Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung Geschichte, die das Verlorne, so weit es möglich ist, mit Scharfsinn ergänzt, Die Kunst, dem Mosaizisten gleich aus einzelnen Steinchen ein Bild zu¬ Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung Geschichte, die das Verlorne, so weit es möglich ist, mit Scharfsinn ergänzt, Die Kunst, dem Mosaizisten gleich aus einzelnen Steinchen ein Bild zu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0523" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212999"/> <fw type="header" place="top"> Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1755" prev="#ID_1754"> Geschichte, die das Verlorne, so weit es möglich ist, mit Scharfsinn ergänzt,<lb/> den Entwicklungsgang der römischen Dichtkunst mit klaren Umrissen gezeichnet<lb/> und das Verhältnis der römischen Dichter zu ihren Vorgängern wie zu ihren<lb/> Nachfolgern weder über- noch unterschätzend in gerechter Weise dargelegt hätte,<lb/> und die dies alles in anziehender und anregender Weise gethan hätte, gab es<lb/> bisher nicht. Sie wird uns erst von Ribbeck gegeben: „lang vorbereitet, oft<lb/> aufgeschoben und endlich schnell hingeworfen." Die Schwierigkeiten, die dabei<lb/> zu überwinden waren, sind schon angedeutet worden. Da galt es zunächst<lb/> die Lücken in der Überlieferung zu schließen und den scheinbar unbildsamen<lb/> und starren Stoff, so weit es gehen wollte, zu beleben. „So weit es gehen<lb/> will," sagt Ribbeck selbst. „Denn streckenweise liegt ja nichts weiter als ein<lb/> weites Trümmerfeld vor uns, übersät mit Bruchstücken, Splittern und Brocken,<lb/> die in ihrer Verwüstung oft kaum erkennbar und verstündlich sind. Gerade<lb/> die eigenartigsten Schöpfungen der republikanischen Zeit sind in solche Ruinen<lb/> zerfallei?. Wie soll aus so kümmerlichen und zufälligen Resten ohne Willkür<lb/> eine genügende Anschauung und Schützung Verlorner Kunstwerke, ein zusammen¬<lb/> hängender Überblick des Entwicklungsganges gewonnen werden, welchen die<lb/> Dichtung bei deu Römern genommen hat? Und doch: worauf zielte alle<lb/> Mühe des Sammelns und aller Scharfsinn, der ans Reinigung und Deutung<lb/> des Einzelnen verwendet wird, wenn man auf das Vergnügen verzichten wollte<lb/> oder müßte, diese bunten Steine ordnend an einander zu fügen?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1756" next="#ID_1757"> Die Kunst, dem Mosaizisten gleich aus einzelnen Steinchen ein Bild zu¬<lb/> sammenzustellen, dessen Umrisse um so deutlicher werden, je größer der Umfang<lb/> dieser Steinchen ist, und dessen Farben um so leuchtender hervortreten, je<lb/> größer die Zahl der winzigen Steinchen ist, diese Kunst Ribbecks offenbart<lb/> sich besonders glänzend im ersten Bande, wo ganze Abschnitte nur durch die<lb/> geschickteste Benutzung, Verbindung und Ergänzung aller Nachrichten und<lb/> Bruchstücke geschaffen werden konnten. So sind uns von deu Männern, die<lb/> zuerst in lateinischer Sprache nach griechischen Vorbildern gedichtet haben, von<lb/> Livius Andronicus, Cil. naevius und Q. Ennius nur noch bei spätern Schrift¬<lb/> stellern hie und da eine kurze Angabe über ihr Leben und ihr Werk oder<lb/> einige wenige Verse aus ihren Dichtungen erhalten; von dem großen Gelehrten<lb/> M. Terentius Varro sind zwar zwei prosaische Schriften auf uns gekommen,<lb/> aber aus der Zersplitterung seines poetischen Hauptwerth, der hundertund¬<lb/> funfzig Bücher menippeischer Satiren, sind nur gegen sechshundert „oft rätsel¬<lb/> hafte, kümmerliche und elend überlieferte Bruchstücke" gerettet worden, und<lb/> während wir noch zwanzig plautinische Stücke besitzen, haben wir über das<lb/> Leben des Plautus nur sehr spärliche und verstreute Nachrichten, aus denen<lb/> erst Ritschl den wirklichen Namen und die Lebenszeit des Dichters nachgewiesen<lb/> hat. Darnach entwirft Ribbeck folgende Lebensbeschreibung des Plautus:<lb/> »Zu Anfang des sechsten Jahrhunderts der Stadt kam aus dem kürzlich unter-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0523]
Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung
Geschichte, die das Verlorne, so weit es möglich ist, mit Scharfsinn ergänzt,
den Entwicklungsgang der römischen Dichtkunst mit klaren Umrissen gezeichnet
und das Verhältnis der römischen Dichter zu ihren Vorgängern wie zu ihren
Nachfolgern weder über- noch unterschätzend in gerechter Weise dargelegt hätte,
und die dies alles in anziehender und anregender Weise gethan hätte, gab es
bisher nicht. Sie wird uns erst von Ribbeck gegeben: „lang vorbereitet, oft
aufgeschoben und endlich schnell hingeworfen." Die Schwierigkeiten, die dabei
zu überwinden waren, sind schon angedeutet worden. Da galt es zunächst
die Lücken in der Überlieferung zu schließen und den scheinbar unbildsamen
und starren Stoff, so weit es gehen wollte, zu beleben. „So weit es gehen
will," sagt Ribbeck selbst. „Denn streckenweise liegt ja nichts weiter als ein
weites Trümmerfeld vor uns, übersät mit Bruchstücken, Splittern und Brocken,
die in ihrer Verwüstung oft kaum erkennbar und verstündlich sind. Gerade
die eigenartigsten Schöpfungen der republikanischen Zeit sind in solche Ruinen
zerfallei?. Wie soll aus so kümmerlichen und zufälligen Resten ohne Willkür
eine genügende Anschauung und Schützung Verlorner Kunstwerke, ein zusammen¬
hängender Überblick des Entwicklungsganges gewonnen werden, welchen die
Dichtung bei deu Römern genommen hat? Und doch: worauf zielte alle
Mühe des Sammelns und aller Scharfsinn, der ans Reinigung und Deutung
des Einzelnen verwendet wird, wenn man auf das Vergnügen verzichten wollte
oder müßte, diese bunten Steine ordnend an einander zu fügen?"
Die Kunst, dem Mosaizisten gleich aus einzelnen Steinchen ein Bild zu¬
sammenzustellen, dessen Umrisse um so deutlicher werden, je größer der Umfang
dieser Steinchen ist, und dessen Farben um so leuchtender hervortreten, je
größer die Zahl der winzigen Steinchen ist, diese Kunst Ribbecks offenbart
sich besonders glänzend im ersten Bande, wo ganze Abschnitte nur durch die
geschickteste Benutzung, Verbindung und Ergänzung aller Nachrichten und
Bruchstücke geschaffen werden konnten. So sind uns von deu Männern, die
zuerst in lateinischer Sprache nach griechischen Vorbildern gedichtet haben, von
Livius Andronicus, Cil. naevius und Q. Ennius nur noch bei spätern Schrift¬
stellern hie und da eine kurze Angabe über ihr Leben und ihr Werk oder
einige wenige Verse aus ihren Dichtungen erhalten; von dem großen Gelehrten
M. Terentius Varro sind zwar zwei prosaische Schriften auf uns gekommen,
aber aus der Zersplitterung seines poetischen Hauptwerth, der hundertund¬
funfzig Bücher menippeischer Satiren, sind nur gegen sechshundert „oft rätsel¬
hafte, kümmerliche und elend überlieferte Bruchstücke" gerettet worden, und
während wir noch zwanzig plautinische Stücke besitzen, haben wir über das
Leben des Plautus nur sehr spärliche und verstreute Nachrichten, aus denen
erst Ritschl den wirklichen Namen und die Lebenszeit des Dichters nachgewiesen
hat. Darnach entwirft Ribbeck folgende Lebensbeschreibung des Plautus:
»Zu Anfang des sechsten Jahrhunderts der Stadt kam aus dem kürzlich unter-
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