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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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vorhandnen Wirkungssphäre nebeneinanderbestehen sollen; also, daß alle un¬
gefähr gleich angenehm leben sollen."

Auf diesen Grundbegriffe" baut sich dann der sozialistische Staat Fichtes
auf. Ehe wir aber diesen Ausbau weiter kennen lernen, in dem auch die
weitere Ausführung über die Art der Teilung des Eigentums selbst gegeben
wird, wollen wir zunächst zusehen, ob die Grundbegriffe selbst standhalten.
Das thun sie nicht. Eigentum soll nur durch den Vertrag begründet werden,
der durch den sozialistischen Staat, durch den Vernunftstaat, wie ihn Fichte
nennt, eingeführt wird. Aber anstatt Eigentum erst zu begründen. d. h. den
Besitz einer Sache mit dem ausschließenden Rechte zum Gebrauch derselben zu
gewähren, setzt der Vertrag vielmehr den Begriff des Eigentums bereits voraus;
ich kann mich nicht über den Gebrauch von etwas vertragen, was nicht schon
mein oder des andern Eigentum ist. Und wie es unrichtig ist, daß das Eigen¬
tum und das Eigentumsrecht auf einem Vertrag beruhe -- alles Eigentum
beruht vielmehr unmittelbar oder in abgeleiteter Weise auf Arbeit, selbst das
Ergreifen einer herrenlosen Sache, einer rss multos --, so ist es auch unrichtig,
daß es erst im Staate entstehe. Der Nomade, der nicht im Staate lebt, hat
gleichwohl Eigentum und Eigentumsrecht. Der Staat findet es vor; die Per¬
sonen, aus denen der Staat erwächst, sind bereits Eigentümer; sie sind das
kraft des natürlichen, nicht kraft des staatlichen Rechts; zu schaffen hat also
der Staat dieses Recht nicht, er hat es nur zu schützen.

Diese mangelhafte Fassung des Eigentumsbegriffs häugt um bei unserm
Philosophen zusammen mit der mangelhaften Fassung von Wesen und Aufgabe
des Staates. Wenn alle rechtlichen Einrichtungen im Staat darnach und nur
darnach gemacht werden müssen, daß jeder so angenehm als möglich lebt, wenn
die Aufgabe des Staates in der gleichmäßigen Teilnahme eines jeden an den
Genüssen des Lebens besteht, die Glückseligkeit des einzelnen also das ist,
worauf alles berechnet werden muß, kurz, wie die Lust der höchste Zweck aller,
auch aller staatlichen Thätigkeit ist. so ist die Regelung dieser Thätigkeit so
vorzunehmen, daß sie möglichst gleichmüßige Genüsse bewirken kann. Wer aber
Gleichheit der Genüsse will -- und die muß der wollen, der möglichst gleiche
Annehmlichkeit des Lebens für jeden als eine rechtliche Forderung hinstellt --,
der muß das Eigentum fallen lassen, da mit dem Eigentumsbegriff die Un¬
gleichheit und Verschiedenheit gegeben ist; denn der Erwerb des Eigentums
hängt ab von der Kraft, der Anlage, der Neigung, der Geschicklichkeit, dem
Fleiß, dem Sparsinn und dem Glück der verschiednen Eroberer. Möglichst
gleichmäßiger Genuß also und ausschließlicher Besitz von Scicheu, d. h. Eigen¬
tum, vertragen sich nicht mit einander. Sondern soll die Gleichheit des Genusses
festgehalten werden, so muß, da doch die Genüsse nicht von selber kommen,
vielmehr geschafft werden müssen, eine solche Organisation des Staates ein¬
treten, die die gleiche Befriedigung verbürgt. An die Stelle des Eigentums


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vorhandnen Wirkungssphäre nebeneinanderbestehen sollen; also, daß alle un¬
gefähr gleich angenehm leben sollen."

Auf diesen Grundbegriffe» baut sich dann der sozialistische Staat Fichtes
auf. Ehe wir aber diesen Ausbau weiter kennen lernen, in dem auch die
weitere Ausführung über die Art der Teilung des Eigentums selbst gegeben
wird, wollen wir zunächst zusehen, ob die Grundbegriffe selbst standhalten.
Das thun sie nicht. Eigentum soll nur durch den Vertrag begründet werden,
der durch den sozialistischen Staat, durch den Vernunftstaat, wie ihn Fichte
nennt, eingeführt wird. Aber anstatt Eigentum erst zu begründen. d. h. den
Besitz einer Sache mit dem ausschließenden Rechte zum Gebrauch derselben zu
gewähren, setzt der Vertrag vielmehr den Begriff des Eigentums bereits voraus;
ich kann mich nicht über den Gebrauch von etwas vertragen, was nicht schon
mein oder des andern Eigentum ist. Und wie es unrichtig ist, daß das Eigen¬
tum und das Eigentumsrecht auf einem Vertrag beruhe — alles Eigentum
beruht vielmehr unmittelbar oder in abgeleiteter Weise auf Arbeit, selbst das
Ergreifen einer herrenlosen Sache, einer rss multos —, so ist es auch unrichtig,
daß es erst im Staate entstehe. Der Nomade, der nicht im Staate lebt, hat
gleichwohl Eigentum und Eigentumsrecht. Der Staat findet es vor; die Per¬
sonen, aus denen der Staat erwächst, sind bereits Eigentümer; sie sind das
kraft des natürlichen, nicht kraft des staatlichen Rechts; zu schaffen hat also
der Staat dieses Recht nicht, er hat es nur zu schützen.

Diese mangelhafte Fassung des Eigentumsbegriffs häugt um bei unserm
Philosophen zusammen mit der mangelhaften Fassung von Wesen und Aufgabe
des Staates. Wenn alle rechtlichen Einrichtungen im Staat darnach und nur
darnach gemacht werden müssen, daß jeder so angenehm als möglich lebt, wenn
die Aufgabe des Staates in der gleichmäßigen Teilnahme eines jeden an den
Genüssen des Lebens besteht, die Glückseligkeit des einzelnen also das ist,
worauf alles berechnet werden muß, kurz, wie die Lust der höchste Zweck aller,
auch aller staatlichen Thätigkeit ist. so ist die Regelung dieser Thätigkeit so
vorzunehmen, daß sie möglichst gleichmüßige Genüsse bewirken kann. Wer aber
Gleichheit der Genüsse will — und die muß der wollen, der möglichst gleiche
Annehmlichkeit des Lebens für jeden als eine rechtliche Forderung hinstellt —,
der muß das Eigentum fallen lassen, da mit dem Eigentumsbegriff die Un¬
gleichheit und Verschiedenheit gegeben ist; denn der Erwerb des Eigentums
hängt ab von der Kraft, der Anlage, der Neigung, der Geschicklichkeit, dem
Fleiß, dem Sparsinn und dem Glück der verschiednen Eroberer. Möglichst
gleichmäßiger Genuß also und ausschließlicher Besitz von Scicheu, d. h. Eigen¬
tum, vertragen sich nicht mit einander. Sondern soll die Gleichheit des Genusses
festgehalten werden, so muß, da doch die Genüsse nicht von selber kommen,
vielmehr geschafft werden müssen, eine solche Organisation des Staates ein¬
treten, die die gleiche Befriedigung verbürgt. An die Stelle des Eigentums


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[0515] I. G, Achtes geschlossener Hcmdelsstaat vorhandnen Wirkungssphäre nebeneinanderbestehen sollen; also, daß alle un¬ gefähr gleich angenehm leben sollen." Auf diesen Grundbegriffe» baut sich dann der sozialistische Staat Fichtes auf. Ehe wir aber diesen Ausbau weiter kennen lernen, in dem auch die weitere Ausführung über die Art der Teilung des Eigentums selbst gegeben wird, wollen wir zunächst zusehen, ob die Grundbegriffe selbst standhalten. Das thun sie nicht. Eigentum soll nur durch den Vertrag begründet werden, der durch den sozialistischen Staat, durch den Vernunftstaat, wie ihn Fichte nennt, eingeführt wird. Aber anstatt Eigentum erst zu begründen. d. h. den Besitz einer Sache mit dem ausschließenden Rechte zum Gebrauch derselben zu gewähren, setzt der Vertrag vielmehr den Begriff des Eigentums bereits voraus; ich kann mich nicht über den Gebrauch von etwas vertragen, was nicht schon mein oder des andern Eigentum ist. Und wie es unrichtig ist, daß das Eigen¬ tum und das Eigentumsrecht auf einem Vertrag beruhe — alles Eigentum beruht vielmehr unmittelbar oder in abgeleiteter Weise auf Arbeit, selbst das Ergreifen einer herrenlosen Sache, einer rss multos —, so ist es auch unrichtig, daß es erst im Staate entstehe. Der Nomade, der nicht im Staate lebt, hat gleichwohl Eigentum und Eigentumsrecht. Der Staat findet es vor; die Per¬ sonen, aus denen der Staat erwächst, sind bereits Eigentümer; sie sind das kraft des natürlichen, nicht kraft des staatlichen Rechts; zu schaffen hat also der Staat dieses Recht nicht, er hat es nur zu schützen. Diese mangelhafte Fassung des Eigentumsbegriffs häugt um bei unserm Philosophen zusammen mit der mangelhaften Fassung von Wesen und Aufgabe des Staates. Wenn alle rechtlichen Einrichtungen im Staat darnach und nur darnach gemacht werden müssen, daß jeder so angenehm als möglich lebt, wenn die Aufgabe des Staates in der gleichmäßigen Teilnahme eines jeden an den Genüssen des Lebens besteht, die Glückseligkeit des einzelnen also das ist, worauf alles berechnet werden muß, kurz, wie die Lust der höchste Zweck aller, auch aller staatlichen Thätigkeit ist. so ist die Regelung dieser Thätigkeit so vorzunehmen, daß sie möglichst gleichmüßige Genüsse bewirken kann. Wer aber Gleichheit der Genüsse will — und die muß der wollen, der möglichst gleiche Annehmlichkeit des Lebens für jeden als eine rechtliche Forderung hinstellt —, der muß das Eigentum fallen lassen, da mit dem Eigentumsbegriff die Un¬ gleichheit und Verschiedenheit gegeben ist; denn der Erwerb des Eigentums hängt ab von der Kraft, der Anlage, der Neigung, der Geschicklichkeit, dem Fleiß, dem Sparsinn und dem Glück der verschiednen Eroberer. Möglichst gleichmäßiger Genuß also und ausschließlicher Besitz von Scicheu, d. h. Eigen¬ tum, vertragen sich nicht mit einander. Sondern soll die Gleichheit des Genusses festgehalten werden, so muß, da doch die Genüsse nicht von selber kommen, vielmehr geschafft werden müssen, eine solche Organisation des Staates ein¬ treten, die die gleiche Befriedigung verbürgt. An die Stelle des Eigentums

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/515>, abgerufen am 08.01.2025.