Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.dadurch, daß wir auch aus seinen Irrtümern mehr lernen können, als von Wenn sich bei irgend einem dieses Privilegium des geistreichen Menschen Da sich alle sozialpolitischen Behauptungen Fichtes nach seiner eignen Die nähere Art dieses Vertrages und zugleich die Antwort auf die Frage, dadurch, daß wir auch aus seinen Irrtümern mehr lernen können, als von Wenn sich bei irgend einem dieses Privilegium des geistreichen Menschen Da sich alle sozialpolitischen Behauptungen Fichtes nach seiner eignen Die nähere Art dieses Vertrages und zugleich die Antwort auf die Frage, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212990"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1728" prev="#ID_1727"> dadurch, daß wir auch aus seinen Irrtümern mehr lernen können, als von<lb/> dem andern aus seinen Wahrheiten; denn seine Irrtümer entstehen aus der<lb/> Wahrnehmung wirklicher Aufgaben, die ihrer Lösung harren, und auch der<lb/> verfehlte Lösungsversnch eines denkenden Kopfes deckt Schwierigkeiten auf, an<lb/> denen der gewöhnliche Mensch vorbeigeht, ohne auch nur eine Ahnung so¬<lb/> wohl von ihrem Vorhandensein als auch von der Notwendigkeit ihrer Lösung<lb/> zu haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1729"> Wenn sich bei irgend einem dieses Privilegium des geistreichen Menschen<lb/> geltend macht, so ist es bei Fichte der Fall, diesem auch darin merkwürdigsten<lb/> unter deu deutschen Philosophen, daß sich bei ihm der Mensch stets mit dem<lb/> Schriftsteller deckt und jede große Einsicht sofort anch zum großen Entschluß<lb/> wird. Seine politischen Theorien sind wie seine philosophischen einseitig und<lb/> darum meist unausführbar; aber da er ein Mensch von größter Folgerichtigkeit<lb/> im Denken wie im Handeln war, ein Mensch von der höchsten sittlichen Kraft,<lb/> der sich rücksichtslos dem Guten, das er als solches erkannte, hingab, und der<lb/> im Dienste der Idee nie Furcht noch Zaudern kannte, so ist es für uns von<lb/> hohem Interesse, seine Gedanken auf einem Gebiete kennen zu lernen, das<lb/> heutzutage die ganze Kulturwelt so beschäftigt, wie die soziale Frage. Diese<lb/> nämlich ist es, die Fichte in seiner Schrift vom „geschlossenen Handelsstaat"<lb/> in Angriff nimmt, die im Jahre 1800 erschien. Sehen wir zu, auf welche<lb/> Weise Fichte in dieser Schrift die soziale Frage behandelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1730"> Da sich alle sozialpolitischen Behauptungen Fichtes nach seiner eignen<lb/> Aussage auf seine Theorie vom Eigentum gründen, so ist zuerst hier festzu¬<lb/> halten, daß für Fichte Eigentum lediglich aus einem Vertrage entsteht. Vor<lb/> diesem Bertrage haben alle ans alles dasselbe Recht. Erst die Verzichtleistung<lb/> aller auf etwas, das ich für mich zu behalten begehre, ist mein Rechtsgrund.<lb/> Die, die den Vertrag schließen, bilden die Allheit, das geschlossene Ganze, das<lb/> wir Staat nennen. Er allein kann also Eigentumsrecht begründen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1731" next="#ID_1732"> Die nähere Art dieses Vertrages und zugleich die Antwort auf die Frage,<lb/> wie die Einsetzung in Eigentum vor sich gehen müsse, lautet: durch Teilung.<lb/> Damit meint Fichte aber nicht etwa Gleichteilung, woran wir immer zuerst<lb/> deuten, wenn vom sozialistischen Staat die Rede ist, sondern bei der weitern<lb/> Frage, wie diese Teilung gemacht werden müsse, kommt er zu folgender Be¬<lb/> trachtung. Der Zweck aller menschlichen Thätigkeit ist der, leben zu können.<lb/> Auf die Möglichkeit dazu haben alle deu gleichen Rechtsanspruch; also muß<lb/> die Teilung so gemacht werden, daß alle dabei bestehen können. Weiter sagt<lb/> er: „Jeder will so angenehm leben, als möglich; und da jeder das als Mensch<lb/> fordert, und keiner mehr oder weniger Mensch ist, als der andre, so haben in<lb/> dieser Forderung alle gleich Recht. Nach dieser Gleichheit ihres Rechts muß<lb/> die Teilung gemacht werden, so, daß alle und jeder so angenehm leben könne,<lb/> als es möglich ist, wenn so viele Menschen, als ihrer vorhanden sind, in der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0514]
dadurch, daß wir auch aus seinen Irrtümern mehr lernen können, als von
dem andern aus seinen Wahrheiten; denn seine Irrtümer entstehen aus der
Wahrnehmung wirklicher Aufgaben, die ihrer Lösung harren, und auch der
verfehlte Lösungsversnch eines denkenden Kopfes deckt Schwierigkeiten auf, an
denen der gewöhnliche Mensch vorbeigeht, ohne auch nur eine Ahnung so¬
wohl von ihrem Vorhandensein als auch von der Notwendigkeit ihrer Lösung
zu haben.
Wenn sich bei irgend einem dieses Privilegium des geistreichen Menschen
geltend macht, so ist es bei Fichte der Fall, diesem auch darin merkwürdigsten
unter deu deutschen Philosophen, daß sich bei ihm der Mensch stets mit dem
Schriftsteller deckt und jede große Einsicht sofort anch zum großen Entschluß
wird. Seine politischen Theorien sind wie seine philosophischen einseitig und
darum meist unausführbar; aber da er ein Mensch von größter Folgerichtigkeit
im Denken wie im Handeln war, ein Mensch von der höchsten sittlichen Kraft,
der sich rücksichtslos dem Guten, das er als solches erkannte, hingab, und der
im Dienste der Idee nie Furcht noch Zaudern kannte, so ist es für uns von
hohem Interesse, seine Gedanken auf einem Gebiete kennen zu lernen, das
heutzutage die ganze Kulturwelt so beschäftigt, wie die soziale Frage. Diese
nämlich ist es, die Fichte in seiner Schrift vom „geschlossenen Handelsstaat"
in Angriff nimmt, die im Jahre 1800 erschien. Sehen wir zu, auf welche
Weise Fichte in dieser Schrift die soziale Frage behandelt.
Da sich alle sozialpolitischen Behauptungen Fichtes nach seiner eignen
Aussage auf seine Theorie vom Eigentum gründen, so ist zuerst hier festzu¬
halten, daß für Fichte Eigentum lediglich aus einem Vertrage entsteht. Vor
diesem Bertrage haben alle ans alles dasselbe Recht. Erst die Verzichtleistung
aller auf etwas, das ich für mich zu behalten begehre, ist mein Rechtsgrund.
Die, die den Vertrag schließen, bilden die Allheit, das geschlossene Ganze, das
wir Staat nennen. Er allein kann also Eigentumsrecht begründen.
Die nähere Art dieses Vertrages und zugleich die Antwort auf die Frage,
wie die Einsetzung in Eigentum vor sich gehen müsse, lautet: durch Teilung.
Damit meint Fichte aber nicht etwa Gleichteilung, woran wir immer zuerst
deuten, wenn vom sozialistischen Staat die Rede ist, sondern bei der weitern
Frage, wie diese Teilung gemacht werden müsse, kommt er zu folgender Be¬
trachtung. Der Zweck aller menschlichen Thätigkeit ist der, leben zu können.
Auf die Möglichkeit dazu haben alle deu gleichen Rechtsanspruch; also muß
die Teilung so gemacht werden, daß alle dabei bestehen können. Weiter sagt
er: „Jeder will so angenehm leben, als möglich; und da jeder das als Mensch
fordert, und keiner mehr oder weniger Mensch ist, als der andre, so haben in
dieser Forderung alle gleich Recht. Nach dieser Gleichheit ihres Rechts muß
die Teilung gemacht werden, so, daß alle und jeder so angenehm leben könne,
als es möglich ist, wenn so viele Menschen, als ihrer vorhanden sind, in der
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