Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Heilsarmee und Politik den bösen Zauber zu lösen, unter dem die arge Welt duldet. In die Heils¬ Wahrlich, es fällt schwer, die Satire nicht zu schreiben, die sich bei Be¬ Seit zwanzig Jahren ruft Frankreich Revanche, so laut es irgend gehen Aber der Krieg kam nicht, denn das rauchlose Pulver kam, und mit ihm Da kam die Hilfe von Nußland. Rußland brauchte Geld und hatte in Heilsarmee und Politik den bösen Zauber zu lösen, unter dem die arge Welt duldet. In die Heils¬ Wahrlich, es fällt schwer, die Satire nicht zu schreiben, die sich bei Be¬ Seit zwanzig Jahren ruft Frankreich Revanche, so laut es irgend gehen Aber der Krieg kam nicht, denn das rauchlose Pulver kam, und mit ihm Da kam die Hilfe von Nußland. Rußland brauchte Geld und hatte in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212529"/> <fw type="header" place="top"> Heilsarmee und Politik</fw><lb/> <p xml:id="ID_117" prev="#ID_116"> den bösen Zauber zu lösen, unter dem die arge Welt duldet. In die Heils¬<lb/> armee mit ihnen, so viel ihrer sind! Gewiß, es wird ein gutes Bild, so recht<lb/> geschaffen für einen Dürerscheu oder Hvgarthschen Stich, wenn wir nnr jemand<lb/> wüßten, der ihn zu stechen die Kunst und den Mut hätte!</p><lb/> <p xml:id="ID_118"> Wahrlich, es fällt schwer, die Satire nicht zu schreiben, die sich bei Be¬<lb/> trachtung der Komödie aufdrängt, die sich heute in unsrer großen Politik ab¬<lb/> spielt. Jene französisch-russische Freundschaftskomödie, die die Welt genötigt<lb/> ist, ernst zu nehmen, weil ein Zufall, ein Ungefähr dahin führen kann, daß<lb/> sie wirklich Ernst wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_119"> Seit zwanzig Jahren ruft Frankreich Revanche, so laut es irgend gehen<lb/> null, und seit zwanzig Jahren flüstert in Frankreich jedermann dem Nachbar<lb/> zu, der Krieg werde nicht kommen, denn man wünsche ihn nicht und sei ent¬<lb/> schlossen, alles zu thun, seinen Ausbruch zu verhindern. Aber Revanche ist<lb/> nun einmal das Schlagwort aller derer, die den Platz noch nicht eingenommen<lb/> haben, ans dem sie zu sitzen wünschen, es ist der Götze, den man anbetet,<lb/> ohne an ihn zu glauben, den man dein Pöbel der Gassen zuliebe Verehrung<lb/> zollt, als gäbe es keine Götter neben ihm. Seit zwanzig Jahren rüstet Frank¬<lb/> reich diesem Phantom zuliebe, und seit es den russischen Bundesgenossen ge¬<lb/> funden hatte, dessen einziger Freund vor wenigen Jahren noch Montenegro<lb/> war — jetzt hat er zwei Freunde, der Glückliche —, war Frankreich wirklich fertig,<lb/> ^ronixrst, so sehr fertig, daß den Herren, die in Paris um Ruder waren,<lb/> das Blut heiß zum Herzen znrückströmte und sie fürchteten, es könne nun<lb/> doch der Krieg kommen, der Krieg mit seinen Sorgen und Gefahre», mit<lb/> seine» ehrgeizigen Generalen, mit seinen neuen Männern, und darüber<lb/> könnten sie der schönen Stellen verlustig gehen, die sie so warm hergerichtet<lb/> hatten!</p><lb/> <p xml:id="ID_120"> Aber der Krieg kam nicht, denn das rauchlose Pulver kam, und mit ihm<lb/> das neue Gewehr. Nun konnte das Spiel nochmals beginnen: neue Vor¬<lb/> bereitungen, neuer Lärm, neues Kokettiren mit dem russischen Freunde, bis<lb/> man wieder srÄupi-Le war, und die Verbrüderung von Kronstäbe neues Herz¬<lb/> klopfen und neue Sorgen brachte. Der Krieg, den man zu wünschen vorgeben<lb/> mußte, schien wieder möglich zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_121"> Da kam die Hilfe von Nußland. Rußland brauchte Geld und hatte in<lb/> Deutschland „zugeknöpfte Taschen" gefunden. Es wandte sich an Frankreich,<lb/> und die klugen französischen Geschäftsleute zeigten sich unendlich bereitwillig<lb/> und gaben zu möglichst hohen Prozenten möglichst wenig. Die russische<lb/> Hungersnot, zu deren Linderung Frankreich opferwillig 2V000 Franks beitrug,<lb/> half weiter, und es war glücklich wieder ungefährlich geworden, Revanche zu<lb/> rufen. Man konnte wieder aufatmen. Die yet,it,«z Muri-s vlMvInz rieb sich<lb/> die Pfötchen, sie hatte sich selbst und den Franzosen aus der Klemme geholfen:<lb/> in Wirklichkeit Friede, in der Theorie Revanche!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
Heilsarmee und Politik
den bösen Zauber zu lösen, unter dem die arge Welt duldet. In die Heils¬
armee mit ihnen, so viel ihrer sind! Gewiß, es wird ein gutes Bild, so recht
geschaffen für einen Dürerscheu oder Hvgarthschen Stich, wenn wir nnr jemand
wüßten, der ihn zu stechen die Kunst und den Mut hätte!
Wahrlich, es fällt schwer, die Satire nicht zu schreiben, die sich bei Be¬
trachtung der Komödie aufdrängt, die sich heute in unsrer großen Politik ab¬
spielt. Jene französisch-russische Freundschaftskomödie, die die Welt genötigt
ist, ernst zu nehmen, weil ein Zufall, ein Ungefähr dahin führen kann, daß
sie wirklich Ernst wird.
Seit zwanzig Jahren ruft Frankreich Revanche, so laut es irgend gehen
null, und seit zwanzig Jahren flüstert in Frankreich jedermann dem Nachbar
zu, der Krieg werde nicht kommen, denn man wünsche ihn nicht und sei ent¬
schlossen, alles zu thun, seinen Ausbruch zu verhindern. Aber Revanche ist
nun einmal das Schlagwort aller derer, die den Platz noch nicht eingenommen
haben, ans dem sie zu sitzen wünschen, es ist der Götze, den man anbetet,
ohne an ihn zu glauben, den man dein Pöbel der Gassen zuliebe Verehrung
zollt, als gäbe es keine Götter neben ihm. Seit zwanzig Jahren rüstet Frank¬
reich diesem Phantom zuliebe, und seit es den russischen Bundesgenossen ge¬
funden hatte, dessen einziger Freund vor wenigen Jahren noch Montenegro
war — jetzt hat er zwei Freunde, der Glückliche —, war Frankreich wirklich fertig,
^ronixrst, so sehr fertig, daß den Herren, die in Paris um Ruder waren,
das Blut heiß zum Herzen znrückströmte und sie fürchteten, es könne nun
doch der Krieg kommen, der Krieg mit seinen Sorgen und Gefahre», mit
seine» ehrgeizigen Generalen, mit seinen neuen Männern, und darüber
könnten sie der schönen Stellen verlustig gehen, die sie so warm hergerichtet
hatten!
Aber der Krieg kam nicht, denn das rauchlose Pulver kam, und mit ihm
das neue Gewehr. Nun konnte das Spiel nochmals beginnen: neue Vor¬
bereitungen, neuer Lärm, neues Kokettiren mit dem russischen Freunde, bis
man wieder srÄupi-Le war, und die Verbrüderung von Kronstäbe neues Herz¬
klopfen und neue Sorgen brachte. Der Krieg, den man zu wünschen vorgeben
mußte, schien wieder möglich zu sein.
Da kam die Hilfe von Nußland. Rußland brauchte Geld und hatte in
Deutschland „zugeknöpfte Taschen" gefunden. Es wandte sich an Frankreich,
und die klugen französischen Geschäftsleute zeigten sich unendlich bereitwillig
und gaben zu möglichst hohen Prozenten möglichst wenig. Die russische
Hungersnot, zu deren Linderung Frankreich opferwillig 2V000 Franks beitrug,
half weiter, und es war glücklich wieder ungefährlich geworden, Revanche zu
rufen. Man konnte wieder aufatmen. Die yet,it,«z Muri-s vlMvInz rieb sich
die Pfötchen, sie hatte sich selbst und den Franzosen aus der Klemme geholfen:
in Wirklichkeit Friede, in der Theorie Revanche!
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