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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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drittes zu ergreifen. Denn dieses dritte, den Naturalismus, gab es damals
in der deutschen Kunst noch nicht. Besonders in der Plastik waren dazu erst
wenige Ansätze, z. B. bei Schadow und Rauch, vorhanden, Ansätze freilich,
die noch ganz von dem Schleier der traditionellen Formensprache verdeckt
waren. Es ist müßig, zu fragen, was aus Bärbel geworden wäre, wenn er
fünfzig Jahre später gelebt hätte, oder wenn er damals in die richtige na¬
turalistische Schule, z. B. zu Rüde oder David d'Angers, gekommen wäre,
denn das letztere war aus andern Gründen ganz unmöglich. Sicher ist nur
so viel, daß sein ganzes Naturell ihn zum Realismus hindrängte. So ver¬
mißte er an Overbecks Zeichnungen die "kräftige Naturwahrheit," an Thor-
waldsen "das Handwerkliche und die nordische Luft." So schwärmte er für
den alten Schadow, in dem er ein verwandtes Streben spürte, und tadelte
Thorwaldsen, daß er seinen Pvniatowsky in der Tracht eines römischen Feld¬
herrn darstellte, während er selbst die realistische Tracht bei Porträtstatuen
für das einzig richtige hielt. Auf eine gewisse realistische Begabung deutet
auch sein frischer, kerniger Natursinn, sein nüchternes Urteil über die Unnatür-
lichkeit der damaligen Kunst, vor allen Dingen aber fein früh erWachter Trieb,
Bildnisse zu zeichnen und aus Wachs zu modelliren. In dieser Beziehung
ist es wichtig, daß Porträtstatuen und Büsten in der Reihe seiner Werke einen
großen Platz einnehmen, und daß seine künstlerische Stärke ohne Zweifel im
Bildnis lag. König Ludwig hatte nicht so Unrecht, wenn er ihn für seinen
Büstenbildhauer und besten Steinbildhauer erklärte. Er war also in gewisser
Weise ein Realist, freilich, wenn ich so sagen darf, ein latenter. Denn diese
realistische Gabe ist bei ihm nicht zur Ausbildung gekommen. Ein Wider¬
spruch zeigt sich schon darin, daß er nur sehr wenige genrehafte Figuren oder
Gruppen gebildet hat, ja daß ihm das Sittenbild überhaupt wie eine un¬
würdige Spielerei erschien gegenüber den großen monumentalen Ausgaben
der Kunst.

Daß in Bärbel eigentlich ein verkappter Naturalist steckte, zeigt auch seine
wenigstens für die damalige Zeit auffallende Borliebe für das Technische der
Kunst. Bei seinem Lehrer Halter hatte er rasches Arbeiten und volle Be¬
herrschung der Marmortechnik gelernt. Wie Michelangelo, pflegte er zuweilen
Köpfe und Reliefe ohne Modell und Puuktsetzung gleich aus dem Marmor
herauszuhauen. Aus einer im Unmut zerstörten Sickingenbüste stellte er in
Rom ohne Modell innerhalb weniger Tage eine Marmorbüste seines Freundes
Ebeling her. Ein von einem italienischen Gehilfen verhauenes schlafendes
Christkind brachte er über Nacht durch eine kleine Veründrung wieder ins Ge¬
schick. Später beim Arminiusdenkmal ließ er es sich nicht nehmen, die tech¬
nischen Konstruktionen, Stützen, Gerüste u. s. w. selber auszudenken. Aber
auch in dieser Beziehung wollte er möglichst wenig von andern lernen, mög¬
lichst alles sich selber verdanken. Es klingt doch etwas naiv, wenn er bei den


Grenzboten 11t 1892 ti
Lrnst von Bärbel

drittes zu ergreifen. Denn dieses dritte, den Naturalismus, gab es damals
in der deutschen Kunst noch nicht. Besonders in der Plastik waren dazu erst
wenige Ansätze, z. B. bei Schadow und Rauch, vorhanden, Ansätze freilich,
die noch ganz von dem Schleier der traditionellen Formensprache verdeckt
waren. Es ist müßig, zu fragen, was aus Bärbel geworden wäre, wenn er
fünfzig Jahre später gelebt hätte, oder wenn er damals in die richtige na¬
turalistische Schule, z. B. zu Rüde oder David d'Angers, gekommen wäre,
denn das letztere war aus andern Gründen ganz unmöglich. Sicher ist nur
so viel, daß sein ganzes Naturell ihn zum Realismus hindrängte. So ver¬
mißte er an Overbecks Zeichnungen die „kräftige Naturwahrheit," an Thor-
waldsen „das Handwerkliche und die nordische Luft." So schwärmte er für
den alten Schadow, in dem er ein verwandtes Streben spürte, und tadelte
Thorwaldsen, daß er seinen Pvniatowsky in der Tracht eines römischen Feld¬
herrn darstellte, während er selbst die realistische Tracht bei Porträtstatuen
für das einzig richtige hielt. Auf eine gewisse realistische Begabung deutet
auch sein frischer, kerniger Natursinn, sein nüchternes Urteil über die Unnatür-
lichkeit der damaligen Kunst, vor allen Dingen aber fein früh erWachter Trieb,
Bildnisse zu zeichnen und aus Wachs zu modelliren. In dieser Beziehung
ist es wichtig, daß Porträtstatuen und Büsten in der Reihe seiner Werke einen
großen Platz einnehmen, und daß seine künstlerische Stärke ohne Zweifel im
Bildnis lag. König Ludwig hatte nicht so Unrecht, wenn er ihn für seinen
Büstenbildhauer und besten Steinbildhauer erklärte. Er war also in gewisser
Weise ein Realist, freilich, wenn ich so sagen darf, ein latenter. Denn diese
realistische Gabe ist bei ihm nicht zur Ausbildung gekommen. Ein Wider¬
spruch zeigt sich schon darin, daß er nur sehr wenige genrehafte Figuren oder
Gruppen gebildet hat, ja daß ihm das Sittenbild überhaupt wie eine un¬
würdige Spielerei erschien gegenüber den großen monumentalen Ausgaben
der Kunst.

Daß in Bärbel eigentlich ein verkappter Naturalist steckte, zeigt auch seine
wenigstens für die damalige Zeit auffallende Borliebe für das Technische der
Kunst. Bei seinem Lehrer Halter hatte er rasches Arbeiten und volle Be¬
herrschung der Marmortechnik gelernt. Wie Michelangelo, pflegte er zuweilen
Köpfe und Reliefe ohne Modell und Puuktsetzung gleich aus dem Marmor
herauszuhauen. Aus einer im Unmut zerstörten Sickingenbüste stellte er in
Rom ohne Modell innerhalb weniger Tage eine Marmorbüste seines Freundes
Ebeling her. Ein von einem italienischen Gehilfen verhauenes schlafendes
Christkind brachte er über Nacht durch eine kleine Veründrung wieder ins Ge¬
schick. Später beim Arminiusdenkmal ließ er es sich nicht nehmen, die tech¬
nischen Konstruktionen, Stützen, Gerüste u. s. w. selber auszudenken. Aber
auch in dieser Beziehung wollte er möglichst wenig von andern lernen, mög¬
lichst alles sich selber verdanken. Es klingt doch etwas naiv, wenn er bei den


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[0049] Lrnst von Bärbel drittes zu ergreifen. Denn dieses dritte, den Naturalismus, gab es damals in der deutschen Kunst noch nicht. Besonders in der Plastik waren dazu erst wenige Ansätze, z. B. bei Schadow und Rauch, vorhanden, Ansätze freilich, die noch ganz von dem Schleier der traditionellen Formensprache verdeckt waren. Es ist müßig, zu fragen, was aus Bärbel geworden wäre, wenn er fünfzig Jahre später gelebt hätte, oder wenn er damals in die richtige na¬ turalistische Schule, z. B. zu Rüde oder David d'Angers, gekommen wäre, denn das letztere war aus andern Gründen ganz unmöglich. Sicher ist nur so viel, daß sein ganzes Naturell ihn zum Realismus hindrängte. So ver¬ mißte er an Overbecks Zeichnungen die „kräftige Naturwahrheit," an Thor- waldsen „das Handwerkliche und die nordische Luft." So schwärmte er für den alten Schadow, in dem er ein verwandtes Streben spürte, und tadelte Thorwaldsen, daß er seinen Pvniatowsky in der Tracht eines römischen Feld¬ herrn darstellte, während er selbst die realistische Tracht bei Porträtstatuen für das einzig richtige hielt. Auf eine gewisse realistische Begabung deutet auch sein frischer, kerniger Natursinn, sein nüchternes Urteil über die Unnatür- lichkeit der damaligen Kunst, vor allen Dingen aber fein früh erWachter Trieb, Bildnisse zu zeichnen und aus Wachs zu modelliren. In dieser Beziehung ist es wichtig, daß Porträtstatuen und Büsten in der Reihe seiner Werke einen großen Platz einnehmen, und daß seine künstlerische Stärke ohne Zweifel im Bildnis lag. König Ludwig hatte nicht so Unrecht, wenn er ihn für seinen Büstenbildhauer und besten Steinbildhauer erklärte. Er war also in gewisser Weise ein Realist, freilich, wenn ich so sagen darf, ein latenter. Denn diese realistische Gabe ist bei ihm nicht zur Ausbildung gekommen. Ein Wider¬ spruch zeigt sich schon darin, daß er nur sehr wenige genrehafte Figuren oder Gruppen gebildet hat, ja daß ihm das Sittenbild überhaupt wie eine un¬ würdige Spielerei erschien gegenüber den großen monumentalen Ausgaben der Kunst. Daß in Bärbel eigentlich ein verkappter Naturalist steckte, zeigt auch seine wenigstens für die damalige Zeit auffallende Borliebe für das Technische der Kunst. Bei seinem Lehrer Halter hatte er rasches Arbeiten und volle Be¬ herrschung der Marmortechnik gelernt. Wie Michelangelo, pflegte er zuweilen Köpfe und Reliefe ohne Modell und Puuktsetzung gleich aus dem Marmor herauszuhauen. Aus einer im Unmut zerstörten Sickingenbüste stellte er in Rom ohne Modell innerhalb weniger Tage eine Marmorbüste seines Freundes Ebeling her. Ein von einem italienischen Gehilfen verhauenes schlafendes Christkind brachte er über Nacht durch eine kleine Veründrung wieder ins Ge¬ schick. Später beim Arminiusdenkmal ließ er es sich nicht nehmen, die tech¬ nischen Konstruktionen, Stützen, Gerüste u. s. w. selber auszudenken. Aber auch in dieser Beziehung wollte er möglichst wenig von andern lernen, mög¬ lichst alles sich selber verdanken. Es klingt doch etwas naiv, wenn er bei den Grenzboten 11t 1892 ti

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/49>, abgerufen am 06.01.2025.