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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

und andern Leidensgenossen den volkstümlichen Spruch: "die Sechziger hin¬
unter von der Brücke!" und wirft ihn nach dem löblichen Brauch der Väter,
den er ja so warm empfohlen hat, in den Tiber." (I. Seite 236.)

Wahre Meisterwerke von geschickter Zusammenstellung und scharfsinniger
Deutung sind die mit dem feinsten Verständnis und in glänzender Schilderung
ausgeführten Charakteristiken der großen, mehr oder weniger unversehrt er-
haltnen Dichtungen, im ersten Bande namentlich der plautinischeu Lustspiele
und der Gedichte Catulls. Plautus, ein Liebling Ribbecks, ist zwar nicht der
Schöpfer der römischen kiMrlg, iM1me.ii. Schon vor ihm haben der Tarentiner
Livius Andronims und der Kcunpcmer naevius Lustspiele ihrer Heimat in
lateinischer Übertragung aus die Bühne gebracht. Aber Plautus ist der Meister
dieser aus Athen entlehnten und in den griechischen Städten Unteritaliens
schon längst eingebürgerten kecken und leichtsinnigen Sittenbilder, an deren
Frivolität man sich auch in Rom ergötzte, obwohl der Dichter noch nicht
wagen durfte, den Schauplatz dieser lustigen Geschichten nach Rom selbst zu
verlegen und römische Väter und Sohne in solchen Situationen vorzuführen.
Deshalb wurde dieses Spiel später lÄdulÄ xg-lUatÄ, das Drama im Griecheu-
kostüm, genannt. Das alte ehrbare Rom mit seiner einfachen Lebensführung
und strengen Sitte muß schon zu den Zeiten des Plautus nur noch eine
schöne Sage gewesen sein. Wie hätten sonst diese Abenteuer, in denen lockre
Söhne und reizende Buhlerinnen, Kuppler und Wucherer, betrogne Väter und
verschmitzte Sklaven die Helden sind, lebhaften Beifall finden können? In der
Ausprägung und Umprügung dieser Rollen und in immer neuen Wendungen
und Verschlingungen der Handlung war die attische Komödie unermüdlich ge¬
wesen. Ihren witzigen und geistreichen Schöpfungen hat Plautus seine Stücke
nachgebildet, freilich gröber und ungefüger in der Anlage wie in der Ausfüh¬
rung. Wie die plumpem Werke des römischem Meißels niemals die Anmut
und das Leben eines praxitelischen Hermes atmen, so haben anch Plautus und
Terenz nicht die Schönheit und Wahrheit des Menander und Philemon er¬
reicht. Während aber die Schöpfungen der attischen Komödie uuwiederbriug-
uch verloren gegangen sind, hat ein günstigeres Geschick die besten Werke des
Plautus und Terenz verschont, und durch die lateinischen Nachahmungen hin¬
durch können wir uns dem griechischen Vorbilde wieder nähern, durch die
Stücke des Plautus und seiner Nachfolger hat die attische Komödie auch auf
das Lustspiel der neuern Völker einen großen Einfluß ausgeübt.

In der Abhängigkeit und Unselbständigkeit, die der römischen Dichtung
oft zum Vorwurf gemacht worden ist, liegt gerade das wesentliche ihrer Be¬
deutung und ihres Einflusses auf die gebildete Welt. Mit Recht nennt Rib¬
beck die römische Muse eine Tochter der griechischen, und zwar die einzige,
dieser freilich an Genie und Schönheit weit nachstehend, ganz abhängig von
den schöpferischen Eingebungen der Mutter, in Rede, Zügen und Bewegungen


Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

und andern Leidensgenossen den volkstümlichen Spruch: »die Sechziger hin¬
unter von der Brücke!« und wirft ihn nach dem löblichen Brauch der Väter,
den er ja so warm empfohlen hat, in den Tiber." (I. Seite 236.)

Wahre Meisterwerke von geschickter Zusammenstellung und scharfsinniger
Deutung sind die mit dem feinsten Verständnis und in glänzender Schilderung
ausgeführten Charakteristiken der großen, mehr oder weniger unversehrt er-
haltnen Dichtungen, im ersten Bande namentlich der plautinischeu Lustspiele
und der Gedichte Catulls. Plautus, ein Liebling Ribbecks, ist zwar nicht der
Schöpfer der römischen kiMrlg, iM1me.ii. Schon vor ihm haben der Tarentiner
Livius Andronims und der Kcunpcmer naevius Lustspiele ihrer Heimat in
lateinischer Übertragung aus die Bühne gebracht. Aber Plautus ist der Meister
dieser aus Athen entlehnten und in den griechischen Städten Unteritaliens
schon längst eingebürgerten kecken und leichtsinnigen Sittenbilder, an deren
Frivolität man sich auch in Rom ergötzte, obwohl der Dichter noch nicht
wagen durfte, den Schauplatz dieser lustigen Geschichten nach Rom selbst zu
verlegen und römische Väter und Sohne in solchen Situationen vorzuführen.
Deshalb wurde dieses Spiel später lÄdulÄ xg-lUatÄ, das Drama im Griecheu-
kostüm, genannt. Das alte ehrbare Rom mit seiner einfachen Lebensführung
und strengen Sitte muß schon zu den Zeiten des Plautus nur noch eine
schöne Sage gewesen sein. Wie hätten sonst diese Abenteuer, in denen lockre
Söhne und reizende Buhlerinnen, Kuppler und Wucherer, betrogne Väter und
verschmitzte Sklaven die Helden sind, lebhaften Beifall finden können? In der
Ausprägung und Umprügung dieser Rollen und in immer neuen Wendungen
und Verschlingungen der Handlung war die attische Komödie unermüdlich ge¬
wesen. Ihren witzigen und geistreichen Schöpfungen hat Plautus seine Stücke
nachgebildet, freilich gröber und ungefüger in der Anlage wie in der Ausfüh¬
rung. Wie die plumpem Werke des römischem Meißels niemals die Anmut
und das Leben eines praxitelischen Hermes atmen, so haben anch Plautus und
Terenz nicht die Schönheit und Wahrheit des Menander und Philemon er¬
reicht. Während aber die Schöpfungen der attischen Komödie uuwiederbriug-
uch verloren gegangen sind, hat ein günstigeres Geschick die besten Werke des
Plautus und Terenz verschont, und durch die lateinischen Nachahmungen hin¬
durch können wir uns dem griechischen Vorbilde wieder nähern, durch die
Stücke des Plautus und seiner Nachfolger hat die attische Komödie auch auf
das Lustspiel der neuern Völker einen großen Einfluß ausgeübt.

In der Abhängigkeit und Unselbständigkeit, die der römischen Dichtung
oft zum Vorwurf gemacht worden ist, liegt gerade das wesentliche ihrer Be¬
deutung und ihres Einflusses auf die gebildete Welt. Mit Recht nennt Rib¬
beck die römische Muse eine Tochter der griechischen, und zwar die einzige,
dieser freilich an Genie und Schönheit weit nachstehend, ganz abhängig von
den schöpferischen Eingebungen der Mutter, in Rede, Zügen und Bewegungen


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[0525] Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung und andern Leidensgenossen den volkstümlichen Spruch: »die Sechziger hin¬ unter von der Brücke!« und wirft ihn nach dem löblichen Brauch der Väter, den er ja so warm empfohlen hat, in den Tiber." (I. Seite 236.) Wahre Meisterwerke von geschickter Zusammenstellung und scharfsinniger Deutung sind die mit dem feinsten Verständnis und in glänzender Schilderung ausgeführten Charakteristiken der großen, mehr oder weniger unversehrt er- haltnen Dichtungen, im ersten Bande namentlich der plautinischeu Lustspiele und der Gedichte Catulls. Plautus, ein Liebling Ribbecks, ist zwar nicht der Schöpfer der römischen kiMrlg, iM1me.ii. Schon vor ihm haben der Tarentiner Livius Andronims und der Kcunpcmer naevius Lustspiele ihrer Heimat in lateinischer Übertragung aus die Bühne gebracht. Aber Plautus ist der Meister dieser aus Athen entlehnten und in den griechischen Städten Unteritaliens schon längst eingebürgerten kecken und leichtsinnigen Sittenbilder, an deren Frivolität man sich auch in Rom ergötzte, obwohl der Dichter noch nicht wagen durfte, den Schauplatz dieser lustigen Geschichten nach Rom selbst zu verlegen und römische Väter und Sohne in solchen Situationen vorzuführen. Deshalb wurde dieses Spiel später lÄdulÄ xg-lUatÄ, das Drama im Griecheu- kostüm, genannt. Das alte ehrbare Rom mit seiner einfachen Lebensführung und strengen Sitte muß schon zu den Zeiten des Plautus nur noch eine schöne Sage gewesen sein. Wie hätten sonst diese Abenteuer, in denen lockre Söhne und reizende Buhlerinnen, Kuppler und Wucherer, betrogne Väter und verschmitzte Sklaven die Helden sind, lebhaften Beifall finden können? In der Ausprägung und Umprügung dieser Rollen und in immer neuen Wendungen und Verschlingungen der Handlung war die attische Komödie unermüdlich ge¬ wesen. Ihren witzigen und geistreichen Schöpfungen hat Plautus seine Stücke nachgebildet, freilich gröber und ungefüger in der Anlage wie in der Ausfüh¬ rung. Wie die plumpem Werke des römischem Meißels niemals die Anmut und das Leben eines praxitelischen Hermes atmen, so haben anch Plautus und Terenz nicht die Schönheit und Wahrheit des Menander und Philemon er¬ reicht. Während aber die Schöpfungen der attischen Komödie uuwiederbriug- uch verloren gegangen sind, hat ein günstigeres Geschick die besten Werke des Plautus und Terenz verschont, und durch die lateinischen Nachahmungen hin¬ durch können wir uns dem griechischen Vorbilde wieder nähern, durch die Stücke des Plautus und seiner Nachfolger hat die attische Komödie auch auf das Lustspiel der neuern Völker einen großen Einfluß ausgeübt. In der Abhängigkeit und Unselbständigkeit, die der römischen Dichtung oft zum Vorwurf gemacht worden ist, liegt gerade das wesentliche ihrer Be¬ deutung und ihres Einflusses auf die gebildete Welt. Mit Recht nennt Rib¬ beck die römische Muse eine Tochter der griechischen, und zwar die einzige, dieser freilich an Genie und Schönheit weit nachstehend, ganz abhängig von den schöpferischen Eingebungen der Mutter, in Rede, Zügen und Bewegungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/525>, abgerufen am 08.01.2025.