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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Zur Unfallversicherung der Arbeiter

das Vauhcmdwerk hervorgehoben worden, und die angespanntere Thätigkeit,
die 1890 in größerm Maße als sonst eine Einstellung ungeübter Arbeits¬
kräfte zur Folge gehabt haben soll, trifft nur sür einige Industriezweige, für
den Bergbau und die Maschinenindustrie zu, kann also für die Gesamtheit der
Unfälle auch nicht zur Erklärung herangezogen werden. In den übrigen Ge¬
werben, wie im Textilgewerbe, ist das Jahr 1890 ein sehr ungünstiges Geschäfts¬
jahr gewesen und hat im Gegenteil zu vielfachen Arbeitereutlassungen geführt.
Entlassen wird aber der schlechte Arbeiter, den geübten behält man. Der zuletzt
angeführte Grund aber, die gesteigerte Genußsucht unter den Arbeitern und als
Folge davon eine gewisse Schlaffheit bei der Arbeit, ist ganz hinfällig. Es
mag sein, daß die Zusammenhäufung von Industriearbeitern in einzelnen
Städten große Schattenseiten hat, daß die Verführung und Aufhetzung hier
groß und daß Unlust und Unaufmerksamkeit bei der Arbeit oft darauf zurück¬
zuführen sind. Aber man darf nicht nach den Ausnahmen urteilen. Wie
der heutige Arbeiter aufgeklärter und gebildeter ist als der Geselle zur Zeit
unsers Großvaters, so ist auch seine ganze Lebenshaltung eine bessere und
verständigere geworden. Er mag sich Vergnügungen hingeben, die jener ihrer
Kostspieligkeit wegen noch nicht gekannt hat, aber er wird im allgemeinen in
höherm Grade bestrebt sein als jener, solche Genüsse zu vermeiden, die einen
Nachteil für die Gesundheit mit sich führen könnten. Die allmähliche Ver¬
drängung des Branntweins durch das Bier liefert dafür den besten Beweis.

Näher liegend als alle die Gründe, die von den verschiednen Berufs¬
genossenschaften angeführt worden sind, erscheint mir doch die Untersuchung
der Frage, ob denn auch die Berufsgenossenschaften alles, was in ihren Kräften
steht, gethan haben, um den Unfällen vorzubeugen, ob sie von den Befugnissen,
die ihnen durch das Gesetz auf dem Gebiete der Unfallverhütung eingeräumt
sind, den ausgedehntesten Gebrauch gemacht haben. Und diese Frage möchte
ich verneinen.

Nach Z 78 des Uufallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 sind die
Genossenschaften befugt, für den Umfang des Genosfenschaftsbezirls oder für
bestimmte Industriezweige oder Betriebsarten oder bestimmt abzugrenzende Be¬
zirke Vorschriften zu erlassen: l. über die von den Mitgliedern zur Verhütung
von Unfällen in ihren Betrieben zu treffenden Einrichtungen und 2. über das
Ul den Betrieben von den Versicherten zur Verhütung von Unfällen zu be¬
obachtende Verhalten. Sie haben das Recht, die Nichtbeobachtung dieser Vor-
schriften bei den Unternehmern durch Einschätzung ihres Betriebes in eine
höhere Gefahrenklasse, ja durch Zuschlage bis zum doppelten Betrage ihres
Jahresbeitrags, bei den versicherten Arbeitern zum Besten der Krankenkassen
durch Geldstrafen bis zu sechs Mark zu ahnden. Die Überwachung der Be¬
triebe mit Bezug auf die Beobachtung dieser Vorschriften aber können sie nach
d 82 des Gesetzes durch Beauftragte vornehmen lassen, am besten Techniker


Grenzboten III 1892 62
Zur Unfallversicherung der Arbeiter

das Vauhcmdwerk hervorgehoben worden, und die angespanntere Thätigkeit,
die 1890 in größerm Maße als sonst eine Einstellung ungeübter Arbeits¬
kräfte zur Folge gehabt haben soll, trifft nur sür einige Industriezweige, für
den Bergbau und die Maschinenindustrie zu, kann also für die Gesamtheit der
Unfälle auch nicht zur Erklärung herangezogen werden. In den übrigen Ge¬
werben, wie im Textilgewerbe, ist das Jahr 1890 ein sehr ungünstiges Geschäfts¬
jahr gewesen und hat im Gegenteil zu vielfachen Arbeitereutlassungen geführt.
Entlassen wird aber der schlechte Arbeiter, den geübten behält man. Der zuletzt
angeführte Grund aber, die gesteigerte Genußsucht unter den Arbeitern und als
Folge davon eine gewisse Schlaffheit bei der Arbeit, ist ganz hinfällig. Es
mag sein, daß die Zusammenhäufung von Industriearbeitern in einzelnen
Städten große Schattenseiten hat, daß die Verführung und Aufhetzung hier
groß und daß Unlust und Unaufmerksamkeit bei der Arbeit oft darauf zurück¬
zuführen sind. Aber man darf nicht nach den Ausnahmen urteilen. Wie
der heutige Arbeiter aufgeklärter und gebildeter ist als der Geselle zur Zeit
unsers Großvaters, so ist auch seine ganze Lebenshaltung eine bessere und
verständigere geworden. Er mag sich Vergnügungen hingeben, die jener ihrer
Kostspieligkeit wegen noch nicht gekannt hat, aber er wird im allgemeinen in
höherm Grade bestrebt sein als jener, solche Genüsse zu vermeiden, die einen
Nachteil für die Gesundheit mit sich führen könnten. Die allmähliche Ver¬
drängung des Branntweins durch das Bier liefert dafür den besten Beweis.

Näher liegend als alle die Gründe, die von den verschiednen Berufs¬
genossenschaften angeführt worden sind, erscheint mir doch die Untersuchung
der Frage, ob denn auch die Berufsgenossenschaften alles, was in ihren Kräften
steht, gethan haben, um den Unfällen vorzubeugen, ob sie von den Befugnissen,
die ihnen durch das Gesetz auf dem Gebiete der Unfallverhütung eingeräumt
sind, den ausgedehntesten Gebrauch gemacht haben. Und diese Frage möchte
ich verneinen.

Nach Z 78 des Uufallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 sind die
Genossenschaften befugt, für den Umfang des Genosfenschaftsbezirls oder für
bestimmte Industriezweige oder Betriebsarten oder bestimmt abzugrenzende Be¬
zirke Vorschriften zu erlassen: l. über die von den Mitgliedern zur Verhütung
von Unfällen in ihren Betrieben zu treffenden Einrichtungen und 2. über das
Ul den Betrieben von den Versicherten zur Verhütung von Unfällen zu be¬
obachtende Verhalten. Sie haben das Recht, die Nichtbeobachtung dieser Vor-
schriften bei den Unternehmern durch Einschätzung ihres Betriebes in eine
höhere Gefahrenklasse, ja durch Zuschlage bis zum doppelten Betrage ihres
Jahresbeitrags, bei den versicherten Arbeitern zum Besten der Krankenkassen
durch Geldstrafen bis zu sechs Mark zu ahnden. Die Überwachung der Be¬
triebe mit Bezug auf die Beobachtung dieser Vorschriften aber können sie nach
d 82 des Gesetzes durch Beauftragte vornehmen lassen, am besten Techniker


Grenzboten III 1892 62
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[0497] Zur Unfallversicherung der Arbeiter das Vauhcmdwerk hervorgehoben worden, und die angespanntere Thätigkeit, die 1890 in größerm Maße als sonst eine Einstellung ungeübter Arbeits¬ kräfte zur Folge gehabt haben soll, trifft nur sür einige Industriezweige, für den Bergbau und die Maschinenindustrie zu, kann also für die Gesamtheit der Unfälle auch nicht zur Erklärung herangezogen werden. In den übrigen Ge¬ werben, wie im Textilgewerbe, ist das Jahr 1890 ein sehr ungünstiges Geschäfts¬ jahr gewesen und hat im Gegenteil zu vielfachen Arbeitereutlassungen geführt. Entlassen wird aber der schlechte Arbeiter, den geübten behält man. Der zuletzt angeführte Grund aber, die gesteigerte Genußsucht unter den Arbeitern und als Folge davon eine gewisse Schlaffheit bei der Arbeit, ist ganz hinfällig. Es mag sein, daß die Zusammenhäufung von Industriearbeitern in einzelnen Städten große Schattenseiten hat, daß die Verführung und Aufhetzung hier groß und daß Unlust und Unaufmerksamkeit bei der Arbeit oft darauf zurück¬ zuführen sind. Aber man darf nicht nach den Ausnahmen urteilen. Wie der heutige Arbeiter aufgeklärter und gebildeter ist als der Geselle zur Zeit unsers Großvaters, so ist auch seine ganze Lebenshaltung eine bessere und verständigere geworden. Er mag sich Vergnügungen hingeben, die jener ihrer Kostspieligkeit wegen noch nicht gekannt hat, aber er wird im allgemeinen in höherm Grade bestrebt sein als jener, solche Genüsse zu vermeiden, die einen Nachteil für die Gesundheit mit sich führen könnten. Die allmähliche Ver¬ drängung des Branntweins durch das Bier liefert dafür den besten Beweis. Näher liegend als alle die Gründe, die von den verschiednen Berufs¬ genossenschaften angeführt worden sind, erscheint mir doch die Untersuchung der Frage, ob denn auch die Berufsgenossenschaften alles, was in ihren Kräften steht, gethan haben, um den Unfällen vorzubeugen, ob sie von den Befugnissen, die ihnen durch das Gesetz auf dem Gebiete der Unfallverhütung eingeräumt sind, den ausgedehntesten Gebrauch gemacht haben. Und diese Frage möchte ich verneinen. Nach Z 78 des Uufallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 sind die Genossenschaften befugt, für den Umfang des Genosfenschaftsbezirls oder für bestimmte Industriezweige oder Betriebsarten oder bestimmt abzugrenzende Be¬ zirke Vorschriften zu erlassen: l. über die von den Mitgliedern zur Verhütung von Unfällen in ihren Betrieben zu treffenden Einrichtungen und 2. über das Ul den Betrieben von den Versicherten zur Verhütung von Unfällen zu be¬ obachtende Verhalten. Sie haben das Recht, die Nichtbeobachtung dieser Vor- schriften bei den Unternehmern durch Einschätzung ihres Betriebes in eine höhere Gefahrenklasse, ja durch Zuschlage bis zum doppelten Betrage ihres Jahresbeitrags, bei den versicherten Arbeitern zum Besten der Krankenkassen durch Geldstrafen bis zu sechs Mark zu ahnden. Die Überwachung der Be¬ triebe mit Bezug auf die Beobachtung dieser Vorschriften aber können sie nach d 82 des Gesetzes durch Beauftragte vornehmen lassen, am besten Techniker Grenzboten III 1892 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/497>, abgerufen am 08.01.2025.