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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Ernst vo" Bcindel

Anior und Psyche, Herakles und Omphale, Theseus und Ariadne, Orpheus,
Arion, den Faun, die Musen, die Grazien, die Amazonen, Homer und Anakreon.
Da haben wir Caritas, die Tages- und Jahreszeiten, die Genien der Wissen¬
schaft und des Friedens, die Fakultäten, Gerechtigkeit und Einigkeit n. s. w.,
kurz, die stehenden Repertoirestücke der damaligen autikisirend-idealistischen Kunst.
So wenig stimmte Theorie und Praxis bei ihm überein.

Man sollte denken, daß ein Künstler von so ausgeprägter nationaler
Eigenart wie Bärbel damals mir hätte Romantiker werden können. In der
That hatte er eine gewisse Vorliebe für die gothische Baukunst. Mit Ohl-
müller und Heideloff war er wohl bekannt, und die Werke über deutsche Bau¬
kunst, die in seiner Jngend erschienen waren, hatte er mit Begeisterung gelesen.
Malerinnen der romantischen Richtung wie Marie Elleuriedcr und Luise Wolf
waren ihm von Jugend ans befreundet. Auch behandelte er nußer dem Ar-
miuius in seinen plastischen Werken noch andre romantische Stoffe: Thusnelda,
ein Mädchen mit der Orakelblume, Szenen ans dem Leben der alten Deutschen.
Schon als junger Mann hatte er bei der Restauration des schonen Brunnens
in Nürnberg mitgeholfen und sechs von den sechzehn Statuen an den Pfeilern
neu angefertigt. Vorübergehend dachte er daran, den staufischen Kaisern in
Lorch ein Denkmal zu setzen. Auch Figuren des Alten und Neuen Testaments
und Reliefe biblische" Inhalts hat er gemacht: David, Ruth, Maria mit dem
Christkind, den segnenden Jesus, das schlafende Jesuskind, Szenen aus der
Geschichte Christi. Aber seiue Auffassung und Formensprache ist nicht die
eines Romantikers. Es fehlt ihm ganz im allgemeinen der romantische Sinn.
Wohl hat er deutsche Geschichte mit Interesse getrieben, und von Dichtern, die
er liebte, werde" Th. Körner, W. Scott, Chateaubriand und Lamartine ge¬
nannt. Aber das intensive poetisch-historische Interesse der Romantiker war
ihm fremd, und für den historisch-romantischen Reiz z. B. einer Stadt wie
Venedig hatte er nicht den mindesten Sinn. Vor allen Dinge" fand der
ausgesprochen religiöse Zug der damaligen Romantik keine Gnade vor seinen
Angen. Schon in Rom schloß er sich weder an die Nazarener, die ans den
Klosterbrüdern von S. Jsidoro hervorgegangen waren, noch an die protestan¬
tischen Kapitoliner, die sich um Schmorr von Carolsfeld scharten, näher an.
Die Weltkinder wie der alte Koch, Reinhart, Riedel, Jacobs, Flohr u. s. w.
bildeten seinen Verkehr. Obwohl von Natur fromm, haßte er doch jedes zur
Schau getrague Christe"tum, sowohl a"f katholischer wie auf protestantischer
Seite, und die ungesunde" katholisirende" Neigungen der Overbeck und Ge¬
nossen waren ihm vollends ein Greuel. Auch von der romantischen Begeisterung
für die mittelalterliche italienische Kunst oder die Meister der Renaissance findet
man bei ihm. keine Spur.

So stand er zwischen Klassizismus und Romantik mitten inne, weder der
einen noch der andern Richtung angehörig, und doch auch nicht fähig, ein.


Ernst vo» Bcindel

Anior und Psyche, Herakles und Omphale, Theseus und Ariadne, Orpheus,
Arion, den Faun, die Musen, die Grazien, die Amazonen, Homer und Anakreon.
Da haben wir Caritas, die Tages- und Jahreszeiten, die Genien der Wissen¬
schaft und des Friedens, die Fakultäten, Gerechtigkeit und Einigkeit n. s. w.,
kurz, die stehenden Repertoirestücke der damaligen autikisirend-idealistischen Kunst.
So wenig stimmte Theorie und Praxis bei ihm überein.

Man sollte denken, daß ein Künstler von so ausgeprägter nationaler
Eigenart wie Bärbel damals mir hätte Romantiker werden können. In der
That hatte er eine gewisse Vorliebe für die gothische Baukunst. Mit Ohl-
müller und Heideloff war er wohl bekannt, und die Werke über deutsche Bau¬
kunst, die in seiner Jngend erschienen waren, hatte er mit Begeisterung gelesen.
Malerinnen der romantischen Richtung wie Marie Elleuriedcr und Luise Wolf
waren ihm von Jugend ans befreundet. Auch behandelte er nußer dem Ar-
miuius in seinen plastischen Werken noch andre romantische Stoffe: Thusnelda,
ein Mädchen mit der Orakelblume, Szenen ans dem Leben der alten Deutschen.
Schon als junger Mann hatte er bei der Restauration des schonen Brunnens
in Nürnberg mitgeholfen und sechs von den sechzehn Statuen an den Pfeilern
neu angefertigt. Vorübergehend dachte er daran, den staufischen Kaisern in
Lorch ein Denkmal zu setzen. Auch Figuren des Alten und Neuen Testaments
und Reliefe biblische» Inhalts hat er gemacht: David, Ruth, Maria mit dem
Christkind, den segnenden Jesus, das schlafende Jesuskind, Szenen aus der
Geschichte Christi. Aber seiue Auffassung und Formensprache ist nicht die
eines Romantikers. Es fehlt ihm ganz im allgemeinen der romantische Sinn.
Wohl hat er deutsche Geschichte mit Interesse getrieben, und von Dichtern, die
er liebte, werde» Th. Körner, W. Scott, Chateaubriand und Lamartine ge¬
nannt. Aber das intensive poetisch-historische Interesse der Romantiker war
ihm fremd, und für den historisch-romantischen Reiz z. B. einer Stadt wie
Venedig hatte er nicht den mindesten Sinn. Vor allen Dinge» fand der
ausgesprochen religiöse Zug der damaligen Romantik keine Gnade vor seinen
Angen. Schon in Rom schloß er sich weder an die Nazarener, die ans den
Klosterbrüdern von S. Jsidoro hervorgegangen waren, noch an die protestan¬
tischen Kapitoliner, die sich um Schmorr von Carolsfeld scharten, näher an.
Die Weltkinder wie der alte Koch, Reinhart, Riedel, Jacobs, Flohr u. s. w.
bildeten seinen Verkehr. Obwohl von Natur fromm, haßte er doch jedes zur
Schau getrague Christe»tum, sowohl a»f katholischer wie auf protestantischer
Seite, und die ungesunde» katholisirende» Neigungen der Overbeck und Ge¬
nossen waren ihm vollends ein Greuel. Auch von der romantischen Begeisterung
für die mittelalterliche italienische Kunst oder die Meister der Renaissance findet
man bei ihm. keine Spur.

So stand er zwischen Klassizismus und Romantik mitten inne, weder der
einen noch der andern Richtung angehörig, und doch auch nicht fähig, ein.


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[0048] Ernst vo» Bcindel Anior und Psyche, Herakles und Omphale, Theseus und Ariadne, Orpheus, Arion, den Faun, die Musen, die Grazien, die Amazonen, Homer und Anakreon. Da haben wir Caritas, die Tages- und Jahreszeiten, die Genien der Wissen¬ schaft und des Friedens, die Fakultäten, Gerechtigkeit und Einigkeit n. s. w., kurz, die stehenden Repertoirestücke der damaligen autikisirend-idealistischen Kunst. So wenig stimmte Theorie und Praxis bei ihm überein. Man sollte denken, daß ein Künstler von so ausgeprägter nationaler Eigenart wie Bärbel damals mir hätte Romantiker werden können. In der That hatte er eine gewisse Vorliebe für die gothische Baukunst. Mit Ohl- müller und Heideloff war er wohl bekannt, und die Werke über deutsche Bau¬ kunst, die in seiner Jngend erschienen waren, hatte er mit Begeisterung gelesen. Malerinnen der romantischen Richtung wie Marie Elleuriedcr und Luise Wolf waren ihm von Jugend ans befreundet. Auch behandelte er nußer dem Ar- miuius in seinen plastischen Werken noch andre romantische Stoffe: Thusnelda, ein Mädchen mit der Orakelblume, Szenen ans dem Leben der alten Deutschen. Schon als junger Mann hatte er bei der Restauration des schonen Brunnens in Nürnberg mitgeholfen und sechs von den sechzehn Statuen an den Pfeilern neu angefertigt. Vorübergehend dachte er daran, den staufischen Kaisern in Lorch ein Denkmal zu setzen. Auch Figuren des Alten und Neuen Testaments und Reliefe biblische» Inhalts hat er gemacht: David, Ruth, Maria mit dem Christkind, den segnenden Jesus, das schlafende Jesuskind, Szenen aus der Geschichte Christi. Aber seiue Auffassung und Formensprache ist nicht die eines Romantikers. Es fehlt ihm ganz im allgemeinen der romantische Sinn. Wohl hat er deutsche Geschichte mit Interesse getrieben, und von Dichtern, die er liebte, werde» Th. Körner, W. Scott, Chateaubriand und Lamartine ge¬ nannt. Aber das intensive poetisch-historische Interesse der Romantiker war ihm fremd, und für den historisch-romantischen Reiz z. B. einer Stadt wie Venedig hatte er nicht den mindesten Sinn. Vor allen Dinge» fand der ausgesprochen religiöse Zug der damaligen Romantik keine Gnade vor seinen Angen. Schon in Rom schloß er sich weder an die Nazarener, die ans den Klosterbrüdern von S. Jsidoro hervorgegangen waren, noch an die protestan¬ tischen Kapitoliner, die sich um Schmorr von Carolsfeld scharten, näher an. Die Weltkinder wie der alte Koch, Reinhart, Riedel, Jacobs, Flohr u. s. w. bildeten seinen Verkehr. Obwohl von Natur fromm, haßte er doch jedes zur Schau getrague Christe»tum, sowohl a»f katholischer wie auf protestantischer Seite, und die ungesunde» katholisirende» Neigungen der Overbeck und Ge¬ nossen waren ihm vollends ein Greuel. Auch von der romantischen Begeisterung für die mittelalterliche italienische Kunst oder die Meister der Renaissance findet man bei ihm. keine Spur. So stand er zwischen Klassizismus und Romantik mitten inne, weder der einen noch der andern Richtung angehörig, und doch auch nicht fähig, ein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/48>, abgerufen am 06.01.2025.