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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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I. G. Fichtes geschlossener Hcmdelsstcicit

Wertes, das Korn, kann doch unmöglich für jede Ware wirklich zugemessen
werden. Welche ungeheuern Mengen von Korn müßte man dann, abgesehen
von allem Verbrauch, haben? Man wird also wie jetzt in den zivilisirten
Staaten ein besondres Tauschmittel alles Wertes brauchen, und zwar muß
dessen Wert, da ja aller Handel im Vernunftstaat unter Gesetzen steht und
berechnet werden soll, unwandelbar sein; wandelbarer Wert, wie ihn unser
jetziges Metallgeld hat, der sich nach der Meinung richtet, die man von ihm
hat, kann nicht sicher berechnet werden. Das Geld im geschlossenen Handels¬
staat soll ein bloßes Zeichen, aber ein Zeichen eines unveränderlichen Wertes
sein. Zum bloßen Zeichen ist die unbrauchbarste Sache, die den wenigsten
innern Wert hat, am schicklichsten; brauchbarer Stoff soll für andre Zwecke
verwendet werden. Das Geld wird also aus dem wenigst brauchbaren Ma¬
terial verfertigt werden. Es braucht der ausschließliche Wert desselben nur
deklarirt zu werden, um Landesgeld zu erhalten, das der Bürger des ge¬
schlossenen Handelsstaates, der keinen Verkehr mit dem Auslande hat, allein
brauchen kann. Man muß das Geld, um der öffentlichen Sicherheit willen,
aus einer dauerhaften Materie bereiten, die einer beträchtlichen Abnutzung
nicht ausgesetzt ist. Auch muß es aus einem Stoff bestehen, der nicht nach¬
gemacht werden kaun; irgend ein wesentlicher Bestandteil der Zusammensetzung
muß Staatsgeheimnis sein, im monarchischen Staat nur der regierenden Familie
bekannt. Ob sich die Unterthanen dieses neue Landesgeld auf der Stelle an-
schaffen und ihr Gold und Silber dagegen umtauschen wollen oder nicht, das
soll gar nicht von ihrem guten Willen abhängen, sondern sie sollen zum
Tausche genötigt sein.

Man sieht, mit der Freiheit in diesem sozial eingerichteten Vernunftstaat
sieht es etwas wunderlich aus. Die Regierung ist mit der souveränsten Macht
ausgestattet. Wenn man fragen wollte, welche Bürgschaft gegen ihren Mi߬
brauch gegeben sei, so findet man zwar in der Schrift über den geschlos¬
senen Handelsstaat selbst nicht die Antwort Fichtes, aber wohl in seinem
Naturrecht. Dasselbe Ephorat, das er hier als eine höchstbeaufsichtigende
Staatsbehörde über die Konstitutionalität und Gerechtigkeit der souveränen
Macht fordert, wird er auch über die souveräne Macht seines geschlossenen
Handelsstaats fordern. Fragt man dann weiter, welche Bürgschaft es gebe,
daß sich die Ephoren nicht selbst mit der exekutiven Macht zur Unterdrückung
des Volkes verbinden, so hilft sich Fichte damit, daß er sagt: das Volk habe
darüber zu wache"; mit andern Worten, er wendet sich an die Revolution.
Freilich soll auch das Ephorat wieder da sein, um diese Revolution unmög¬
lich zu machen. Aber Fichte hat ein Gefühl davon, daß sich die Einrichtung
des Evhorats doch als unzureichende Bürgschaft erweisen möchte, und in diesem
Gefühle von dessen Unzulänglichkeit meint er, daß eine Nation, die so durch¬
aus verderbt sei, daß selbst ihre Ausgezeichnetsten, die Ephoren, von solchen


I. G. Fichtes geschlossener Hcmdelsstcicit

Wertes, das Korn, kann doch unmöglich für jede Ware wirklich zugemessen
werden. Welche ungeheuern Mengen von Korn müßte man dann, abgesehen
von allem Verbrauch, haben? Man wird also wie jetzt in den zivilisirten
Staaten ein besondres Tauschmittel alles Wertes brauchen, und zwar muß
dessen Wert, da ja aller Handel im Vernunftstaat unter Gesetzen steht und
berechnet werden soll, unwandelbar sein; wandelbarer Wert, wie ihn unser
jetziges Metallgeld hat, der sich nach der Meinung richtet, die man von ihm
hat, kann nicht sicher berechnet werden. Das Geld im geschlossenen Handels¬
staat soll ein bloßes Zeichen, aber ein Zeichen eines unveränderlichen Wertes
sein. Zum bloßen Zeichen ist die unbrauchbarste Sache, die den wenigsten
innern Wert hat, am schicklichsten; brauchbarer Stoff soll für andre Zwecke
verwendet werden. Das Geld wird also aus dem wenigst brauchbaren Ma¬
terial verfertigt werden. Es braucht der ausschließliche Wert desselben nur
deklarirt zu werden, um Landesgeld zu erhalten, das der Bürger des ge¬
schlossenen Handelsstaates, der keinen Verkehr mit dem Auslande hat, allein
brauchen kann. Man muß das Geld, um der öffentlichen Sicherheit willen,
aus einer dauerhaften Materie bereiten, die einer beträchtlichen Abnutzung
nicht ausgesetzt ist. Auch muß es aus einem Stoff bestehen, der nicht nach¬
gemacht werden kaun; irgend ein wesentlicher Bestandteil der Zusammensetzung
muß Staatsgeheimnis sein, im monarchischen Staat nur der regierenden Familie
bekannt. Ob sich die Unterthanen dieses neue Landesgeld auf der Stelle an-
schaffen und ihr Gold und Silber dagegen umtauschen wollen oder nicht, das
soll gar nicht von ihrem guten Willen abhängen, sondern sie sollen zum
Tausche genötigt sein.

Man sieht, mit der Freiheit in diesem sozial eingerichteten Vernunftstaat
sieht es etwas wunderlich aus. Die Regierung ist mit der souveränsten Macht
ausgestattet. Wenn man fragen wollte, welche Bürgschaft gegen ihren Mi߬
brauch gegeben sei, so findet man zwar in der Schrift über den geschlos¬
senen Handelsstaat selbst nicht die Antwort Fichtes, aber wohl in seinem
Naturrecht. Dasselbe Ephorat, das er hier als eine höchstbeaufsichtigende
Staatsbehörde über die Konstitutionalität und Gerechtigkeit der souveränen
Macht fordert, wird er auch über die souveräne Macht seines geschlossenen
Handelsstaats fordern. Fragt man dann weiter, welche Bürgschaft es gebe,
daß sich die Ephoren nicht selbst mit der exekutiven Macht zur Unterdrückung
des Volkes verbinden, so hilft sich Fichte damit, daß er sagt: das Volk habe
darüber zu wache»; mit andern Worten, er wendet sich an die Revolution.
Freilich soll auch das Ephorat wieder da sein, um diese Revolution unmög¬
lich zu machen. Aber Fichte hat ein Gefühl davon, daß sich die Einrichtung
des Evhorats doch als unzureichende Bürgschaft erweisen möchte, und in diesem
Gefühle von dessen Unzulänglichkeit meint er, daß eine Nation, die so durch¬
aus verderbt sei, daß selbst ihre Ausgezeichnetsten, die Ephoren, von solchen


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[0546] I. G. Fichtes geschlossener Hcmdelsstcicit Wertes, das Korn, kann doch unmöglich für jede Ware wirklich zugemessen werden. Welche ungeheuern Mengen von Korn müßte man dann, abgesehen von allem Verbrauch, haben? Man wird also wie jetzt in den zivilisirten Staaten ein besondres Tauschmittel alles Wertes brauchen, und zwar muß dessen Wert, da ja aller Handel im Vernunftstaat unter Gesetzen steht und berechnet werden soll, unwandelbar sein; wandelbarer Wert, wie ihn unser jetziges Metallgeld hat, der sich nach der Meinung richtet, die man von ihm hat, kann nicht sicher berechnet werden. Das Geld im geschlossenen Handels¬ staat soll ein bloßes Zeichen, aber ein Zeichen eines unveränderlichen Wertes sein. Zum bloßen Zeichen ist die unbrauchbarste Sache, die den wenigsten innern Wert hat, am schicklichsten; brauchbarer Stoff soll für andre Zwecke verwendet werden. Das Geld wird also aus dem wenigst brauchbaren Ma¬ terial verfertigt werden. Es braucht der ausschließliche Wert desselben nur deklarirt zu werden, um Landesgeld zu erhalten, das der Bürger des ge¬ schlossenen Handelsstaates, der keinen Verkehr mit dem Auslande hat, allein brauchen kann. Man muß das Geld, um der öffentlichen Sicherheit willen, aus einer dauerhaften Materie bereiten, die einer beträchtlichen Abnutzung nicht ausgesetzt ist. Auch muß es aus einem Stoff bestehen, der nicht nach¬ gemacht werden kaun; irgend ein wesentlicher Bestandteil der Zusammensetzung muß Staatsgeheimnis sein, im monarchischen Staat nur der regierenden Familie bekannt. Ob sich die Unterthanen dieses neue Landesgeld auf der Stelle an- schaffen und ihr Gold und Silber dagegen umtauschen wollen oder nicht, das soll gar nicht von ihrem guten Willen abhängen, sondern sie sollen zum Tausche genötigt sein. Man sieht, mit der Freiheit in diesem sozial eingerichteten Vernunftstaat sieht es etwas wunderlich aus. Die Regierung ist mit der souveränsten Macht ausgestattet. Wenn man fragen wollte, welche Bürgschaft gegen ihren Mi߬ brauch gegeben sei, so findet man zwar in der Schrift über den geschlos¬ senen Handelsstaat selbst nicht die Antwort Fichtes, aber wohl in seinem Naturrecht. Dasselbe Ephorat, das er hier als eine höchstbeaufsichtigende Staatsbehörde über die Konstitutionalität und Gerechtigkeit der souveränen Macht fordert, wird er auch über die souveräne Macht seines geschlossenen Handelsstaats fordern. Fragt man dann weiter, welche Bürgschaft es gebe, daß sich die Ephoren nicht selbst mit der exekutiven Macht zur Unterdrückung des Volkes verbinden, so hilft sich Fichte damit, daß er sagt: das Volk habe darüber zu wache»; mit andern Worten, er wendet sich an die Revolution. Freilich soll auch das Ephorat wieder da sein, um diese Revolution unmög¬ lich zu machen. Aber Fichte hat ein Gefühl davon, daß sich die Einrichtung des Evhorats doch als unzureichende Bürgschaft erweisen möchte, und in diesem Gefühle von dessen Unzulänglichkeit meint er, daß eine Nation, die so durch¬ aus verderbt sei, daß selbst ihre Ausgezeichnetsten, die Ephoren, von solchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/546>, abgerufen am 08.01.2025.