Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Unfallversicherung der Arbeiter

lasteten lieber jahrelang ihr Armenbudget, als daU sie einmal eine größere
Ausgabe für eine zweckentsprechende ärztliche Behandlung bewilligt hätten.

Anders heute. Die Verufsgenossenschaften, die jetzt die Entschädigungen
zu zahlen haben, haben ein Interesse daran, daß die Folgen der Unfälle nach
Möglichkeit gehoben oder beseitigt werden. Die Höhe der Entschädigungen
richtet sich nach dem Grade der verblichnen Erwerbsfähigkeit, und wenn diese
im Laufe der Zeit gesteigert wird, kann nach dem Gesetz auch die jährliche
Rente herabgesetzt werden. Ein verloren gegcmgnes Bein läßt sich freilich
nicht wieder erneuern, und der Arbeiter, den dieser Verlust betroffen hat, wird
Zeit seines Lebens die ihm zu Anfang bewilligte Male zu beanspruchen haben.
Aber andre geringfügigere Folgen von Unfällen, Schwäche im Arm, Steifheit
der Hemd oder einzelner Fingergelenke können durch Massage, durch Elektrizität,
durch passive und aktive Bewegungen gemildert und vielfach beseitigt werden,
eine Gelenkentzündung, wie sie sich oft nach äußern Verletzungen einstellt, kann,
wenn sie vom Arzte richtig erkannt wird, auch in schwierigen Fällen in Kürze
geheilt werden. Gute und kräftige Kost ist natürlich die Voraussetzung für
den Erfolg jeder Heilung.

So sind den Verufsgenossenschaften die Wege vorgezeichnet, auf denen
sie zum Teil auf eine Verminderung der Unfalllasten hinwirken können: ein¬
gehende ärztliche Behandlung der Verletzten, gute Pflege und Kost, und wo
diese bei den Angehörigen nicht zu haben ist, Unterbringung im Krankenhause,
für die Genesenden Schonung und bis zur Wiederaufnahme der Arbeit Ge¬
währung des notwendigen Lebensunterhalts. Die Berufsgenossenschaften haben
auch einsehen lernen, daß Freigebigkeit am richtigen Platze die größte Spar¬
samkeit für sie bedeutet, und leisten, was die Krankenbehandlung anlangt, ihr
möglichstes. Nicht nur daß man den Verletzten den Arzt zur Seite stellt, so
lange es irgend not thut, und daß man sie auf Wochen und Monate im
Krankenhause verpflegen läßt, daß mau für die Zwecke der Berufsgenossen-
schaften eigne Kranken- und Nekonvaieszenteuhäuser errichtet, es werden auch
kostspielige Kuren in Heilanstalten, Konsultationen bei medizinischen Autori¬
täten oft in entlegnen Universitätsstädten, selbst Badereisen nicht gescheut, wenn
nur irgendwelche Aussicht vorhanden ist, daß dadurch die Erwerbsfühigkeit bei
den Patienten wieder gehoben werden kann. Freuen wir uns dessen. Mag
es auch in erster Linie die Rücksicht auf spätere Ersparnisse sein, was die
Leiter der Berufsgenossenschaften zu ihrer Handlungsweise veranlaßt, immer
wird durch das Bestreben, die verletzten Arbeiter wieder zu arbeitsfähigen und
brauchbaren Mitglieder" der menschlichen Gesellschaft zu machen, den betroffnen
und der Allgemeinheit ein größerer Dienst geleistet, als wenn man durch sie
ohne Rücksicht auf die Möglichkeit einer Beseitigung oder Hebung ihrer Ge¬
brechen die Zahl der Staatspensionäre über Gebühr vermehren würde.

Freilich wird den Berufsgenossenschaften -- und das ist bei Gelegenheit


Zur Unfallversicherung der Arbeiter

lasteten lieber jahrelang ihr Armenbudget, als daU sie einmal eine größere
Ausgabe für eine zweckentsprechende ärztliche Behandlung bewilligt hätten.

Anders heute. Die Verufsgenossenschaften, die jetzt die Entschädigungen
zu zahlen haben, haben ein Interesse daran, daß die Folgen der Unfälle nach
Möglichkeit gehoben oder beseitigt werden. Die Höhe der Entschädigungen
richtet sich nach dem Grade der verblichnen Erwerbsfähigkeit, und wenn diese
im Laufe der Zeit gesteigert wird, kann nach dem Gesetz auch die jährliche
Rente herabgesetzt werden. Ein verloren gegcmgnes Bein läßt sich freilich
nicht wieder erneuern, und der Arbeiter, den dieser Verlust betroffen hat, wird
Zeit seines Lebens die ihm zu Anfang bewilligte Male zu beanspruchen haben.
Aber andre geringfügigere Folgen von Unfällen, Schwäche im Arm, Steifheit
der Hemd oder einzelner Fingergelenke können durch Massage, durch Elektrizität,
durch passive und aktive Bewegungen gemildert und vielfach beseitigt werden,
eine Gelenkentzündung, wie sie sich oft nach äußern Verletzungen einstellt, kann,
wenn sie vom Arzte richtig erkannt wird, auch in schwierigen Fällen in Kürze
geheilt werden. Gute und kräftige Kost ist natürlich die Voraussetzung für
den Erfolg jeder Heilung.

So sind den Verufsgenossenschaften die Wege vorgezeichnet, auf denen
sie zum Teil auf eine Verminderung der Unfalllasten hinwirken können: ein¬
gehende ärztliche Behandlung der Verletzten, gute Pflege und Kost, und wo
diese bei den Angehörigen nicht zu haben ist, Unterbringung im Krankenhause,
für die Genesenden Schonung und bis zur Wiederaufnahme der Arbeit Ge¬
währung des notwendigen Lebensunterhalts. Die Berufsgenossenschaften haben
auch einsehen lernen, daß Freigebigkeit am richtigen Platze die größte Spar¬
samkeit für sie bedeutet, und leisten, was die Krankenbehandlung anlangt, ihr
möglichstes. Nicht nur daß man den Verletzten den Arzt zur Seite stellt, so
lange es irgend not thut, und daß man sie auf Wochen und Monate im
Krankenhause verpflegen läßt, daß mau für die Zwecke der Berufsgenossen-
schaften eigne Kranken- und Nekonvaieszenteuhäuser errichtet, es werden auch
kostspielige Kuren in Heilanstalten, Konsultationen bei medizinischen Autori¬
täten oft in entlegnen Universitätsstädten, selbst Badereisen nicht gescheut, wenn
nur irgendwelche Aussicht vorhanden ist, daß dadurch die Erwerbsfühigkeit bei
den Patienten wieder gehoben werden kann. Freuen wir uns dessen. Mag
es auch in erster Linie die Rücksicht auf spätere Ersparnisse sein, was die
Leiter der Berufsgenossenschaften zu ihrer Handlungsweise veranlaßt, immer
wird durch das Bestreben, die verletzten Arbeiter wieder zu arbeitsfähigen und
brauchbaren Mitglieder» der menschlichen Gesellschaft zu machen, den betroffnen
und der Allgemeinheit ein größerer Dienst geleistet, als wenn man durch sie
ohne Rücksicht auf die Möglichkeit einer Beseitigung oder Hebung ihrer Ge¬
brechen die Zahl der Staatspensionäre über Gebühr vermehren würde.

Freilich wird den Berufsgenossenschaften — und das ist bei Gelegenheit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0491" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212967"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Unfallversicherung der Arbeiter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1644" prev="#ID_1643"> lasteten lieber jahrelang ihr Armenbudget, als daU sie einmal eine größere<lb/>
Ausgabe für eine zweckentsprechende ärztliche Behandlung bewilligt hätten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1645"> Anders heute. Die Verufsgenossenschaften, die jetzt die Entschädigungen<lb/>
zu zahlen haben, haben ein Interesse daran, daß die Folgen der Unfälle nach<lb/>
Möglichkeit gehoben oder beseitigt werden. Die Höhe der Entschädigungen<lb/>
richtet sich nach dem Grade der verblichnen Erwerbsfähigkeit, und wenn diese<lb/>
im Laufe der Zeit gesteigert wird, kann nach dem Gesetz auch die jährliche<lb/>
Rente herabgesetzt werden. Ein verloren gegcmgnes Bein läßt sich freilich<lb/>
nicht wieder erneuern, und der Arbeiter, den dieser Verlust betroffen hat, wird<lb/>
Zeit seines Lebens die ihm zu Anfang bewilligte Male zu beanspruchen haben.<lb/>
Aber andre geringfügigere Folgen von Unfällen, Schwäche im Arm, Steifheit<lb/>
der Hemd oder einzelner Fingergelenke können durch Massage, durch Elektrizität,<lb/>
durch passive und aktive Bewegungen gemildert und vielfach beseitigt werden,<lb/>
eine Gelenkentzündung, wie sie sich oft nach äußern Verletzungen einstellt, kann,<lb/>
wenn sie vom Arzte richtig erkannt wird, auch in schwierigen Fällen in Kürze<lb/>
geheilt werden. Gute und kräftige Kost ist natürlich die Voraussetzung für<lb/>
den Erfolg jeder Heilung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1646"> So sind den Verufsgenossenschaften die Wege vorgezeichnet, auf denen<lb/>
sie zum Teil auf eine Verminderung der Unfalllasten hinwirken können: ein¬<lb/>
gehende ärztliche Behandlung der Verletzten, gute Pflege und Kost, und wo<lb/>
diese bei den Angehörigen nicht zu haben ist, Unterbringung im Krankenhause,<lb/>
für die Genesenden Schonung und bis zur Wiederaufnahme der Arbeit Ge¬<lb/>
währung des notwendigen Lebensunterhalts. Die Berufsgenossenschaften haben<lb/>
auch einsehen lernen, daß Freigebigkeit am richtigen Platze die größte Spar¬<lb/>
samkeit für sie bedeutet, und leisten, was die Krankenbehandlung anlangt, ihr<lb/>
möglichstes. Nicht nur daß man den Verletzten den Arzt zur Seite stellt, so<lb/>
lange es irgend not thut, und daß man sie auf Wochen und Monate im<lb/>
Krankenhause verpflegen läßt, daß mau für die Zwecke der Berufsgenossen-<lb/>
schaften eigne Kranken- und Nekonvaieszenteuhäuser errichtet, es werden auch<lb/>
kostspielige Kuren in Heilanstalten, Konsultationen bei medizinischen Autori¬<lb/>
täten oft in entlegnen Universitätsstädten, selbst Badereisen nicht gescheut, wenn<lb/>
nur irgendwelche Aussicht vorhanden ist, daß dadurch die Erwerbsfühigkeit bei<lb/>
den Patienten wieder gehoben werden kann. Freuen wir uns dessen. Mag<lb/>
es auch in erster Linie die Rücksicht auf spätere Ersparnisse sein, was die<lb/>
Leiter der Berufsgenossenschaften zu ihrer Handlungsweise veranlaßt, immer<lb/>
wird durch das Bestreben, die verletzten Arbeiter wieder zu arbeitsfähigen und<lb/>
brauchbaren Mitglieder» der menschlichen Gesellschaft zu machen, den betroffnen<lb/>
und der Allgemeinheit ein größerer Dienst geleistet, als wenn man durch sie<lb/>
ohne Rücksicht auf die Möglichkeit einer Beseitigung oder Hebung ihrer Ge¬<lb/>
brechen die Zahl der Staatspensionäre über Gebühr vermehren würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1647" next="#ID_1648"> Freilich wird den Berufsgenossenschaften &#x2014; und das ist bei Gelegenheit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0491] Zur Unfallversicherung der Arbeiter lasteten lieber jahrelang ihr Armenbudget, als daU sie einmal eine größere Ausgabe für eine zweckentsprechende ärztliche Behandlung bewilligt hätten. Anders heute. Die Verufsgenossenschaften, die jetzt die Entschädigungen zu zahlen haben, haben ein Interesse daran, daß die Folgen der Unfälle nach Möglichkeit gehoben oder beseitigt werden. Die Höhe der Entschädigungen richtet sich nach dem Grade der verblichnen Erwerbsfähigkeit, und wenn diese im Laufe der Zeit gesteigert wird, kann nach dem Gesetz auch die jährliche Rente herabgesetzt werden. Ein verloren gegcmgnes Bein läßt sich freilich nicht wieder erneuern, und der Arbeiter, den dieser Verlust betroffen hat, wird Zeit seines Lebens die ihm zu Anfang bewilligte Male zu beanspruchen haben. Aber andre geringfügigere Folgen von Unfällen, Schwäche im Arm, Steifheit der Hemd oder einzelner Fingergelenke können durch Massage, durch Elektrizität, durch passive und aktive Bewegungen gemildert und vielfach beseitigt werden, eine Gelenkentzündung, wie sie sich oft nach äußern Verletzungen einstellt, kann, wenn sie vom Arzte richtig erkannt wird, auch in schwierigen Fällen in Kürze geheilt werden. Gute und kräftige Kost ist natürlich die Voraussetzung für den Erfolg jeder Heilung. So sind den Verufsgenossenschaften die Wege vorgezeichnet, auf denen sie zum Teil auf eine Verminderung der Unfalllasten hinwirken können: ein¬ gehende ärztliche Behandlung der Verletzten, gute Pflege und Kost, und wo diese bei den Angehörigen nicht zu haben ist, Unterbringung im Krankenhause, für die Genesenden Schonung und bis zur Wiederaufnahme der Arbeit Ge¬ währung des notwendigen Lebensunterhalts. Die Berufsgenossenschaften haben auch einsehen lernen, daß Freigebigkeit am richtigen Platze die größte Spar¬ samkeit für sie bedeutet, und leisten, was die Krankenbehandlung anlangt, ihr möglichstes. Nicht nur daß man den Verletzten den Arzt zur Seite stellt, so lange es irgend not thut, und daß man sie auf Wochen und Monate im Krankenhause verpflegen läßt, daß mau für die Zwecke der Berufsgenossen- schaften eigne Kranken- und Nekonvaieszenteuhäuser errichtet, es werden auch kostspielige Kuren in Heilanstalten, Konsultationen bei medizinischen Autori¬ täten oft in entlegnen Universitätsstädten, selbst Badereisen nicht gescheut, wenn nur irgendwelche Aussicht vorhanden ist, daß dadurch die Erwerbsfühigkeit bei den Patienten wieder gehoben werden kann. Freuen wir uns dessen. Mag es auch in erster Linie die Rücksicht auf spätere Ersparnisse sein, was die Leiter der Berufsgenossenschaften zu ihrer Handlungsweise veranlaßt, immer wird durch das Bestreben, die verletzten Arbeiter wieder zu arbeitsfähigen und brauchbaren Mitglieder» der menschlichen Gesellschaft zu machen, den betroffnen und der Allgemeinheit ein größerer Dienst geleistet, als wenn man durch sie ohne Rücksicht auf die Möglichkeit einer Beseitigung oder Hebung ihrer Ge¬ brechen die Zahl der Staatspensionäre über Gebühr vermehren würde. Freilich wird den Berufsgenossenschaften — und das ist bei Gelegenheit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/491
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/491>, abgerufen am 08.01.2025.