Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung von Schriftstellern könnte dies vielleicht gelten, für die gesamte klassische Lit¬ Ob die Schule mit ihren Bemühungen, unsre Jugend wieder mehr in Unter den im edelsten Sinne populären Werken steht jetzt Ribbecks Ge¬ Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung von Schriftstellern könnte dies vielleicht gelten, für die gesamte klassische Lit¬ Ob die Schule mit ihren Bemühungen, unsre Jugend wieder mehr in Unter den im edelsten Sinne populären Werken steht jetzt Ribbecks Ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212998"/> <fw type="header" place="top"> Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1752" prev="#ID_1751"> von Schriftstellern könnte dies vielleicht gelten, für die gesamte klassische Lit¬<lb/> teratur sicherlich nicht. Eher dürfte das Gegenteil der Fall sein: nicht deshalb,<lb/> weil wir die Alten besser kennen als früher, mißachten wir sie, sondern weil<lb/> wir sie überhaupt nicht mehr ordentlich kennen lernen, verlieren wir auch mehr<lb/> und mehr die Liebe zum Altertum und die Achtung davor. Früher hieß es:<lb/> „Lese Homer und Sophokles, Vergil und Horaz, so viel und so oft ihr könnt,<lb/> sie sind es wert." Und wir lasen und lasen, und die Alten wurden uns<lb/> wirklich lieb und wert. Jetzt hören schon die Schüler — nicht in der Schule,<lb/> aber sonst überall — fast nur noch geringschätzige oder gar spöttische Urteile<lb/> über die Alten und denken: „Wozu denn noch außer der Schule lesen, womit<lb/> wir schon in der Klasse geplagt werden?" Und sie lesen nicht mehr, als was<lb/> sie lesen müssen, und auch dies nur mit einer gewissen Herablassung und einer<lb/> am nachschwatzen moderner Schlagworte genährten Selbstüberhebung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1753"> Ob die Schule mit ihren Bemühungen, unsre Jugend wieder mehr in<lb/> den Geist der alten Schriftsteller einzuführen, künftig größere Erfolge haben<lb/> wird? Jedenfalls muß sich zuvor eine geistige Umwandlung der Erwachsenen<lb/> vollziehen. Man muß sich des wahren Wertes dessen, was man leichtes<lb/> Herzens aufgiebt, erst wirklich bewußt werden, man muß wieder Sehnsucht<lb/> nach dem schon eingebüßten empfinden. Das wird aber leider wohl erst dann ein¬<lb/> treten, wenn sich unsre neue Bildung am Ende der Sackgasse, in die sie sich<lb/> zu verrennen droht, auf ihre Herkunft besinnt. Eine Aufgabe der Altertums-<lb/> wissenschaft aber ist es, diese Umkehr vorzubereiten, indem sie den Vorurteilen,<lb/> die mehr als je das xrolRnuin volZus beherrschen, entgegentritt und die Er¬<lb/> gebnisse der gelehrten Forschung in Büchern, die zum mindesten lesbar, wo¬<lb/> möglich aber gut geschrieben sind, dem weitern Kreise der Gebildeten wieder<lb/> nahe bringt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1754" next="#ID_1755"> Unter den im edelsten Sinne populären Werken steht jetzt Ribbecks Ge¬<lb/> schichte der römischen Dichtung an erster Stelle. Man darf von ihr auch eine<lb/> besondre Wirkung erhoffen. Die römischen Dichter sind ja von dem mi߬<lb/> günstigen und oft gehässigen Urteil unsrer Zeit am härtesten getroffen worden,<lb/> weil das Gebiet der römischen Dichtung jedem Gegner zahlreiche Angriffs¬<lb/> punkte und weite Breschen bietet. Wer hätte nicht schon über die Abhängig¬<lb/> keit und Unselbständigkeit der bedeutendsten Dichter Roms und über ihre<lb/> eigentlich doch recht prosaische Natur spotten, über die scheinbar Sprunghafte<lb/> und unorganische Entwicklung der römischen Litteratur sich wundern und über<lb/> die trümmerhafte Überlieferung klagen hören? Es war ja immer nur eine<lb/> verhältnismäßig kleine Zahl von Schriftstellern, mit denen man auf der Schule<lb/> bekannt wurde, und wenige anßer den Fachgelehrten fanden in spätern Jahren<lb/> die Muße, das Versäumte nachzuholen, wozu auch meistens jede Anregung<lb/> fehlte. Die Handbücher, die dem Gelehrten zu Gebote standen, konnten den<lb/> Laien nicht fesseln, und eine Geschichte der römischen Dichtung, eine wirkliche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0522]
Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung
von Schriftstellern könnte dies vielleicht gelten, für die gesamte klassische Lit¬
teratur sicherlich nicht. Eher dürfte das Gegenteil der Fall sein: nicht deshalb,
weil wir die Alten besser kennen als früher, mißachten wir sie, sondern weil
wir sie überhaupt nicht mehr ordentlich kennen lernen, verlieren wir auch mehr
und mehr die Liebe zum Altertum und die Achtung davor. Früher hieß es:
„Lese Homer und Sophokles, Vergil und Horaz, so viel und so oft ihr könnt,
sie sind es wert." Und wir lasen und lasen, und die Alten wurden uns
wirklich lieb und wert. Jetzt hören schon die Schüler — nicht in der Schule,
aber sonst überall — fast nur noch geringschätzige oder gar spöttische Urteile
über die Alten und denken: „Wozu denn noch außer der Schule lesen, womit
wir schon in der Klasse geplagt werden?" Und sie lesen nicht mehr, als was
sie lesen müssen, und auch dies nur mit einer gewissen Herablassung und einer
am nachschwatzen moderner Schlagworte genährten Selbstüberhebung.
Ob die Schule mit ihren Bemühungen, unsre Jugend wieder mehr in
den Geist der alten Schriftsteller einzuführen, künftig größere Erfolge haben
wird? Jedenfalls muß sich zuvor eine geistige Umwandlung der Erwachsenen
vollziehen. Man muß sich des wahren Wertes dessen, was man leichtes
Herzens aufgiebt, erst wirklich bewußt werden, man muß wieder Sehnsucht
nach dem schon eingebüßten empfinden. Das wird aber leider wohl erst dann ein¬
treten, wenn sich unsre neue Bildung am Ende der Sackgasse, in die sie sich
zu verrennen droht, auf ihre Herkunft besinnt. Eine Aufgabe der Altertums-
wissenschaft aber ist es, diese Umkehr vorzubereiten, indem sie den Vorurteilen,
die mehr als je das xrolRnuin volZus beherrschen, entgegentritt und die Er¬
gebnisse der gelehrten Forschung in Büchern, die zum mindesten lesbar, wo¬
möglich aber gut geschrieben sind, dem weitern Kreise der Gebildeten wieder
nahe bringt.
Unter den im edelsten Sinne populären Werken steht jetzt Ribbecks Ge¬
schichte der römischen Dichtung an erster Stelle. Man darf von ihr auch eine
besondre Wirkung erhoffen. Die römischen Dichter sind ja von dem mi߬
günstigen und oft gehässigen Urteil unsrer Zeit am härtesten getroffen worden,
weil das Gebiet der römischen Dichtung jedem Gegner zahlreiche Angriffs¬
punkte und weite Breschen bietet. Wer hätte nicht schon über die Abhängig¬
keit und Unselbständigkeit der bedeutendsten Dichter Roms und über ihre
eigentlich doch recht prosaische Natur spotten, über die scheinbar Sprunghafte
und unorganische Entwicklung der römischen Litteratur sich wundern und über
die trümmerhafte Überlieferung klagen hören? Es war ja immer nur eine
verhältnismäßig kleine Zahl von Schriftstellern, mit denen man auf der Schule
bekannt wurde, und wenige anßer den Fachgelehrten fanden in spätern Jahren
die Muße, das Versäumte nachzuholen, wozu auch meistens jede Anregung
fehlte. Die Handbücher, die dem Gelehrten zu Gebote standen, konnten den
Laien nicht fesseln, und eine Geschichte der römischen Dichtung, eine wirkliche
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