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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lrnst von Bcindel

lebte ohne Einschränkung und sich ein freies Volk erschuf, das in Wahrheit
und Treue fest an seiner Menschenwürde sich haltend, allen Anfechtungen
menschlichen Übermuts riesenstark widerstand." Und unter der Eiche des Tasso
bei S. Onofrio in Rom dachte er an den Weihnachtsbaum der nordischen
Heimat, wie er sich in Parma nach den Bergen des Teutoburger Waldes
zurücksehnte. Aus diesen Gefühlen heraus versteht man auch seine Klage über
die deutsche Kunst seiner Zeit: "Nun tragen eure Königsstädte, ihr Deutschen,
von den Zeiten her, wo wir unser deutsches Wesen vergaßen, alle Zeichen
der Fremdherrschaft, die in einer Kette von Nachäffungen sich offenbaren.
So sind sie Musterkarten des Fremden geworden, während unsrer Vorfahren
Werke, die wahrhafte Bilder deutschen Sinnes sind, in der Heimat oft un¬
heiligen Gebrauch verfallen sind oder geradezu zum Hohn niedergerissen werden,
um Gemischen von griechischen, römisch-französischen und wer weiß sonst noch
für Dingen Platz zu machen. Auf griechischen Konsolen stehen die Büsten
deutscher großer Männer, in einem Griechentempel, der den ehrwürdigen
deutscheu Namen Walhalla trägt, zwischen griechischen, aber in der That ele¬
gant französischen Viktorien, hoch über einer unsrer schönsten Städte ragt stolz
die fremde Siegerin und schaut auf die unvollendeten Türme herab, sie sieht
spöttisch lächelnd, wie, nach ihr sich modelnd, Altdeutschland sich nun kleidet.
Dem wahrhaften Deutschen wird unheimlich in den Städten, in denen er nur
schlechte, unverstandne Nachbildungen der Fremde findet, und er .sucht die
Winkel seiner alten Städte ans, um sich auszuweinen über sein bei andern
berühmtes, zu Hause aber Verlornes Vaterland. Verkannt, vergessen ist unsrer
Väter großer ernster Sinn, wir sind stolz in unserm Ruin, die Kunst geht
in der Irre. Wer möchte den Beweis führen, daß das jetzige Streben der
Deutschen in der Baukunst eine Volkstümlichkeit hat? Sollte unser deutsches
Volk wirklich so wenig künstlerischen Sinn haben, daß es keinen eignen Bau¬
stil mehr gebären könnte? Möchten wir doch bald im alten treuen deutschen
Sinne wieder erstarken." Man glaubt kaum, daß diese Worte in den dreißiger
Jahren niedergeschrieben sind, so sehr erinnern sie uns an gewisse Strömungen,
die heute wieder, wie zur Zeit des jungen Goethe, weite Kreise in Deutsch¬
land bewegen.

Bärbel hatte ein vollkommen richtiges Urteil über die gewaltsame und
unnatürliche Art, wie König Ludwig von Baiern die Kunst pflegte, und was
der deutschen Kunst notthat, hat er treffend ausgesprochen. Aber er hat seiue
richtige Erkenntnis nicht in die That umsetzen können. Wenn man sich nach
solchen Worten zu Bärtels Werken wendet, so hofft man Gegenstünde von
durchweg nationalem Charakter zu finden. Weit gefehlt! Die Stoffe seiner
plastischen Werke und seiner dekorativen Gemälde sind zum großen Teil dem
antiken Götter- und Heroenkreise und dem der klassizistischen Allegorie ent¬
nommen. Da haben wir Juppiter und Juno, Mars und Venus, Hermes,


Lrnst von Bcindel

lebte ohne Einschränkung und sich ein freies Volk erschuf, das in Wahrheit
und Treue fest an seiner Menschenwürde sich haltend, allen Anfechtungen
menschlichen Übermuts riesenstark widerstand." Und unter der Eiche des Tasso
bei S. Onofrio in Rom dachte er an den Weihnachtsbaum der nordischen
Heimat, wie er sich in Parma nach den Bergen des Teutoburger Waldes
zurücksehnte. Aus diesen Gefühlen heraus versteht man auch seine Klage über
die deutsche Kunst seiner Zeit: „Nun tragen eure Königsstädte, ihr Deutschen,
von den Zeiten her, wo wir unser deutsches Wesen vergaßen, alle Zeichen
der Fremdherrschaft, die in einer Kette von Nachäffungen sich offenbaren.
So sind sie Musterkarten des Fremden geworden, während unsrer Vorfahren
Werke, die wahrhafte Bilder deutschen Sinnes sind, in der Heimat oft un¬
heiligen Gebrauch verfallen sind oder geradezu zum Hohn niedergerissen werden,
um Gemischen von griechischen, römisch-französischen und wer weiß sonst noch
für Dingen Platz zu machen. Auf griechischen Konsolen stehen die Büsten
deutscher großer Männer, in einem Griechentempel, der den ehrwürdigen
deutscheu Namen Walhalla trägt, zwischen griechischen, aber in der That ele¬
gant französischen Viktorien, hoch über einer unsrer schönsten Städte ragt stolz
die fremde Siegerin und schaut auf die unvollendeten Türme herab, sie sieht
spöttisch lächelnd, wie, nach ihr sich modelnd, Altdeutschland sich nun kleidet.
Dem wahrhaften Deutschen wird unheimlich in den Städten, in denen er nur
schlechte, unverstandne Nachbildungen der Fremde findet, und er .sucht die
Winkel seiner alten Städte ans, um sich auszuweinen über sein bei andern
berühmtes, zu Hause aber Verlornes Vaterland. Verkannt, vergessen ist unsrer
Väter großer ernster Sinn, wir sind stolz in unserm Ruin, die Kunst geht
in der Irre. Wer möchte den Beweis führen, daß das jetzige Streben der
Deutschen in der Baukunst eine Volkstümlichkeit hat? Sollte unser deutsches
Volk wirklich so wenig künstlerischen Sinn haben, daß es keinen eignen Bau¬
stil mehr gebären könnte? Möchten wir doch bald im alten treuen deutschen
Sinne wieder erstarken." Man glaubt kaum, daß diese Worte in den dreißiger
Jahren niedergeschrieben sind, so sehr erinnern sie uns an gewisse Strömungen,
die heute wieder, wie zur Zeit des jungen Goethe, weite Kreise in Deutsch¬
land bewegen.

Bärbel hatte ein vollkommen richtiges Urteil über die gewaltsame und
unnatürliche Art, wie König Ludwig von Baiern die Kunst pflegte, und was
der deutschen Kunst notthat, hat er treffend ausgesprochen. Aber er hat seiue
richtige Erkenntnis nicht in die That umsetzen können. Wenn man sich nach
solchen Worten zu Bärtels Werken wendet, so hofft man Gegenstünde von
durchweg nationalem Charakter zu finden. Weit gefehlt! Die Stoffe seiner
plastischen Werke und seiner dekorativen Gemälde sind zum großen Teil dem
antiken Götter- und Heroenkreise und dem der klassizistischen Allegorie ent¬
nommen. Da haben wir Juppiter und Juno, Mars und Venus, Hermes,


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[0047] Lrnst von Bcindel lebte ohne Einschränkung und sich ein freies Volk erschuf, das in Wahrheit und Treue fest an seiner Menschenwürde sich haltend, allen Anfechtungen menschlichen Übermuts riesenstark widerstand." Und unter der Eiche des Tasso bei S. Onofrio in Rom dachte er an den Weihnachtsbaum der nordischen Heimat, wie er sich in Parma nach den Bergen des Teutoburger Waldes zurücksehnte. Aus diesen Gefühlen heraus versteht man auch seine Klage über die deutsche Kunst seiner Zeit: „Nun tragen eure Königsstädte, ihr Deutschen, von den Zeiten her, wo wir unser deutsches Wesen vergaßen, alle Zeichen der Fremdherrschaft, die in einer Kette von Nachäffungen sich offenbaren. So sind sie Musterkarten des Fremden geworden, während unsrer Vorfahren Werke, die wahrhafte Bilder deutschen Sinnes sind, in der Heimat oft un¬ heiligen Gebrauch verfallen sind oder geradezu zum Hohn niedergerissen werden, um Gemischen von griechischen, römisch-französischen und wer weiß sonst noch für Dingen Platz zu machen. Auf griechischen Konsolen stehen die Büsten deutscher großer Männer, in einem Griechentempel, der den ehrwürdigen deutscheu Namen Walhalla trägt, zwischen griechischen, aber in der That ele¬ gant französischen Viktorien, hoch über einer unsrer schönsten Städte ragt stolz die fremde Siegerin und schaut auf die unvollendeten Türme herab, sie sieht spöttisch lächelnd, wie, nach ihr sich modelnd, Altdeutschland sich nun kleidet. Dem wahrhaften Deutschen wird unheimlich in den Städten, in denen er nur schlechte, unverstandne Nachbildungen der Fremde findet, und er .sucht die Winkel seiner alten Städte ans, um sich auszuweinen über sein bei andern berühmtes, zu Hause aber Verlornes Vaterland. Verkannt, vergessen ist unsrer Väter großer ernster Sinn, wir sind stolz in unserm Ruin, die Kunst geht in der Irre. Wer möchte den Beweis führen, daß das jetzige Streben der Deutschen in der Baukunst eine Volkstümlichkeit hat? Sollte unser deutsches Volk wirklich so wenig künstlerischen Sinn haben, daß es keinen eignen Bau¬ stil mehr gebären könnte? Möchten wir doch bald im alten treuen deutschen Sinne wieder erstarken." Man glaubt kaum, daß diese Worte in den dreißiger Jahren niedergeschrieben sind, so sehr erinnern sie uns an gewisse Strömungen, die heute wieder, wie zur Zeit des jungen Goethe, weite Kreise in Deutsch¬ land bewegen. Bärbel hatte ein vollkommen richtiges Urteil über die gewaltsame und unnatürliche Art, wie König Ludwig von Baiern die Kunst pflegte, und was der deutschen Kunst notthat, hat er treffend ausgesprochen. Aber er hat seiue richtige Erkenntnis nicht in die That umsetzen können. Wenn man sich nach solchen Worten zu Bärtels Werken wendet, so hofft man Gegenstünde von durchweg nationalem Charakter zu finden. Weit gefehlt! Die Stoffe seiner plastischen Werke und seiner dekorativen Gemälde sind zum großen Teil dem antiken Götter- und Heroenkreise und dem der klassizistischen Allegorie ent¬ nommen. Da haben wir Juppiter und Juno, Mars und Venus, Hermes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/47>, abgerufen am 06.01.2025.