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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

mächtigen Reichs vor Augen, sondern er ist mit seinen heiligsten Gefühlen
versenkt in den Aufbau einer neuen großen Zukunft, die sich aus den Ruinen
erheben soll, es weht ein aufstrebender Geist durch sein Gedicht. Einem Dichter
solcher Zeit und solcher Absicht thut man Unrecht, wenn man die Schlichtheit
und Unschuld des homerischen Stils an ihm vermißt." (II. S. 58.) Und nach
einer liebevollen Schilderung des Epos faßt Ribbeck sein Urteil in die Worte
zusammen: "Dieser kostbare Inhalt war in das edelste Gefäß gegossen; wie
Gold erklingen die Saiten des Sängers. Die Hexameter der Äneis bringen
die männliche Kraft, den heldenhaften Schritt und den erhabnen Wohllaut der
römischen Sprache zur vollkommensten Geltung. Ein gemäßigtes Pathos,
vornehme Pracht, ausdrucksvolle Mannigfaltigkeit und natürliche Anmut ist
gedämpft durch einen Hauch altertümlicher Strenge, bisweilen auch gewürzt
durch erlesenere Mittel griechischer Kunst. Ein breiter voller Strom des
Rhythmus, bald brausend, bald sanft, nie eintönig, stets in harmonischen Grenzen
gehalten." (II. S. 99.) "Trotz aller Spuren der UnVollendung ist die Äneis
Vergils unter allen Gedichten der Römer das populärste geworden, das Muster
aller spätern Epiker, das unentbehrliche und nie (auch in den Klosterschulen
des Mittelalters nicht) vergeßne, unermüdlich abgeschriebue, erklärte, von
Grammatikern und Rhetoriken: ausgemünzte Schulbuch, ein Schatz geistiger
Erhebung und Offenbarung, ja ein Abgrund für abergläubische und wirrsinnige
Grübelei, eine Leuchte der großen Dichter, welche in Italien den Genius natio¬
naler Poesie wieder erstehen ließen." (II. S. 102.)

Nicht so günstig wie über Vergil urteilt Ribbeck über Horaz, wenigstens
nicht über den Lyriker Horaz. "Es ist hauptsächlich die künstlerische Form,
Gesetzmäßigkeit und Wohllaut des Verses und der Strophe, vollendete Durch¬
bildung des sprachlichen Ausdrucks nach allen Seiten, auch der poetischen
Bilder und rhetorischen Figuren, kurz die Einführung griechischer Schönheit,
Anmut und Glätte in die Schöpfungen latinischcr Muse, worin Horaz sein
Verdienst erkannte, und woraus er stolz war. Ein Feind dilettantischer, kunst¬
loser Pocterei war er selbst ein scharfer Kritiker seiner eignen Arbeiten, feilte
viel und konnte sich schwer genug thun." (II. Seite 143.) Man kaun auf
Horaz die Worte anwenden, mit denen Lessing über seine eigne dichterische
Begabung urteilt. Auch Horaz fühlt die lebendige Quelle uicht in sich, die
durch eigne Kraft sich emporarbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen,
so reinen Strahlen aufschießt; auch er mußte alles durch Druckwerk und
Röhren aus sich herauspresseu, und er würde so arm, so kalt, so kurzsichtig
sein, wenn er uicht einigermaßen gelernt hätte, fremde Schätze bescheiden zu
borgen, an fremdem Feuer sich zu Wärmen und durch die Gläser der Kunst
sein Auge zu stärken. Ja zuweilen ist er trotzdem wirklich arm, kalt und
kurzsichtig. Seine Liebesgedichte klingen nicht selten wie Übungsstücke nach
fremden Mustern und sind es ja auch zum Teil, und selbst unter den vor-


Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

mächtigen Reichs vor Augen, sondern er ist mit seinen heiligsten Gefühlen
versenkt in den Aufbau einer neuen großen Zukunft, die sich aus den Ruinen
erheben soll, es weht ein aufstrebender Geist durch sein Gedicht. Einem Dichter
solcher Zeit und solcher Absicht thut man Unrecht, wenn man die Schlichtheit
und Unschuld des homerischen Stils an ihm vermißt." (II. S. 58.) Und nach
einer liebevollen Schilderung des Epos faßt Ribbeck sein Urteil in die Worte
zusammen: „Dieser kostbare Inhalt war in das edelste Gefäß gegossen; wie
Gold erklingen die Saiten des Sängers. Die Hexameter der Äneis bringen
die männliche Kraft, den heldenhaften Schritt und den erhabnen Wohllaut der
römischen Sprache zur vollkommensten Geltung. Ein gemäßigtes Pathos,
vornehme Pracht, ausdrucksvolle Mannigfaltigkeit und natürliche Anmut ist
gedämpft durch einen Hauch altertümlicher Strenge, bisweilen auch gewürzt
durch erlesenere Mittel griechischer Kunst. Ein breiter voller Strom des
Rhythmus, bald brausend, bald sanft, nie eintönig, stets in harmonischen Grenzen
gehalten." (II. S. 99.) „Trotz aller Spuren der UnVollendung ist die Äneis
Vergils unter allen Gedichten der Römer das populärste geworden, das Muster
aller spätern Epiker, das unentbehrliche und nie (auch in den Klosterschulen
des Mittelalters nicht) vergeßne, unermüdlich abgeschriebue, erklärte, von
Grammatikern und Rhetoriken: ausgemünzte Schulbuch, ein Schatz geistiger
Erhebung und Offenbarung, ja ein Abgrund für abergläubische und wirrsinnige
Grübelei, eine Leuchte der großen Dichter, welche in Italien den Genius natio¬
naler Poesie wieder erstehen ließen." (II. S. 102.)

Nicht so günstig wie über Vergil urteilt Ribbeck über Horaz, wenigstens
nicht über den Lyriker Horaz. „Es ist hauptsächlich die künstlerische Form,
Gesetzmäßigkeit und Wohllaut des Verses und der Strophe, vollendete Durch¬
bildung des sprachlichen Ausdrucks nach allen Seiten, auch der poetischen
Bilder und rhetorischen Figuren, kurz die Einführung griechischer Schönheit,
Anmut und Glätte in die Schöpfungen latinischcr Muse, worin Horaz sein
Verdienst erkannte, und woraus er stolz war. Ein Feind dilettantischer, kunst¬
loser Pocterei war er selbst ein scharfer Kritiker seiner eignen Arbeiten, feilte
viel und konnte sich schwer genug thun." (II. Seite 143.) Man kaun auf
Horaz die Worte anwenden, mit denen Lessing über seine eigne dichterische
Begabung urteilt. Auch Horaz fühlt die lebendige Quelle uicht in sich, die
durch eigne Kraft sich emporarbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen,
so reinen Strahlen aufschießt; auch er mußte alles durch Druckwerk und
Röhren aus sich herauspresseu, und er würde so arm, so kalt, so kurzsichtig
sein, wenn er uicht einigermaßen gelernt hätte, fremde Schätze bescheiden zu
borgen, an fremdem Feuer sich zu Wärmen und durch die Gläser der Kunst
sein Auge zu stärken. Ja zuweilen ist er trotzdem wirklich arm, kalt und
kurzsichtig. Seine Liebesgedichte klingen nicht selten wie Übungsstücke nach
fremden Mustern und sind es ja auch zum Teil, und selbst unter den vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/528>, abgerufen am 08.01.2025.