Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Geduld Nach sieben bis acht Minuten halten wir zur Abwechslung wieder einmal Jedenfalls nicht das Macadamisiren der Feldwege. Es mag ein saures Inzwischen kommen wir, wenn auch laugsam, doch allmählich weiter. Wahr¬ Geduld Nach sieben bis acht Minuten halten wir zur Abwechslung wieder einmal Jedenfalls nicht das Macadamisiren der Feldwege. Es mag ein saures Inzwischen kommen wir, wenn auch laugsam, doch allmählich weiter. Wahr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212955"/> <fw type="header" place="top"> Geduld</fw><lb/> <p xml:id="ID_1601"> Nach sieben bis acht Minuten halten wir zur Abwechslung wieder einmal<lb/> still. Und dabei hatten es die zu Blersum noch gnädig gemacht und ihre rote<lb/> Fahne nicht herausgesteckt, sodaß wir an dem weißen Pfahl ruhig vorüber-<lb/> fahren konnten. Dafür waren wir nun in Vurhafe. Hier mußte freilich ge¬<lb/> halten werden, deun es stiegen ordentlich Leute aus. Vier Männer, eine Frau<lb/> und das Mädchen mit den roten Backen, das in Wittmund eingestiegen war.<lb/> nachdem es mit wahrhaft ostfriesischer Geduld auf deu Zug gewartet hatte.<lb/> Ob es wohl die Tochter des Bauernhofes ist. der einst Bnrhafe den Namen<lb/> gab? Denn daß Bnrhafe weiter nichts heißt, als Bauerhof, trotz der schein¬<lb/> baren Hinneigung zu Bauerhafen, ist gewiß. Wollen doch die Gelehrte« sogar<lb/> das „Hase" 'in Marieuhafe für „Hof" erklären, obwohl das ja wirklich ein<lb/> Hafen, wenn auch eigentlich nur ein Tief, Störtebekerischen Andenkens, ge¬<lb/> wesen ist. Dem sei, wie ihm wolle. Die Wangen des Mägdleins waren rot<lb/> genug, daß die Annahme berechtigt erscheinen konnte, sie seien auf irgend einem<lb/> Bauernhofe so rot geworden. Was mich die roten Backen einer ostfriesischen<lb/> Bauerndirne angehn? Ja, in der Verzweiflung klammert man sich eben an<lb/> alles, was den Geduldsfaden vorm Reißen bewahren kann. Und weil wir<lb/> uns doch einmal Land und Leuten zugewandt haben, gehört etwa das Fräu¬<lb/> lein, denn Fräuleins sind ja heutzutage alle, nicht mit zu deu Leuten? Ich<lb/> berufe mich hier auf Franz von Löser. Der schreibt in seinem prächtigen<lb/> Buche: „Griechische Küstenfahrten" etwa so: Daß ich viel von Frauen rede,<lb/> ist erklärlich, denn sie bieten dem Reisenden nicht nur das interessanteste, son¬<lb/> der« mich das lehrreichste Objekt der Beobachtung, weil sie Landesart und<lb/> Lnndessitte am längsten und treusten festhalten. Sonst war in Burhafe nichts<lb/> weiter los. Es wurden noch zwei Packete ausgeladen; der Briefbeutel war<lb/> sehr dünn, er wird wohl höchstens die Zeitung für den Herrn Pastor ent¬<lb/> halten haben. Sehr beunruhigte mich ein Eilgutfrachtbrief, der hier mit aus¬<lb/> geschifft wurde — ich erkannte ihn von weitem an der roten Farbe. Wer<lb/> oder was mag wohl in Bnrhafe Eile haben?</p><lb/> <p xml:id="ID_1602"> Jedenfalls nicht das Macadamisiren der Feldwege. Es mag ein saures<lb/> Stück Arbeit sein, sich bei Winterszeit durch einen dieser unergründlichen Wege<lb/> hindurchzuarbeiten. Denn sobald mau die Chaussee verlassen hat, scheint alles<lb/> unergründlich zu sein. Hier könnte sich die Geschichte ereignet haben, die<lb/> Doornkaat in seiner schalkhaften Art erzählt. Zur Illustration des landläu¬<lb/> figen Sprichworts: ^Vsn 6« vur nöt mot, rörck gon nur (Glied, Hand)<lb/> tut, sei unter andern die bekannte Anekdote von einem Bauern angeführt,<lb/> der sich von seinem Knecht fahren läßt und, indem er bei dieser Gelegenheit<lb/> auf einer schlecht unterhaltnen Wegstrecke fast umwirft und stecken bleibt, un¬<lb/> mutig und erbost ausruft: 't is cloolr cke sotmuciö ne-rei, nun ä'r iM inör an<lb/> 6« vgMii <Zg.u vorä, und als der Knecht ihm darauf verwundert antwortet:<lb/> Aar dur! 't, is jo uns ö^n >vog'. og.r up sunt, diesem ruhig erwidert:<lb/> Val ist all not «Ille, <jeu fuit, ^.me uns ä'r t>o clvinzon, äat ovi Irum in^on.<lb/> hüllst 8und 6at nnLs sinken not. Ja ja, so ist der Bauer. 0<z dur is<lb/> u vur. Und das ist nicht nur in Ostfriesland so.</p><lb/> <p xml:id="ID_1603" next="#ID_1604"> Inzwischen kommen wir, wenn auch laugsam, doch allmählich weiter. Wahr¬<lb/> haftig, schon sind wir in Stedcsdorf. Und merkst du auch, lieber Leser, wie wir nach<lb/> und nach dem SchanplaK altfriesischer Geschichte näher kommen? Ist dirs nicht,<lb/> als hörtest dn von Krieg und Kriegsgeschrei, von Fehde, Seeräuberei und Blut¬<lb/> vergießen? Zwar Stedcsdorf selbst erweckt zunächst nur eine sehr friedliche Er-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
Geduld
Nach sieben bis acht Minuten halten wir zur Abwechslung wieder einmal
still. Und dabei hatten es die zu Blersum noch gnädig gemacht und ihre rote
Fahne nicht herausgesteckt, sodaß wir an dem weißen Pfahl ruhig vorüber-
fahren konnten. Dafür waren wir nun in Vurhafe. Hier mußte freilich ge¬
halten werden, deun es stiegen ordentlich Leute aus. Vier Männer, eine Frau
und das Mädchen mit den roten Backen, das in Wittmund eingestiegen war.
nachdem es mit wahrhaft ostfriesischer Geduld auf deu Zug gewartet hatte.
Ob es wohl die Tochter des Bauernhofes ist. der einst Bnrhafe den Namen
gab? Denn daß Bnrhafe weiter nichts heißt, als Bauerhof, trotz der schein¬
baren Hinneigung zu Bauerhafen, ist gewiß. Wollen doch die Gelehrte« sogar
das „Hase" 'in Marieuhafe für „Hof" erklären, obwohl das ja wirklich ein
Hafen, wenn auch eigentlich nur ein Tief, Störtebekerischen Andenkens, ge¬
wesen ist. Dem sei, wie ihm wolle. Die Wangen des Mägdleins waren rot
genug, daß die Annahme berechtigt erscheinen konnte, sie seien auf irgend einem
Bauernhofe so rot geworden. Was mich die roten Backen einer ostfriesischen
Bauerndirne angehn? Ja, in der Verzweiflung klammert man sich eben an
alles, was den Geduldsfaden vorm Reißen bewahren kann. Und weil wir
uns doch einmal Land und Leuten zugewandt haben, gehört etwa das Fräu¬
lein, denn Fräuleins sind ja heutzutage alle, nicht mit zu deu Leuten? Ich
berufe mich hier auf Franz von Löser. Der schreibt in seinem prächtigen
Buche: „Griechische Küstenfahrten" etwa so: Daß ich viel von Frauen rede,
ist erklärlich, denn sie bieten dem Reisenden nicht nur das interessanteste, son¬
der« mich das lehrreichste Objekt der Beobachtung, weil sie Landesart und
Lnndessitte am längsten und treusten festhalten. Sonst war in Burhafe nichts
weiter los. Es wurden noch zwei Packete ausgeladen; der Briefbeutel war
sehr dünn, er wird wohl höchstens die Zeitung für den Herrn Pastor ent¬
halten haben. Sehr beunruhigte mich ein Eilgutfrachtbrief, der hier mit aus¬
geschifft wurde — ich erkannte ihn von weitem an der roten Farbe. Wer
oder was mag wohl in Bnrhafe Eile haben?
Jedenfalls nicht das Macadamisiren der Feldwege. Es mag ein saures
Stück Arbeit sein, sich bei Winterszeit durch einen dieser unergründlichen Wege
hindurchzuarbeiten. Denn sobald mau die Chaussee verlassen hat, scheint alles
unergründlich zu sein. Hier könnte sich die Geschichte ereignet haben, die
Doornkaat in seiner schalkhaften Art erzählt. Zur Illustration des landläu¬
figen Sprichworts: ^Vsn 6« vur nöt mot, rörck gon nur (Glied, Hand)
tut, sei unter andern die bekannte Anekdote von einem Bauern angeführt,
der sich von seinem Knecht fahren läßt und, indem er bei dieser Gelegenheit
auf einer schlecht unterhaltnen Wegstrecke fast umwirft und stecken bleibt, un¬
mutig und erbost ausruft: 't is cloolr cke sotmuciö ne-rei, nun ä'r iM inör an
6« vgMii <Zg.u vorä, und als der Knecht ihm darauf verwundert antwortet:
Aar dur! 't, is jo uns ö^n >vog'. og.r up sunt, diesem ruhig erwidert:
Val ist all not «Ille, <jeu fuit, ^.me uns ä'r t>o clvinzon, äat ovi Irum in^on.
hüllst 8und 6at nnLs sinken not. Ja ja, so ist der Bauer. 0<z dur is
u vur. Und das ist nicht nur in Ostfriesland so.
Inzwischen kommen wir, wenn auch laugsam, doch allmählich weiter. Wahr¬
haftig, schon sind wir in Stedcsdorf. Und merkst du auch, lieber Leser, wie wir nach
und nach dem SchanplaK altfriesischer Geschichte näher kommen? Ist dirs nicht,
als hörtest dn von Krieg und Kriegsgeschrei, von Fehde, Seeräuberei und Blut¬
vergießen? Zwar Stedcsdorf selbst erweckt zunächst nur eine sehr friedliche Er-
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