat, zutrauen, daß er etwas Unpatriotisches
thue? Und wir fragen weiter: Ist die Kritik der Regierung an sich etwa un¬
patriotisch? Handelte der Freiherr vom Stein ""patriotisch, als er vor der
Katastrophe von 1800 die Kabinettsregierung Friedrich Wilhelms des Dritten in
der denkbar schärfsten Weise angriff? Halten sich die "Freisinnigen" für Neichs-
verräter, weil sie fast gegen alle Grundgesetze des Reichs gestimmt haben? Für
solche Kundgebungen wie die ihrigen in diesem Falle haben wir nur herzliche
Verachtung.

Wir beklagen aufs allertiefste den, wie es nach dem letzten, vor wenigen
Wochen wohl unzweifelhaft unternommenen Ausgleichsvcrsuche leider scheint,
unheilbar gewordnen Bruch zwischen dein Kaiser und dem Kanzler, denn die Ver¬
pflichtung des deutschen Volks gegen den Fürsten Bismarck ist so groß, daß es
nichts giebt, was unsre Dankbarkeit auslöschen kann und darf, und wir sind viel
zu gut monarchisch gesinnt, als daß wir es nicht peinlich empfinden sollten, wenn
seinem Nachfolger, der das Vertrauen des Kaisers hat. das Vertrauen der
Kreise fehlt, mit deren Hilfe das Reich aufgerichtet worden ist. Aber das möge
man bedenken: wer gegen den Fürsten Bismarck in der Weise vorgeht, wie es die


An die Kritiker des Fürsten Bismarck

Hauptaufgaben betrachtet hat. Seine Kritik ist jedenfalls nur die Konsequenz
dessen, was er immer vertreten hat.

Es wäre gewiß uuter allen Umständen rücksichtsvoller gewesen, wenn er
diese Kritik jetzt nicht geübt hätte. Aber er hält es nicht nur für sein Recht,
sondern geradezu für seine patriotische Pflicht, auf Grund einer Erfahrung, wie
sie kein andrer Sterblicher besitzt, seine warnende Stimme zu erheben, wo nach
seiner Meinung das Neichsschifs einen falschen Kurs steuert. Diese Auffassung der
Pflicht aber ist auch etwas höchst Persönliches. Und wenn er das Verfahren der
jetzigen Regierung in dem einen oder dem andern Punkte tadelt, ohne doch je¬
mals die Ehrfurcht vor der Person des Kaisers zu verletzen, so hat er bloß das
offen herausgesagt, was Hunderttausende denken. Es ist nicht anders — und das
sei ehrlich ausgesprochen, wie es diesen grünen Blättern ziemt — das felsenfeste
Vertrauen, das die Nation früher auf die Neichsregiernng setzte, solange Fürst
Bismarck das Nuder führte, hat sich auf seinen Nachfolger nicht übertragen, denn
es ist etwas Persönliches und will in langer, erfolgreicher Arbeit erworben sein.
Und wenn die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" in erfreulicher Übereinstim-
mung mit Ultrnmontanen, Sozialdemokraten und Freisinnigen die vorwurfsvolle
Frage hinzufügt, ob eine solche Kritik „patriotisch" sei, oder wenn gar andre
Leute, die die freiheitliche Gesinnung in Erbpacht genommen haben, gegen ein
freies Wort des größten Deutschen nach dein Staatsanwalt rufen und von „an
Vaterlandsverrat streifenden" Handlungen faseln, so fragen wir entgegen: Darf
man dem Mitbegründer des Reichs, und zwar in demfelben Augenblicke, wo er
immer und immer wieder, in Dresden, München und Augsburg, feine patriotische
Freude über das Gelingen seines Lebenswerks in den wärmsten Worten und oft
in tiefster Bewegung ausgesprochen hat, zutrauen, daß er etwas Unpatriotisches
thue? Und wir fragen weiter: Ist die Kritik der Regierung an sich etwa un¬
patriotisch? Handelte der Freiherr vom Stein »»patriotisch, als er vor der
Katastrophe von 1800 die Kabinettsregierung Friedrich Wilhelms des Dritten in
der denkbar schärfsten Weise angriff? Halten sich die „Freisinnigen" für Neichs-
verräter, weil sie fast gegen alle Grundgesetze des Reichs gestimmt haben? Für
solche Kundgebungen wie die ihrigen in diesem Falle haben wir nur herzliche
Verachtung.

Wir beklagen aufs allertiefste den, wie es nach dem letzten, vor wenigen
Wochen wohl unzweifelhaft unternommenen Ausgleichsvcrsuche leider scheint,
unheilbar gewordnen Bruch zwischen dein Kaiser und dem Kanzler, denn die Ver¬
pflichtung des deutschen Volks gegen den Fürsten Bismarck ist so groß, daß es
nichts giebt, was unsre Dankbarkeit auslöschen kann und darf, und wir sind viel
zu gut monarchisch gesinnt, als daß wir es nicht peinlich empfinden sollten, wenn
seinem Nachfolger, der das Vertrauen des Kaisers hat. das Vertrauen der
Kreise fehlt, mit deren Hilfe das Reich aufgerichtet worden ist. Aber das möge
man bedenken: wer gegen den Fürsten Bismarck in der Weise vorgeht, wie es die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/60>, abgerufen am 06.01.2025.