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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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I. G, Lichtes geschlossener Handelsstaat

Erfassung der Wahrheit und Tugend hinstellt, und wenn er im Zusammen¬
hang mit dieser Bestimmung das nationale Element in seiner Bedeutung sür
die Ausbildung zur Sittlichkeit mit der ganzen Kraft seiner großen Seele er¬
faßt, so ist er über den Grundsatz von der Annehmlichkeit des Lebens als
Endzweck des einzelnen wie des Staates gewiß weit hinaus. Aber auf der
Stufe, auf der er bei Abfassung seiner Schrift vom "geschlossenen Handels¬
staat" steht, ist ihm die Forderung, das Leben so angenehm als möglich zu
gestalten, allerdings noch die höchste, die er an den Staat zu stellen hat. daß
er aber in dieser Schrift dazu kommt, aus dem, berechtigten Wunsche eines
jeden, möglichst angenehm zu leben, ein Recht zu machen und vom Staat zu
verlangen, daß er dieses vermeintliche Recht befriedigen, also auch, wie dies
im Begriffe des Rechts liegt, erzwingen solle, das hängt damit zusammen,
daß Fichte bei Abfassung seines "geschlossenen Handelsstaats" von der Stufe
seiner philosophischen Entwicklung herkam, auf der ihm der Staat weiter
nichts als eine Vereinigung zum Rechtsschutz war. Damit hatte er die Neigung,
auch die berechtigten Wünsche der einzelnen, ihre Interessen zu Rechten zu
machen. Werden die Interessen zu Rechten, so ist der Staat auch befugt, sie
zu erzwingen. Die Folge davon ist der soziale Staat.

Damit sind wir an die Ausführung der sozialpolitischen Theorie ge¬
kommen, wie sie Fichte nur auf Grund der angegebnen Sätze weiter entwickelt
hat. Sie ist im wesentlichen folgende.

Die beiden Hauptzweige der Thätigkeit, durch die der Mensch sein Leben
erhält und angenehm macht, sind: die Gewinnung der Naturprodukte und
deren weitere Bearbeitung für irgend einen Zweck. Darnach würden zwei
Stände zu bilden sein, einer mit dem ausschließendem Recht, Produkte zu ge¬
winnen, ein andrer, diese Produkte zu bearbeiten. Der eine ist der Stand
der Produzenten, der andre der der Künstler. Beide stehen auf dein Vertrage,
keinen Eingriff in das Gebiet des andern vorzunehmen. Diesem lediglich
negativen Vertrage, der mir Vermeidung jeder Störung verspricht, ist ein
Positiver hinzuzufügen, durch den sich die Produzenten verpflichten, so viele
Produkte zu erzeugen, daß sie selbst und die Künstler sich davon ernähren und
den letztern noch Stoffe zur Verarbeitung geben können, auch daß sie ihre
Produkte den Künstlern gegen die von diesen gefertigten Fabrikate ablassen
wollen; die Künstler dagegen verpflichten sich, so viele Fabrikate den Pro¬
duzenten zu liefern, als diese zu haben gewohnt sind; sie verpflichten sich
beiderseits uach dem Maßstabe, daß jeder von beiden gleich angenehm leben
könne. Dieser Maßstab bildet den Preis. Das Geschäft ist Tauschgeschäft;
doch kommt auch eine Geldart mit in Anwendung, von der noch geredet
werden soll.

Aus Gründen der Zweckmäßigkeit tritt, um diesen Tauschhandel zu be¬
sorgen, als dritter Stand zwischen beide der der Kaufleute, die ebenfalls mit


I. G, Lichtes geschlossener Handelsstaat

Erfassung der Wahrheit und Tugend hinstellt, und wenn er im Zusammen¬
hang mit dieser Bestimmung das nationale Element in seiner Bedeutung sür
die Ausbildung zur Sittlichkeit mit der ganzen Kraft seiner großen Seele er¬
faßt, so ist er über den Grundsatz von der Annehmlichkeit des Lebens als
Endzweck des einzelnen wie des Staates gewiß weit hinaus. Aber auf der
Stufe, auf der er bei Abfassung seiner Schrift vom „geschlossenen Handels¬
staat" steht, ist ihm die Forderung, das Leben so angenehm als möglich zu
gestalten, allerdings noch die höchste, die er an den Staat zu stellen hat. daß
er aber in dieser Schrift dazu kommt, aus dem, berechtigten Wunsche eines
jeden, möglichst angenehm zu leben, ein Recht zu machen und vom Staat zu
verlangen, daß er dieses vermeintliche Recht befriedigen, also auch, wie dies
im Begriffe des Rechts liegt, erzwingen solle, das hängt damit zusammen,
daß Fichte bei Abfassung seines „geschlossenen Handelsstaats" von der Stufe
seiner philosophischen Entwicklung herkam, auf der ihm der Staat weiter
nichts als eine Vereinigung zum Rechtsschutz war. Damit hatte er die Neigung,
auch die berechtigten Wünsche der einzelnen, ihre Interessen zu Rechten zu
machen. Werden die Interessen zu Rechten, so ist der Staat auch befugt, sie
zu erzwingen. Die Folge davon ist der soziale Staat.

Damit sind wir an die Ausführung der sozialpolitischen Theorie ge¬
kommen, wie sie Fichte nur auf Grund der angegebnen Sätze weiter entwickelt
hat. Sie ist im wesentlichen folgende.

Die beiden Hauptzweige der Thätigkeit, durch die der Mensch sein Leben
erhält und angenehm macht, sind: die Gewinnung der Naturprodukte und
deren weitere Bearbeitung für irgend einen Zweck. Darnach würden zwei
Stände zu bilden sein, einer mit dem ausschließendem Recht, Produkte zu ge¬
winnen, ein andrer, diese Produkte zu bearbeiten. Der eine ist der Stand
der Produzenten, der andre der der Künstler. Beide stehen auf dein Vertrage,
keinen Eingriff in das Gebiet des andern vorzunehmen. Diesem lediglich
negativen Vertrage, der mir Vermeidung jeder Störung verspricht, ist ein
Positiver hinzuzufügen, durch den sich die Produzenten verpflichten, so viele
Produkte zu erzeugen, daß sie selbst und die Künstler sich davon ernähren und
den letztern noch Stoffe zur Verarbeitung geben können, auch daß sie ihre
Produkte den Künstlern gegen die von diesen gefertigten Fabrikate ablassen
wollen; die Künstler dagegen verpflichten sich, so viele Fabrikate den Pro¬
duzenten zu liefern, als diese zu haben gewohnt sind; sie verpflichten sich
beiderseits uach dem Maßstabe, daß jeder von beiden gleich angenehm leben
könne. Dieser Maßstab bildet den Preis. Das Geschäft ist Tauschgeschäft;
doch kommt auch eine Geldart mit in Anwendung, von der noch geredet
werden soll.

Aus Gründen der Zweckmäßigkeit tritt, um diesen Tauschhandel zu be¬
sorgen, als dritter Stand zwischen beide der der Kaufleute, die ebenfalls mit


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[0517] I. G, Lichtes geschlossener Handelsstaat Erfassung der Wahrheit und Tugend hinstellt, und wenn er im Zusammen¬ hang mit dieser Bestimmung das nationale Element in seiner Bedeutung sür die Ausbildung zur Sittlichkeit mit der ganzen Kraft seiner großen Seele er¬ faßt, so ist er über den Grundsatz von der Annehmlichkeit des Lebens als Endzweck des einzelnen wie des Staates gewiß weit hinaus. Aber auf der Stufe, auf der er bei Abfassung seiner Schrift vom „geschlossenen Handels¬ staat" steht, ist ihm die Forderung, das Leben so angenehm als möglich zu gestalten, allerdings noch die höchste, die er an den Staat zu stellen hat. daß er aber in dieser Schrift dazu kommt, aus dem, berechtigten Wunsche eines jeden, möglichst angenehm zu leben, ein Recht zu machen und vom Staat zu verlangen, daß er dieses vermeintliche Recht befriedigen, also auch, wie dies im Begriffe des Rechts liegt, erzwingen solle, das hängt damit zusammen, daß Fichte bei Abfassung seines „geschlossenen Handelsstaats" von der Stufe seiner philosophischen Entwicklung herkam, auf der ihm der Staat weiter nichts als eine Vereinigung zum Rechtsschutz war. Damit hatte er die Neigung, auch die berechtigten Wünsche der einzelnen, ihre Interessen zu Rechten zu machen. Werden die Interessen zu Rechten, so ist der Staat auch befugt, sie zu erzwingen. Die Folge davon ist der soziale Staat. Damit sind wir an die Ausführung der sozialpolitischen Theorie ge¬ kommen, wie sie Fichte nur auf Grund der angegebnen Sätze weiter entwickelt hat. Sie ist im wesentlichen folgende. Die beiden Hauptzweige der Thätigkeit, durch die der Mensch sein Leben erhält und angenehm macht, sind: die Gewinnung der Naturprodukte und deren weitere Bearbeitung für irgend einen Zweck. Darnach würden zwei Stände zu bilden sein, einer mit dem ausschließendem Recht, Produkte zu ge¬ winnen, ein andrer, diese Produkte zu bearbeiten. Der eine ist der Stand der Produzenten, der andre der der Künstler. Beide stehen auf dein Vertrage, keinen Eingriff in das Gebiet des andern vorzunehmen. Diesem lediglich negativen Vertrage, der mir Vermeidung jeder Störung verspricht, ist ein Positiver hinzuzufügen, durch den sich die Produzenten verpflichten, so viele Produkte zu erzeugen, daß sie selbst und die Künstler sich davon ernähren und den letztern noch Stoffe zur Verarbeitung geben können, auch daß sie ihre Produkte den Künstlern gegen die von diesen gefertigten Fabrikate ablassen wollen; die Künstler dagegen verpflichten sich, so viele Fabrikate den Pro¬ duzenten zu liefern, als diese zu haben gewohnt sind; sie verpflichten sich beiderseits uach dem Maßstabe, daß jeder von beiden gleich angenehm leben könne. Dieser Maßstab bildet den Preis. Das Geschäft ist Tauschgeschäft; doch kommt auch eine Geldart mit in Anwendung, von der noch geredet werden soll. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit tritt, um diesen Tauschhandel zu be¬ sorgen, als dritter Stand zwischen beide der der Kaufleute, die ebenfalls mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/517>, abgerufen am 08.01.2025.