Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.I. G. Fichtes geschlossener Handelsstaat mit freier Arbeit tritt und muß treten die organisirte Arbeit ohne Eigentum, I. G. Fichtes geschlossener Handelsstaat mit freier Arbeit tritt und muß treten die organisirte Arbeit ohne Eigentum, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212992"/> <fw type="header" place="top"> I. G. Fichtes geschlossener Handelsstaat</fw><lb/> <p xml:id="ID_1735" prev="#ID_1734" next="#ID_1736"> mit freier Arbeit tritt und muß treten die organisirte Arbeit ohne Eigentum,<lb/> eine Organisation, die nach dem Grundsatz zu bewerkstelligen ist: Gleiche Lust<lb/> für gleiche Arbeit! Wir werden sehen, wie Fichte auch darauf hinaussteuert.<lb/> Seine sozialistische Theorie kennen zu lernen ist deshalb so interessant, weil<lb/> es wenige und scheinbar recht unverfängliche Sätze sind, aus denen sie her¬<lb/> vorgeht, sodaß wegen der Folgerichtigkeit dieser Theorie die falsche Grundlage<lb/> deutlicher hervortritt, als in den theoretischen Gedankengängen der spätern<lb/> sozialpolitischen Schriftsteller. Die Sätze: Keiner ist mehr !oder weniger Mensch<lb/> als der andre, und darum hat jeder gleiches Recht darauf, so angenehm zu<lb/> leben als möglich; die Teilung muß nach dieser Gleichheit des Rechts gemacht<lb/> werden, also, daß alle ungefähr gleich augenehm leben können; die Bestimmung<lb/> des Staates ist, jedem das Seine zu geben, in dem Sinne, daß jedem von<lb/> Staats wegen dazu verholfen werden soll, gleich angenehm zu leben — diese<lb/> Sätze geben die Grundlage zu allen sozialen Forderungen Fichtes. Sie sind<lb/> aber ebenso unhaltbar, wie die einseitige Begründung des Eigentums auf den<lb/> Vertrag. Denn aus der natürlichen Rechtsgleichheit aller Menschen folgt nur<lb/> das Recht, sich erwerben zu können, was ohne Rechtsverletzung der andern<lb/> erworben werden kann, nicht aber das Recht auf gleichen Besitz und gleiches<lb/> Eigentum. Das Eigentum ist kein nngebornes Menschenrecht, sondern es ent¬<lb/> steht erst durch Zueignung mittels der Arbeit, wie wir schon bemerkten, und<lb/> wie auch Fichte selbst an andern Stellen, z. B. in seiner Schrift über die<lb/> französische Revolution, anerkennt. Weiter ist auch der Zweck des Staates<lb/> nicht in der Annehmlichkeit des Lebens für den einzelnen zu suchen. Der<lb/> Staat hat die Verwirklichung der Sittlichkeit zu seinem letzten Zweck, dem sich<lb/> alle andern Zwecke unterordnen müssen; er ist die das ganze Leben seiner<lb/> Mitglieder umfassende große Erziehungsanstalt. Freilich fällt in diese seine<lb/> Aufgabe die Sorge für möglichst große Annehmlichkeit des Lebens der ein¬<lb/> zelnen mit hinein; sie ist die Sorge für das materielle Wohl der Staats¬<lb/> angehörigen; aber sie ist nicht die einzige und nicht die höchste Aufgabe des<lb/> Staates, ebensowenig wie der Rechtsschutz des einzelnen der einzige Zweck des<lb/> Staates ist, wie von vielen Rechtslehrern angenommen wurde. Vielmehr<lb/> kommt zu den beiden Aufgaben des Staates, der des Rechtsschutzes und der<lb/> der Sorge für das materielle Wohl, als dritte und letzte die Pflege der Sitt¬<lb/> lichkeit hinzu, im weitesten Sinne dieses Wortes, worin Sittlichkeit eins ist<lb/> mit freier menschlicher Bildung. Diese dreifache Aufgabe des Staates, Rechts¬<lb/> schutz, möglichste Sorge für materielles Wohl und Pflege der Sittlichkeit, um¬<lb/> faßt den aristotelischen Begriff des Fichte hat im Verlaufe seiner<lb/> wissenschaftlichen Entwicklung jede der drei Seiten nach einander ausgebaut.<lb/> Denn wenn er im letzten Abschnitt seines Lebens nach dem Zusammensturz<lb/> des preußischen Staates als die wichtigste Bestimmung des Staates die Volks¬<lb/> bildung, die Heranziehung eines neuen Geschlechts zu freier Sittlichkeit, zur</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
I. G. Fichtes geschlossener Handelsstaat
mit freier Arbeit tritt und muß treten die organisirte Arbeit ohne Eigentum,
eine Organisation, die nach dem Grundsatz zu bewerkstelligen ist: Gleiche Lust
für gleiche Arbeit! Wir werden sehen, wie Fichte auch darauf hinaussteuert.
Seine sozialistische Theorie kennen zu lernen ist deshalb so interessant, weil
es wenige und scheinbar recht unverfängliche Sätze sind, aus denen sie her¬
vorgeht, sodaß wegen der Folgerichtigkeit dieser Theorie die falsche Grundlage
deutlicher hervortritt, als in den theoretischen Gedankengängen der spätern
sozialpolitischen Schriftsteller. Die Sätze: Keiner ist mehr !oder weniger Mensch
als der andre, und darum hat jeder gleiches Recht darauf, so angenehm zu
leben als möglich; die Teilung muß nach dieser Gleichheit des Rechts gemacht
werden, also, daß alle ungefähr gleich augenehm leben können; die Bestimmung
des Staates ist, jedem das Seine zu geben, in dem Sinne, daß jedem von
Staats wegen dazu verholfen werden soll, gleich angenehm zu leben — diese
Sätze geben die Grundlage zu allen sozialen Forderungen Fichtes. Sie sind
aber ebenso unhaltbar, wie die einseitige Begründung des Eigentums auf den
Vertrag. Denn aus der natürlichen Rechtsgleichheit aller Menschen folgt nur
das Recht, sich erwerben zu können, was ohne Rechtsverletzung der andern
erworben werden kann, nicht aber das Recht auf gleichen Besitz und gleiches
Eigentum. Das Eigentum ist kein nngebornes Menschenrecht, sondern es ent¬
steht erst durch Zueignung mittels der Arbeit, wie wir schon bemerkten, und
wie auch Fichte selbst an andern Stellen, z. B. in seiner Schrift über die
französische Revolution, anerkennt. Weiter ist auch der Zweck des Staates
nicht in der Annehmlichkeit des Lebens für den einzelnen zu suchen. Der
Staat hat die Verwirklichung der Sittlichkeit zu seinem letzten Zweck, dem sich
alle andern Zwecke unterordnen müssen; er ist die das ganze Leben seiner
Mitglieder umfassende große Erziehungsanstalt. Freilich fällt in diese seine
Aufgabe die Sorge für möglichst große Annehmlichkeit des Lebens der ein¬
zelnen mit hinein; sie ist die Sorge für das materielle Wohl der Staats¬
angehörigen; aber sie ist nicht die einzige und nicht die höchste Aufgabe des
Staates, ebensowenig wie der Rechtsschutz des einzelnen der einzige Zweck des
Staates ist, wie von vielen Rechtslehrern angenommen wurde. Vielmehr
kommt zu den beiden Aufgaben des Staates, der des Rechtsschutzes und der
der Sorge für das materielle Wohl, als dritte und letzte die Pflege der Sitt¬
lichkeit hinzu, im weitesten Sinne dieses Wortes, worin Sittlichkeit eins ist
mit freier menschlicher Bildung. Diese dreifache Aufgabe des Staates, Rechts¬
schutz, möglichste Sorge für materielles Wohl und Pflege der Sittlichkeit, um¬
faßt den aristotelischen Begriff des Fichte hat im Verlaufe seiner
wissenschaftlichen Entwicklung jede der drei Seiten nach einander ausgebaut.
Denn wenn er im letzten Abschnitt seines Lebens nach dem Zusammensturz
des preußischen Staates als die wichtigste Bestimmung des Staates die Volks¬
bildung, die Heranziehung eines neuen Geschlechts zu freier Sittlichkeit, zur
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