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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

an sie erinnernd, aber doch nicht ohne eigentümlichen Charakter und besondern
Reiz. Manches sonst Verlorne Kleinod hat sie aus dem Schatze der Mutter
geerbt. Und auch in Rom haben echte Pvetenncituren gelebt und gelitten, wie
Catull, aus dessen Liedern Liebe und Haß und jubelnde Freude und inniger
Schmerz in ergreifenden Klängen zu uns sprechen.

Mit Catull schließt der erste Band des Werkes ab. Mit raschen Schritten
ist die römische Dichtung an der Hand ihrer griechischen Führerin vorgeschritten,
von den wuchtigen Saturniern, in denen noch Livius Andronicus seine Oä^sin
dichtete, zu den klangvollen Versen des Lucrez und den melodischen Strophen
Catulls. Die Zeit, die dazwischen liegt, wird vom Drama beherrscht. Es hat
auf römischem Boden in fünf Gattungen geblüht. Zu dem attisch-römischen
Lustspiel (lÄduIa. Mliats,) des Plautus und des Terenz trat das ernstere und
einfachere nationale Lustspiel M>ni" Die Tragödie, dnrch Livius An-

dronicus nach Rom verpflanzt, wurde schon von naevius durch das geschicht¬
liche Schauspiel (tabula xrg.se,sxlAt>g,) ergänzt. Später schuf die Neigung zum
Witzigen und Unanständigen, die in der t'g-dula xallmta, ihr Genügen nicht fand,
noch die Kampanische Posse (tabula, ^tollg-rin). Neben dem Drama standen
an zweiter Stelle das Epos und die Satire. Die epische Dichtgattung, eben¬
falls schon durch Livius Andronicus in Rom eingeführt, brachte in den An¬
nalen des Ennius und dem Lehrgedicht des Lucrez mächtige und wirkungs¬
volle Werke hervor, sollte aber erst im augusteischen Zeitalter ihren Meister
finden. Auch die Eigenheiten der Satire weisen auf eine weitre Entwicklung
hin. Der Anbruch der Blütezeit wird durch Catull verkündet, der im An¬
schluß an die griechischen Lyriker die lateinische Sprache zum erstenmale in
formvollendete Strophen bindet. Welcher Fortschritt in Form und Inhalt
von dem iZitur clöinuin Illixi vor trixit xr^s x^vors des Livius Andronicus
bis zu Catulls ills ini xar cssse äeo vicletur!

Das augusteische Zeitalter entfaltete die Knospen, die die römische Dich¬
tung der Republik angesetzt hatte, zur schönsten Blüte. Augustus erkannte
seinen Beruf, die abgerißnen Fäden, die das Volk an seine Vergangenheit
knüpften, zu erneuern und den Sinn für die Majestät des Reichs zu wecken.
Unterstützt von Männern wie dem feinsinnigen und lebenslustigen Maecenas,
zog er die fähigsten Dichter in seine Nähe und verfolgte ihre Arbeiten mit er¬
munternder Teilnahme. Es begann die Herrschaft des Epos und der Lyrik.
Die durch Ennius in die römische Dichtung eingeführte und von Lucilius und
Varro weiter ausgebildete Satire behielt auch unter Augustus im wesentlichen
den Charakter liebenswürdiger Plaudereien über öffentliche Zustände; zur
furchtbaren Geißel der sittlichen und politischen Verwahrlosung des römischen
Volks wurde sie erst durch die Greuel der Kaiserherrschaft. Das Drama, das
den Höhepunkt seiner Entwicklung bereits überschritten hatte, wurde nur noch
auf dem Gebiete der Tragödie von namhaften Künstlern gepflegt.


Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

an sie erinnernd, aber doch nicht ohne eigentümlichen Charakter und besondern
Reiz. Manches sonst Verlorne Kleinod hat sie aus dem Schatze der Mutter
geerbt. Und auch in Rom haben echte Pvetenncituren gelebt und gelitten, wie
Catull, aus dessen Liedern Liebe und Haß und jubelnde Freude und inniger
Schmerz in ergreifenden Klängen zu uns sprechen.

Mit Catull schließt der erste Band des Werkes ab. Mit raschen Schritten
ist die römische Dichtung an der Hand ihrer griechischen Führerin vorgeschritten,
von den wuchtigen Saturniern, in denen noch Livius Andronicus seine Oä^sin
dichtete, zu den klangvollen Versen des Lucrez und den melodischen Strophen
Catulls. Die Zeit, die dazwischen liegt, wird vom Drama beherrscht. Es hat
auf römischem Boden in fünf Gattungen geblüht. Zu dem attisch-römischen
Lustspiel (lÄduIa. Mliats,) des Plautus und des Terenz trat das ernstere und
einfachere nationale Lustspiel M>ni» Die Tragödie, dnrch Livius An-

dronicus nach Rom verpflanzt, wurde schon von naevius durch das geschicht¬
liche Schauspiel (tabula xrg.se,sxlAt>g,) ergänzt. Später schuf die Neigung zum
Witzigen und Unanständigen, die in der t'g-dula xallmta, ihr Genügen nicht fand,
noch die Kampanische Posse (tabula, ^tollg-rin). Neben dem Drama standen
an zweiter Stelle das Epos und die Satire. Die epische Dichtgattung, eben¬
falls schon durch Livius Andronicus in Rom eingeführt, brachte in den An¬
nalen des Ennius und dem Lehrgedicht des Lucrez mächtige und wirkungs¬
volle Werke hervor, sollte aber erst im augusteischen Zeitalter ihren Meister
finden. Auch die Eigenheiten der Satire weisen auf eine weitre Entwicklung
hin. Der Anbruch der Blütezeit wird durch Catull verkündet, der im An¬
schluß an die griechischen Lyriker die lateinische Sprache zum erstenmale in
formvollendete Strophen bindet. Welcher Fortschritt in Form und Inhalt
von dem iZitur clöinuin Illixi vor trixit xr^s x^vors des Livius Andronicus
bis zu Catulls ills ini xar cssse äeo vicletur!

Das augusteische Zeitalter entfaltete die Knospen, die die römische Dich¬
tung der Republik angesetzt hatte, zur schönsten Blüte. Augustus erkannte
seinen Beruf, die abgerißnen Fäden, die das Volk an seine Vergangenheit
knüpften, zu erneuern und den Sinn für die Majestät des Reichs zu wecken.
Unterstützt von Männern wie dem feinsinnigen und lebenslustigen Maecenas,
zog er die fähigsten Dichter in seine Nähe und verfolgte ihre Arbeiten mit er¬
munternder Teilnahme. Es begann die Herrschaft des Epos und der Lyrik.
Die durch Ennius in die römische Dichtung eingeführte und von Lucilius und
Varro weiter ausgebildete Satire behielt auch unter Augustus im wesentlichen
den Charakter liebenswürdiger Plaudereien über öffentliche Zustände; zur
furchtbaren Geißel der sittlichen und politischen Verwahrlosung des römischen
Volks wurde sie erst durch die Greuel der Kaiserherrschaft. Das Drama, das
den Höhepunkt seiner Entwicklung bereits überschritten hatte, wurde nur noch
auf dem Gebiete der Tragödie von namhaften Künstlern gepflegt.


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[0526] Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung an sie erinnernd, aber doch nicht ohne eigentümlichen Charakter und besondern Reiz. Manches sonst Verlorne Kleinod hat sie aus dem Schatze der Mutter geerbt. Und auch in Rom haben echte Pvetenncituren gelebt und gelitten, wie Catull, aus dessen Liedern Liebe und Haß und jubelnde Freude und inniger Schmerz in ergreifenden Klängen zu uns sprechen. Mit Catull schließt der erste Band des Werkes ab. Mit raschen Schritten ist die römische Dichtung an der Hand ihrer griechischen Führerin vorgeschritten, von den wuchtigen Saturniern, in denen noch Livius Andronicus seine Oä^sin dichtete, zu den klangvollen Versen des Lucrez und den melodischen Strophen Catulls. Die Zeit, die dazwischen liegt, wird vom Drama beherrscht. Es hat auf römischem Boden in fünf Gattungen geblüht. Zu dem attisch-römischen Lustspiel (lÄduIa. Mliats,) des Plautus und des Terenz trat das ernstere und einfachere nationale Lustspiel M>ni» Die Tragödie, dnrch Livius An- dronicus nach Rom verpflanzt, wurde schon von naevius durch das geschicht¬ liche Schauspiel (tabula xrg.se,sxlAt>g,) ergänzt. Später schuf die Neigung zum Witzigen und Unanständigen, die in der t'g-dula xallmta, ihr Genügen nicht fand, noch die Kampanische Posse (tabula, ^tollg-rin). Neben dem Drama standen an zweiter Stelle das Epos und die Satire. Die epische Dichtgattung, eben¬ falls schon durch Livius Andronicus in Rom eingeführt, brachte in den An¬ nalen des Ennius und dem Lehrgedicht des Lucrez mächtige und wirkungs¬ volle Werke hervor, sollte aber erst im augusteischen Zeitalter ihren Meister finden. Auch die Eigenheiten der Satire weisen auf eine weitre Entwicklung hin. Der Anbruch der Blütezeit wird durch Catull verkündet, der im An¬ schluß an die griechischen Lyriker die lateinische Sprache zum erstenmale in formvollendete Strophen bindet. Welcher Fortschritt in Form und Inhalt von dem iZitur clöinuin Illixi vor trixit xr^s x^vors des Livius Andronicus bis zu Catulls ills ini xar cssse äeo vicletur! Das augusteische Zeitalter entfaltete die Knospen, die die römische Dich¬ tung der Republik angesetzt hatte, zur schönsten Blüte. Augustus erkannte seinen Beruf, die abgerißnen Fäden, die das Volk an seine Vergangenheit knüpften, zu erneuern und den Sinn für die Majestät des Reichs zu wecken. Unterstützt von Männern wie dem feinsinnigen und lebenslustigen Maecenas, zog er die fähigsten Dichter in seine Nähe und verfolgte ihre Arbeiten mit er¬ munternder Teilnahme. Es begann die Herrschaft des Epos und der Lyrik. Die durch Ennius in die römische Dichtung eingeführte und von Lucilius und Varro weiter ausgebildete Satire behielt auch unter Augustus im wesentlichen den Charakter liebenswürdiger Plaudereien über öffentliche Zustände; zur furchtbaren Geißel der sittlichen und politischen Verwahrlosung des römischen Volks wurde sie erst durch die Greuel der Kaiserherrschaft. Das Drama, das den Höhepunkt seiner Entwicklung bereits überschritten hatte, wurde nur noch auf dem Gebiete der Tragödie von namhaften Künstlern gepflegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/526>, abgerufen am 08.01.2025.