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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Zur Unfallversicherung der Arbeiter

Wiedereinrücken der Maschine Zeit, und Zeit bedeutet Geld. Bis die Maschine
wieder in Gang gesetzt ist, kann das Webeschiffchen schon so und so oft hin
und her geflogen, könne" schon so und so viele Stempelabdrücke gefertigt sein,
und man arbeitet ans Mord. Der Lohn richtet sich nach der Länge des ab¬
gelieferten Gewebes, nach der Anzahl der gestempelten Bogen, und der Unter¬
nehmer billigt wohl gar entgegen der Fabrikordnung dieses unvorschriftsmäßige
Neinigen der Maschinen. Die Mitarbeiter putzen stündig während des Ganges,
die Arbeiterin hat das täglich vor Augen, ohne daß ihres Wissens ein Unfall
geschehen ist. hundertmal ist es ihr selbst geglückt. Sie greift nach der Wolle,
die gerade jetzt wieder von unten herauf an ihr vorüberkommt, und das Un¬
glück ist geschehen, sie hat die Unvorsichtigkeit mit dem Verluste von zwei
Fingergliedern zu büßen, wenn sie nicht noch härter gestraft wird.

Hier gehe man von feiten der Genosfenschaftsvorstände entschieden vor.
Das Putzen der Maschinen während des Ganges hat zu viele Unfälle zur
Folge, als daß man nicht mit allen Mitteln dahin streben müßte, es auszu¬
rotten. Man lege eben auch den Unternehmern, nicht nur den Arbeitern, im
Wiederholungsfalle Strafen auf. Die stündige Gefahr stumpft freilich ab und
führt zur Sorglosigkeit. Man sorge aber für handliche und wenig zeitraubende
Vorrichtungen zum Ausrücken und Einrücken der Maschinen, dann werden sich
die Arbeiter schon daran gewöhnen, von ihnen Gebrauch zu machen, ebenso
wie sie dahin gebracht werden müssen, beim Auflegen der Transmissionen sich
geeigneter Anflegestangen zu bedienen. Würde bei allen Verrichtungen immer
mit der nötigen Vorsicht und Umsicht verfahren, so würde die Zahl der Un¬
fälle weit geringer sein, und die dafür zu zahlenden Entschädignngskosten würden
nicht mehr die unverhältnismäßig!.' Zunahme aufzuweisen haben wie in den
letzten Jahren.

Die Genosfenschaftsvorstände müssen der Unfallverhütung ihre ganze Auf¬
merksamkeit zuwenden und am richtigen Platze anch Strenge walten lassen.
Wenn sich sämtliche Berufsgenossenschaften dazu verstehen könnten, eingehende
Unfallverhiitnngsvorschriftcn zu erlassen und zur Beaufsichtigung der Betriebe
die erforderliche Zahl von Revisoren anzustellen, ihre Mühen und Kosten
würden reichlich belohnt werden. Der pekuniäre Erfolg wäre weit größer
als der bei den Rentenherabsetzungen. Der moralische Erfolg aber wäre noch
höher anzuschlagen.

Bisher ist das Hauptbestreben der Berufsgenossenschaften darauf gerichtet
gewesen, die Arbeiter," die in ihrem Berufe verunglückt waren, durch geeignete
ärztliche Behandlung nach Möglichkeit wieder gesund und erwerbsfähig zu
machen. Eine der Kultur und Gesittung aber noch würdigere Aufgabe wäre
es, dafür zu sorgen, daß es gar nicht erst zur Verletzung käme, die Einrich¬
tungen in den Fabriken so zu verbessern, daß Unglückssülle nicht, wie heute
leider noch, die Regel, sondern die Ausnahme bildeten.


Zur Unfallversicherung der Arbeiter

Wiedereinrücken der Maschine Zeit, und Zeit bedeutet Geld. Bis die Maschine
wieder in Gang gesetzt ist, kann das Webeschiffchen schon so und so oft hin
und her geflogen, könne» schon so und so viele Stempelabdrücke gefertigt sein,
und man arbeitet ans Mord. Der Lohn richtet sich nach der Länge des ab¬
gelieferten Gewebes, nach der Anzahl der gestempelten Bogen, und der Unter¬
nehmer billigt wohl gar entgegen der Fabrikordnung dieses unvorschriftsmäßige
Neinigen der Maschinen. Die Mitarbeiter putzen stündig während des Ganges,
die Arbeiterin hat das täglich vor Augen, ohne daß ihres Wissens ein Unfall
geschehen ist. hundertmal ist es ihr selbst geglückt. Sie greift nach der Wolle,
die gerade jetzt wieder von unten herauf an ihr vorüberkommt, und das Un¬
glück ist geschehen, sie hat die Unvorsichtigkeit mit dem Verluste von zwei
Fingergliedern zu büßen, wenn sie nicht noch härter gestraft wird.

Hier gehe man von feiten der Genosfenschaftsvorstände entschieden vor.
Das Putzen der Maschinen während des Ganges hat zu viele Unfälle zur
Folge, als daß man nicht mit allen Mitteln dahin streben müßte, es auszu¬
rotten. Man lege eben auch den Unternehmern, nicht nur den Arbeitern, im
Wiederholungsfalle Strafen auf. Die stündige Gefahr stumpft freilich ab und
führt zur Sorglosigkeit. Man sorge aber für handliche und wenig zeitraubende
Vorrichtungen zum Ausrücken und Einrücken der Maschinen, dann werden sich
die Arbeiter schon daran gewöhnen, von ihnen Gebrauch zu machen, ebenso
wie sie dahin gebracht werden müssen, beim Auflegen der Transmissionen sich
geeigneter Anflegestangen zu bedienen. Würde bei allen Verrichtungen immer
mit der nötigen Vorsicht und Umsicht verfahren, so würde die Zahl der Un¬
fälle weit geringer sein, und die dafür zu zahlenden Entschädignngskosten würden
nicht mehr die unverhältnismäßig!.' Zunahme aufzuweisen haben wie in den
letzten Jahren.

Die Genosfenschaftsvorstände müssen der Unfallverhütung ihre ganze Auf¬
merksamkeit zuwenden und am richtigen Platze anch Strenge walten lassen.
Wenn sich sämtliche Berufsgenossenschaften dazu verstehen könnten, eingehende
Unfallverhiitnngsvorschriftcn zu erlassen und zur Beaufsichtigung der Betriebe
die erforderliche Zahl von Revisoren anzustellen, ihre Mühen und Kosten
würden reichlich belohnt werden. Der pekuniäre Erfolg wäre weit größer
als der bei den Rentenherabsetzungen. Der moralische Erfolg aber wäre noch
höher anzuschlagen.

Bisher ist das Hauptbestreben der Berufsgenossenschaften darauf gerichtet
gewesen, die Arbeiter," die in ihrem Berufe verunglückt waren, durch geeignete
ärztliche Behandlung nach Möglichkeit wieder gesund und erwerbsfähig zu
machen. Eine der Kultur und Gesittung aber noch würdigere Aufgabe wäre
es, dafür zu sorgen, daß es gar nicht erst zur Verletzung käme, die Einrich¬
tungen in den Fabriken so zu verbessern, daß Unglückssülle nicht, wie heute
leider noch, die Regel, sondern die Ausnahme bildeten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/503>, abgerufen am 06.01.2025.