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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Judenfrage eine ethische Frage

mit den Wuchergesetzen der Neuzeit: für Deutschland vom 24. Mai 1880, für Öster¬
reichs zwei Kronländer vom 19. Juli 1877, und für ganz Österreich vom 28. Mai
1881. Es gilt nur, diese Richtung noch allgemeiner als bisher zu verfolgen, die
Strafen für Wucher wie die für Betrug, betrügerischen Bankrott, Veruntreuung^
Verkauf gefälschter Nahrungsmittel u. f. w. noch zu verschärfen und in der
Praxis nicht eine ungeziemende Milde walten zu lassen, die gerade bei diesen
Verbrechen häusig unter das Strafminimum herabgeht, sondern die Sicherheit
des Verkehrs, dessen Schutz doch sonst das Ziel aller bürgerlichen Gesetzgebung
ist, energisch zu verteidigen. Mit jeder Verurteilung müssen hohe Vermögens-
strafen und Ehrverlust verbunden werden.

Aber auch zur Deportation verurteilter Verbrecher müßte man endlich
greifen.

Der berühmte italienische Rechtslehrer Garofalo verlangt mit Recht
Reinigung der Gesellschaft von gemeinschädlichem Menschen, die "Selektion,"
und er geht mit Rücksicht auf die Erblichkeit so weit, zu verlangen, daß man
die Verbrecher der Fortpflanzungsfähigkeit beraube, damit ihre Nachkommen
ihre niedrigen Antriebe nicht erben und so ihre Zahl in der Gesellschaft nicht
wachse. Es füllt mir nicht ein, die Annahme dieses Grundsatzes zu empfehle",
ich beschränke mich darauf, zu behaupten, daß es nur recht und billig sei, wenn
der Verbrecher, namentlich der, von dem die Wiederholung seines Verbrechens
zu befürchten ist -- und dies ist z. B. bei Wucher, Betrug und betrügerischen
Bankrott immer der Fall --, seinem "Wirkungskreis" unbedingt entzogen
werde. Der verurteilte Dorfwucherer dürfte nicht mehr in dem Dorfe, der
verurteilte Börsenspekulant nicht mehr in der Stadt bleiben, wo er seine
Opfer gefunden hat. Das österreichische Wuchergesetz von 1881 hat bereits
einen Anlauf zu dieser Maßregel genommen, indem es mit der Verurteilung
die "Ortsabschaffuug" -- wenn auch nur fakultativ -- verbunden hat.
Aber der Wucherer darf überhaupt nicht mehr im Lande bleiben, weil sonst
zu befürchten steht, daß ihm die bloße Ortsausweisung mehr Nutzen als
Schaden bringen werde, indem er einfach ein andres Dorf oder eine andre
Stadt aufsucht und sein nichtswürdiges Treiben dort von vorn beginnt.
Jüdische wie christliche Wucherer, Betrüger, Schwindler aller Art sollten über
deu Ozean geschafft werden und zur Bevölkerung des schwarzen Erdteils bei¬
tragen. Das wird ihrem Vaterlande und auch denen unter ihnen, die dem
Klima zu trotzen vermögen, oder doch ihren Nachkommen gewiß zum Segen
gereichen. Sie werden den Wert der Arbeit und deren sittlichen Einfluß an
sich selbst erproben, und der Glaube an Gott, die Liebe für ihre Nation wird
in ihre öde Herzen wieder einziehn. Australien war lange Zeit nichts andres
als eine Verbrecherkolonie Englands, und die Nachkommen dieser Verbrecher
sind heute mindestens ebenso ehrlich, wie die Leute in andern Erdteilen. Wer
an deu Grundvesten des Staates rüttelt, darf keinen Anteil an den Wohl-


Die Judenfrage eine ethische Frage

mit den Wuchergesetzen der Neuzeit: für Deutschland vom 24. Mai 1880, für Öster¬
reichs zwei Kronländer vom 19. Juli 1877, und für ganz Österreich vom 28. Mai
1881. Es gilt nur, diese Richtung noch allgemeiner als bisher zu verfolgen, die
Strafen für Wucher wie die für Betrug, betrügerischen Bankrott, Veruntreuung^
Verkauf gefälschter Nahrungsmittel u. f. w. noch zu verschärfen und in der
Praxis nicht eine ungeziemende Milde walten zu lassen, die gerade bei diesen
Verbrechen häusig unter das Strafminimum herabgeht, sondern die Sicherheit
des Verkehrs, dessen Schutz doch sonst das Ziel aller bürgerlichen Gesetzgebung
ist, energisch zu verteidigen. Mit jeder Verurteilung müssen hohe Vermögens-
strafen und Ehrverlust verbunden werden.

Aber auch zur Deportation verurteilter Verbrecher müßte man endlich
greifen.

Der berühmte italienische Rechtslehrer Garofalo verlangt mit Recht
Reinigung der Gesellschaft von gemeinschädlichem Menschen, die „Selektion,"
und er geht mit Rücksicht auf die Erblichkeit so weit, zu verlangen, daß man
die Verbrecher der Fortpflanzungsfähigkeit beraube, damit ihre Nachkommen
ihre niedrigen Antriebe nicht erben und so ihre Zahl in der Gesellschaft nicht
wachse. Es füllt mir nicht ein, die Annahme dieses Grundsatzes zu empfehle»,
ich beschränke mich darauf, zu behaupten, daß es nur recht und billig sei, wenn
der Verbrecher, namentlich der, von dem die Wiederholung seines Verbrechens
zu befürchten ist — und dies ist z. B. bei Wucher, Betrug und betrügerischen
Bankrott immer der Fall —, seinem „Wirkungskreis" unbedingt entzogen
werde. Der verurteilte Dorfwucherer dürfte nicht mehr in dem Dorfe, der
verurteilte Börsenspekulant nicht mehr in der Stadt bleiben, wo er seine
Opfer gefunden hat. Das österreichische Wuchergesetz von 1881 hat bereits
einen Anlauf zu dieser Maßregel genommen, indem es mit der Verurteilung
die „Ortsabschaffuug" — wenn auch nur fakultativ — verbunden hat.
Aber der Wucherer darf überhaupt nicht mehr im Lande bleiben, weil sonst
zu befürchten steht, daß ihm die bloße Ortsausweisung mehr Nutzen als
Schaden bringen werde, indem er einfach ein andres Dorf oder eine andre
Stadt aufsucht und sein nichtswürdiges Treiben dort von vorn beginnt.
Jüdische wie christliche Wucherer, Betrüger, Schwindler aller Art sollten über
deu Ozean geschafft werden und zur Bevölkerung des schwarzen Erdteils bei¬
tragen. Das wird ihrem Vaterlande und auch denen unter ihnen, die dem
Klima zu trotzen vermögen, oder doch ihren Nachkommen gewiß zum Segen
gereichen. Sie werden den Wert der Arbeit und deren sittlichen Einfluß an
sich selbst erproben, und der Glaube an Gott, die Liebe für ihre Nation wird
in ihre öde Herzen wieder einziehn. Australien war lange Zeit nichts andres
als eine Verbrecherkolonie Englands, und die Nachkommen dieser Verbrecher
sind heute mindestens ebenso ehrlich, wie die Leute in andern Erdteilen. Wer
an deu Grundvesten des Staates rüttelt, darf keinen Anteil an den Wohl-


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[0508] Die Judenfrage eine ethische Frage mit den Wuchergesetzen der Neuzeit: für Deutschland vom 24. Mai 1880, für Öster¬ reichs zwei Kronländer vom 19. Juli 1877, und für ganz Österreich vom 28. Mai 1881. Es gilt nur, diese Richtung noch allgemeiner als bisher zu verfolgen, die Strafen für Wucher wie die für Betrug, betrügerischen Bankrott, Veruntreuung^ Verkauf gefälschter Nahrungsmittel u. f. w. noch zu verschärfen und in der Praxis nicht eine ungeziemende Milde walten zu lassen, die gerade bei diesen Verbrechen häusig unter das Strafminimum herabgeht, sondern die Sicherheit des Verkehrs, dessen Schutz doch sonst das Ziel aller bürgerlichen Gesetzgebung ist, energisch zu verteidigen. Mit jeder Verurteilung müssen hohe Vermögens- strafen und Ehrverlust verbunden werden. Aber auch zur Deportation verurteilter Verbrecher müßte man endlich greifen. Der berühmte italienische Rechtslehrer Garofalo verlangt mit Recht Reinigung der Gesellschaft von gemeinschädlichem Menschen, die „Selektion," und er geht mit Rücksicht auf die Erblichkeit so weit, zu verlangen, daß man die Verbrecher der Fortpflanzungsfähigkeit beraube, damit ihre Nachkommen ihre niedrigen Antriebe nicht erben und so ihre Zahl in der Gesellschaft nicht wachse. Es füllt mir nicht ein, die Annahme dieses Grundsatzes zu empfehle», ich beschränke mich darauf, zu behaupten, daß es nur recht und billig sei, wenn der Verbrecher, namentlich der, von dem die Wiederholung seines Verbrechens zu befürchten ist — und dies ist z. B. bei Wucher, Betrug und betrügerischen Bankrott immer der Fall —, seinem „Wirkungskreis" unbedingt entzogen werde. Der verurteilte Dorfwucherer dürfte nicht mehr in dem Dorfe, der verurteilte Börsenspekulant nicht mehr in der Stadt bleiben, wo er seine Opfer gefunden hat. Das österreichische Wuchergesetz von 1881 hat bereits einen Anlauf zu dieser Maßregel genommen, indem es mit der Verurteilung die „Ortsabschaffuug" — wenn auch nur fakultativ — verbunden hat. Aber der Wucherer darf überhaupt nicht mehr im Lande bleiben, weil sonst zu befürchten steht, daß ihm die bloße Ortsausweisung mehr Nutzen als Schaden bringen werde, indem er einfach ein andres Dorf oder eine andre Stadt aufsucht und sein nichtswürdiges Treiben dort von vorn beginnt. Jüdische wie christliche Wucherer, Betrüger, Schwindler aller Art sollten über deu Ozean geschafft werden und zur Bevölkerung des schwarzen Erdteils bei¬ tragen. Das wird ihrem Vaterlande und auch denen unter ihnen, die dem Klima zu trotzen vermögen, oder doch ihren Nachkommen gewiß zum Segen gereichen. Sie werden den Wert der Arbeit und deren sittlichen Einfluß an sich selbst erproben, und der Glaube an Gott, die Liebe für ihre Nation wird in ihre öde Herzen wieder einziehn. Australien war lange Zeit nichts andres als eine Verbrecherkolonie Englands, und die Nachkommen dieser Verbrecher sind heute mindestens ebenso ehrlich, wie die Leute in andern Erdteilen. Wer an deu Grundvesten des Staates rüttelt, darf keinen Anteil an den Wohl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/508>, abgerufen am 08.01.2025.