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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Zur Unfallversicherung der Arbeiter

wohl einmal Zufall sein, wenn in kleinern Betrieben vielleicht im Zeitraum
eines Jahres zwei oder drei Unfälle vorkommen, in einem größern Betriebe
von tausend oder mehr Arbeitern aber werden die Unfälle schon mit einer
gewissen Regelmäßigkeit erfolgen, vom Zufall wird man vielleicht noch in
dieser oder jener Abteilung, nicht aber im ganzen Betriebe sprechen können.

Schwieriger ist es natürlich, sich über die Sicherheit kleinerer Betriebe
nach kürzerer Beobnchtungszeit ein Urteil zu verschaffen. Doch wird man sich
auch hier in einer großen Zahl von Fällen helfen können, wenn man neben
den entschädigten Unfällen alle gemeldeten Unfälle ins Auge faßt, also auch
die, die in drei, vier Tagen, jedesfalls aber innerhalb der dreizehnwöchentlichen
Karenzzeit geheilt worden sind. Da es sich hier um eine weit größere Zahl von
Beobachtungen handelt, wird man bald auch für kleinere Fabriken mit Sicher¬
heit herausfinden, wo Zuschlage zu den gewöhnlichen Beiträgen am Platze sind.

Die Zuschlage sollen nicht nur die Berufsgenossenschaften zu einem Teil
sür die höhern Kosten entschädigen, die ihnen ans schlecht eingerichteten und
geleiteten Betrieben erwachsen, sie haben anch einen erzieherischen Zweck, und
dieser wird in den meisten Fällen erreicht werden. Das eigne Interesse wird die
Unternehmer nach solchen Zuschlagszahlungen schon dahin bringen, in der Über¬
wachung ihrer Betriebe die peinlichste Sorgfalt eintreten zu lassen und alles zu
vermeiden, was eine Erhöhung der Unsallgefahr herbeiführen könnte. Vielleicht
bedürfte es hie und da auch nur eines Anstoßes, um gewisse Mängel in den
Vetriebseinrichtungen zu beseitigen, die als solche schon vorher bekannt waren.

Auf einen Übelstand, dem sicher abzuhelfen ist, und der zahllose Unfälle
zur Folge hat, möchte ich noch besonders aufmerksam machen: ans das Putzen
und Neinigen der Maschinen während des Ganges. Man sehe nur einmal
die Unfallanzeigen durch, die tagtäglich bei eiuer Berufsgenossenschaft einlaufen,
und man wird sich überzeugen, wie viel hier gesündigt wird, wie viele und
schwere Unfälle diese nicht auszurottende Unsitte verursacht. Es ist immer die
alte Geschichte. Hier war Staub und Schmutz zwischen die Maschine ge¬
kommen, man versuchte ihn mit einem Lappen während des Ganges zu ent¬
fernen, der Lappen wurde vom Räderwerk erfaßt, die Hand mit hineingezogen.
Dort war ein Flocken Wolle in die Räder geraten, man wollte ihn mit den
Fingern wieder erfassen, hatte sie nicht schnell genug weggezogen, und die
Finger wurden gequetscht. Das Reinigen der Maschinen während des Ganges
ist nach der Fabrikordnung untersagt, hie und da wird auch eine Arbeiterin
bei einem gelindem Unfall mit einer Geldstrafe belegt. Aber es hilft nichts,
es wird weiter geputzt, und die Unfälle nehmen ihren Fortgang.

Es verleiten auch zu viele Umstände dazu, die Maschine nicht jeder Kleinigkeit
wegen auszurücken! Hier ist die Maschine schwer abzustellen, mau ist vielleicht
noch nicht recht darauf eingeübt und möchte sich auch nicht erst zu diesem Zweck
an eine Mitarbeiterin wenden. In jedem Falle erfordert das Abstellen und das


Zur Unfallversicherung der Arbeiter

wohl einmal Zufall sein, wenn in kleinern Betrieben vielleicht im Zeitraum
eines Jahres zwei oder drei Unfälle vorkommen, in einem größern Betriebe
von tausend oder mehr Arbeitern aber werden die Unfälle schon mit einer
gewissen Regelmäßigkeit erfolgen, vom Zufall wird man vielleicht noch in
dieser oder jener Abteilung, nicht aber im ganzen Betriebe sprechen können.

Schwieriger ist es natürlich, sich über die Sicherheit kleinerer Betriebe
nach kürzerer Beobnchtungszeit ein Urteil zu verschaffen. Doch wird man sich
auch hier in einer großen Zahl von Fällen helfen können, wenn man neben
den entschädigten Unfällen alle gemeldeten Unfälle ins Auge faßt, also auch
die, die in drei, vier Tagen, jedesfalls aber innerhalb der dreizehnwöchentlichen
Karenzzeit geheilt worden sind. Da es sich hier um eine weit größere Zahl von
Beobachtungen handelt, wird man bald auch für kleinere Fabriken mit Sicher¬
heit herausfinden, wo Zuschlage zu den gewöhnlichen Beiträgen am Platze sind.

Die Zuschlage sollen nicht nur die Berufsgenossenschaften zu einem Teil
sür die höhern Kosten entschädigen, die ihnen ans schlecht eingerichteten und
geleiteten Betrieben erwachsen, sie haben anch einen erzieherischen Zweck, und
dieser wird in den meisten Fällen erreicht werden. Das eigne Interesse wird die
Unternehmer nach solchen Zuschlagszahlungen schon dahin bringen, in der Über¬
wachung ihrer Betriebe die peinlichste Sorgfalt eintreten zu lassen und alles zu
vermeiden, was eine Erhöhung der Unsallgefahr herbeiführen könnte. Vielleicht
bedürfte es hie und da auch nur eines Anstoßes, um gewisse Mängel in den
Vetriebseinrichtungen zu beseitigen, die als solche schon vorher bekannt waren.

Auf einen Übelstand, dem sicher abzuhelfen ist, und der zahllose Unfälle
zur Folge hat, möchte ich noch besonders aufmerksam machen: ans das Putzen
und Neinigen der Maschinen während des Ganges. Man sehe nur einmal
die Unfallanzeigen durch, die tagtäglich bei eiuer Berufsgenossenschaft einlaufen,
und man wird sich überzeugen, wie viel hier gesündigt wird, wie viele und
schwere Unfälle diese nicht auszurottende Unsitte verursacht. Es ist immer die
alte Geschichte. Hier war Staub und Schmutz zwischen die Maschine ge¬
kommen, man versuchte ihn mit einem Lappen während des Ganges zu ent¬
fernen, der Lappen wurde vom Räderwerk erfaßt, die Hand mit hineingezogen.
Dort war ein Flocken Wolle in die Räder geraten, man wollte ihn mit den
Fingern wieder erfassen, hatte sie nicht schnell genug weggezogen, und die
Finger wurden gequetscht. Das Reinigen der Maschinen während des Ganges
ist nach der Fabrikordnung untersagt, hie und da wird auch eine Arbeiterin
bei einem gelindem Unfall mit einer Geldstrafe belegt. Aber es hilft nichts,
es wird weiter geputzt, und die Unfälle nehmen ihren Fortgang.

Es verleiten auch zu viele Umstände dazu, die Maschine nicht jeder Kleinigkeit
wegen auszurücken! Hier ist die Maschine schwer abzustellen, mau ist vielleicht
noch nicht recht darauf eingeübt und möchte sich auch nicht erst zu diesem Zweck
an eine Mitarbeiterin wenden. In jedem Falle erfordert das Abstellen und das


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[0502] Zur Unfallversicherung der Arbeiter wohl einmal Zufall sein, wenn in kleinern Betrieben vielleicht im Zeitraum eines Jahres zwei oder drei Unfälle vorkommen, in einem größern Betriebe von tausend oder mehr Arbeitern aber werden die Unfälle schon mit einer gewissen Regelmäßigkeit erfolgen, vom Zufall wird man vielleicht noch in dieser oder jener Abteilung, nicht aber im ganzen Betriebe sprechen können. Schwieriger ist es natürlich, sich über die Sicherheit kleinerer Betriebe nach kürzerer Beobnchtungszeit ein Urteil zu verschaffen. Doch wird man sich auch hier in einer großen Zahl von Fällen helfen können, wenn man neben den entschädigten Unfällen alle gemeldeten Unfälle ins Auge faßt, also auch die, die in drei, vier Tagen, jedesfalls aber innerhalb der dreizehnwöchentlichen Karenzzeit geheilt worden sind. Da es sich hier um eine weit größere Zahl von Beobachtungen handelt, wird man bald auch für kleinere Fabriken mit Sicher¬ heit herausfinden, wo Zuschlage zu den gewöhnlichen Beiträgen am Platze sind. Die Zuschlage sollen nicht nur die Berufsgenossenschaften zu einem Teil sür die höhern Kosten entschädigen, die ihnen ans schlecht eingerichteten und geleiteten Betrieben erwachsen, sie haben anch einen erzieherischen Zweck, und dieser wird in den meisten Fällen erreicht werden. Das eigne Interesse wird die Unternehmer nach solchen Zuschlagszahlungen schon dahin bringen, in der Über¬ wachung ihrer Betriebe die peinlichste Sorgfalt eintreten zu lassen und alles zu vermeiden, was eine Erhöhung der Unsallgefahr herbeiführen könnte. Vielleicht bedürfte es hie und da auch nur eines Anstoßes, um gewisse Mängel in den Vetriebseinrichtungen zu beseitigen, die als solche schon vorher bekannt waren. Auf einen Übelstand, dem sicher abzuhelfen ist, und der zahllose Unfälle zur Folge hat, möchte ich noch besonders aufmerksam machen: ans das Putzen und Neinigen der Maschinen während des Ganges. Man sehe nur einmal die Unfallanzeigen durch, die tagtäglich bei eiuer Berufsgenossenschaft einlaufen, und man wird sich überzeugen, wie viel hier gesündigt wird, wie viele und schwere Unfälle diese nicht auszurottende Unsitte verursacht. Es ist immer die alte Geschichte. Hier war Staub und Schmutz zwischen die Maschine ge¬ kommen, man versuchte ihn mit einem Lappen während des Ganges zu ent¬ fernen, der Lappen wurde vom Räderwerk erfaßt, die Hand mit hineingezogen. Dort war ein Flocken Wolle in die Räder geraten, man wollte ihn mit den Fingern wieder erfassen, hatte sie nicht schnell genug weggezogen, und die Finger wurden gequetscht. Das Reinigen der Maschinen während des Ganges ist nach der Fabrikordnung untersagt, hie und da wird auch eine Arbeiterin bei einem gelindem Unfall mit einer Geldstrafe belegt. Aber es hilft nichts, es wird weiter geputzt, und die Unfälle nehmen ihren Fortgang. Es verleiten auch zu viele Umstände dazu, die Maschine nicht jeder Kleinigkeit wegen auszurücken! Hier ist die Maschine schwer abzustellen, mau ist vielleicht noch nicht recht darauf eingeübt und möchte sich auch nicht erst zu diesem Zweck an eine Mitarbeiterin wenden. In jedem Falle erfordert das Abstellen und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/502>, abgerufen am 08.01.2025.