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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lrnst von Bande!

Statuen am Schollen Brunnen eine Praxis der Puuktsetzung selbst gefunden
zu haben vorgiebt, die er von jedem italienischen Scarpellino hätte lernen
können.

Es war Bärtels Unglück, daß seine technischen und realistischen Neigungen
in der damaligen Münchner Atmosphäre nicht die richtige Entwicklung finden
konnten. König Ludwig hatte durch sein ungeduldiges despotisches Drängen
damals besonders in der Plastik jene "Eilknnst" geschaffen, die nur auf de¬
korative Wirkung, nicht auf naturalistische Durchbildung ausging. Eine stumpfe,
flüchtige Auffassung der Formen war eingerissen, jene Auffassung, die wir
aus Schwanthalers Werken zur Genüge kennen. Schwanthalcr war wenigstens
als Erfinder genial, ein würdiger "Skizzenfabrikant" König Ludwigs, wie
Bärbel sagte. Aber Bärbel, dem auch diese Eigenschaft fehlte, mußte an
einem solchen Vorbilde notwendig zu Grunde gehen.

So ist denn der Schöpfer des Arminiusdenkmals thatsächlich in seiner
Entwicklung stecken geblieben. Es ist doch sehr bezeichnend, daß seine Akt¬
studien vom Jahre 1819, wie sein Biograph hervorhebt, besser sind als die
vom Jahre 1834, daß also z. B. auch der römische Aufenthalt in dieser Be¬
ziehung gar keinen Einfluß auf ihn ausgeübt hat. Wenn das von dem jungen
Bärbel gilt, was konnte man da von dem alten erwarten? In der That ist
Bärbel als Künstler keine erfreuliche Erscheinung. Seine Werte sind zwar
nicht alle gleichwertig, aber selbst die besten unter ihnen stehen tief unter denen
eines Schadow und Rauch. Seine plastische Komposition ist der Regel nach
ungeschickt, hart in der Linienführung, ohne Rhythmus in der Haltung der
Glieder, nicht für die Ansicht von verschiednen Seiten berechnet. Einen leben¬
digen Ausdruck der Gesichter hat er nie erreicht, seiue Figuren haben meistens
starre, leblose Züge. Ihre Hände sind schablonenhaft in der Haltung und
matt in der Bewegung, sie fassen meistens nicht recht zu. Die Durchbildung
der Körperformen und besonders der Beine ist rundlich, wurstartig, ohne
Verständnis für die anatomischen Einzelheiten. Von einem freien, lebendigen
Faltenwurf ist nicht die Rede. Nirgends zeigt sich ein Naturstudium, das
über das übliche hinaufginge, nirgends ein Ansatz zu selbständiger Formen-
auffassung. Bei seinem Arminius hat er wenigstens in der Komposition einen
glücklichen Gedanken gehabt, eine gewisse monumentale Wirkung erreicht. An
seinen kleinern Werken aber, z. B. seinen Marmorstatuen, vermißt man durch¬
weg jene lebensvolle Durchbildung der Naturformen, die in erster Linie den
Wert des plastischen Kunstwerks ausmacht.

So wendet sich denn der Blick, der von dem Künstler Bärbel abgestoßen
wird, um so freudiger wieder dein Menschen zu. Mag man ihm einen Platz
in der Reihe der ersten Künstler versagen, er war doch, das muß mau zu¬
geben, in seinen Fehlern und Vorzügen ein ganzer Mann. Stark an Körper
und gesund an Geist, abgehärtet und bedürfnislos im höchsten Grade, toll-


Lrnst von Bande!

Statuen am Schollen Brunnen eine Praxis der Puuktsetzung selbst gefunden
zu haben vorgiebt, die er von jedem italienischen Scarpellino hätte lernen
können.

Es war Bärtels Unglück, daß seine technischen und realistischen Neigungen
in der damaligen Münchner Atmosphäre nicht die richtige Entwicklung finden
konnten. König Ludwig hatte durch sein ungeduldiges despotisches Drängen
damals besonders in der Plastik jene „Eilknnst" geschaffen, die nur auf de¬
korative Wirkung, nicht auf naturalistische Durchbildung ausging. Eine stumpfe,
flüchtige Auffassung der Formen war eingerissen, jene Auffassung, die wir
aus Schwanthalers Werken zur Genüge kennen. Schwanthalcr war wenigstens
als Erfinder genial, ein würdiger „Skizzenfabrikant" König Ludwigs, wie
Bärbel sagte. Aber Bärbel, dem auch diese Eigenschaft fehlte, mußte an
einem solchen Vorbilde notwendig zu Grunde gehen.

So ist denn der Schöpfer des Arminiusdenkmals thatsächlich in seiner
Entwicklung stecken geblieben. Es ist doch sehr bezeichnend, daß seine Akt¬
studien vom Jahre 1819, wie sein Biograph hervorhebt, besser sind als die
vom Jahre 1834, daß also z. B. auch der römische Aufenthalt in dieser Be¬
ziehung gar keinen Einfluß auf ihn ausgeübt hat. Wenn das von dem jungen
Bärbel gilt, was konnte man da von dem alten erwarten? In der That ist
Bärbel als Künstler keine erfreuliche Erscheinung. Seine Werte sind zwar
nicht alle gleichwertig, aber selbst die besten unter ihnen stehen tief unter denen
eines Schadow und Rauch. Seine plastische Komposition ist der Regel nach
ungeschickt, hart in der Linienführung, ohne Rhythmus in der Haltung der
Glieder, nicht für die Ansicht von verschiednen Seiten berechnet. Einen leben¬
digen Ausdruck der Gesichter hat er nie erreicht, seiue Figuren haben meistens
starre, leblose Züge. Ihre Hände sind schablonenhaft in der Haltung und
matt in der Bewegung, sie fassen meistens nicht recht zu. Die Durchbildung
der Körperformen und besonders der Beine ist rundlich, wurstartig, ohne
Verständnis für die anatomischen Einzelheiten. Von einem freien, lebendigen
Faltenwurf ist nicht die Rede. Nirgends zeigt sich ein Naturstudium, das
über das übliche hinaufginge, nirgends ein Ansatz zu selbständiger Formen-
auffassung. Bei seinem Arminius hat er wenigstens in der Komposition einen
glücklichen Gedanken gehabt, eine gewisse monumentale Wirkung erreicht. An
seinen kleinern Werken aber, z. B. seinen Marmorstatuen, vermißt man durch¬
weg jene lebensvolle Durchbildung der Naturformen, die in erster Linie den
Wert des plastischen Kunstwerks ausmacht.

So wendet sich denn der Blick, der von dem Künstler Bärbel abgestoßen
wird, um so freudiger wieder dein Menschen zu. Mag man ihm einen Platz
in der Reihe der ersten Künstler versagen, er war doch, das muß mau zu¬
geben, in seinen Fehlern und Vorzügen ein ganzer Mann. Stark an Körper
und gesund an Geist, abgehärtet und bedürfnislos im höchsten Grade, toll-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/50>, abgerufen am 06.01.2025.