Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Geduld Um uns die Zeit zu vertreiben, verfallen wir schließlich auf die Idee, Doch wie sagt der Ostfriese? Jiht g,1 sen dick, irmn llotmiMn int. Nun, denke ich, kann auch unsrer bald losgelassen werden. Sollte es Hier muß ich um einen Augenblick in meiner Erzählung inne halten, Geduld Um uns die Zeit zu vertreiben, verfallen wir schließlich auf die Idee, Doch wie sagt der Ostfriese? Jiht g,1 sen dick, irmn llotmiMn int. Nun, denke ich, kann auch unsrer bald losgelassen werden. Sollte es Hier muß ich um einen Augenblick in meiner Erzählung inne halten, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212953"/> <fw type="header" place="top"> Geduld</fw><lb/> <p xml:id="ID_1592"> Um uns die Zeit zu vertreiben, verfallen wir schließlich auf die Idee,<lb/> der Bahnhofrestauration einen Besuch abzustatten. Zweiter Klasse ist niemand,<lb/> nicht einmal ein Ganymed oder eine Hebe. Aber dritter Klasse, da treffen<lb/> wir einen schlanken Jüngling hinter dem Büffet. Bescheiden bitten wir um<lb/> einen Genever — der Leser verzeihe das harte Wort —, aber auf was ver¬<lb/> fällt der Mensch nicht in der Verzweiflung! Es war auch nur ein kleiner für<lb/> fünf Pfennige. Doch auch hier geht es wieder nicht ganz glatt ab. Der<lb/> Schlanke schleudert den Nickelfünfer, den wir herauskriegen sollen, mit solcher<lb/> Nonchalance in hohem Bogenschuß vor uns auf den Schenktisch, daß dadurch<lb/> unsre stark ins Wanken geratne Stimmung auch nicht gerade gestützt oder<lb/> gebessert wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1593"> Doch wie sagt der Ostfriese? Jiht g,1 sen dick, irmn llotmiMn int.<lb/> Aber darum handelt sichs hier zum Glück nicht, sondern um den Zug aus<lb/> Norden, und der kommt denn endlich auch wirklich an. Irgendwo muß Vieh¬<lb/> markt sein. Die Physiognomie der Leute, die da aussteigen, kommt mir, na¬<lb/> mentlich was den Schnitt der Nasen betrifft, gar nicht recht alt frei friesisch<lb/> eingeboren vor. Eine Viertelstunde dauert der Viehmarktgästetrubel. Da er¬<lb/> scheint endlich, mit dem Bewußtsein seiner Würde angethan, der Herr mit der<lb/> roten Mütze auf der Bildfläche, winkt wichtig mit dem rechte» Arm und sagt<lb/> kurz und gebieterisch: Abläuten! Der Zug nach Jever mit Seins und Japhets<lb/> Kindern saust ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_1594"> Nun, denke ich, kann auch unsrer bald losgelassen werden. Sollte es<lb/> der Leser inzwischen vergessen haben, so rufe ich es ihm ins Gedächtnis zurück,<lb/> daß wir nach Norden unterwegs sind. Aber die nächsten fünf Minuten ge¬<lb/> schah nichts. Nach Verlauf dieser fünf Minuten aber erschien auf dem „Bahn¬<lb/> steig" eine Dame oder Frau, genug, ein weibliches Wesen in Hut und Mantel.<lb/> So weit man das bei den Leuten hierzulande merken kann, schien sie einige<lb/> Eile zu haben. Und in der That, sie hatte mit dem vor fünf Minuten ab-<lb/> gegangnen Zug nach Jever fahren wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1595" next="#ID_1596"> Hier muß ich um einen Augenblick in meiner Erzählung inne halten,<lb/> lieber Leser, um dir zu versichern, daß das, was ich dir nun erzählen will,<lb/> die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist. Denke also nicht etwa,<lb/> daß es nach Art der Geschichte von dem Briefträger ausgedacht sei. Schon<lb/> daß ich die im Vorbeigehn hierher setze, muß dir dafür eine Bürgschaft sein.<lb/> Es soll also einmal ein Briefträger die Gewohnheit gehabt haben, seinen Be¬<lb/> rufsweg eine Strecke mit der ostfriesischen Küstenbahn zurückzulegen, weil sein<lb/> Freund, der Zugführer, ihn umsonst mitnahm. Eines Tages macht er aber<lb/> Anstalten, den Weg zu Fuß zu gehn. „Nun, komm doch, steig ein!" rief ihm der<lb/> Zugführer zu. „Nein, sagte der Briefträger, heute kaun ich nicht mit euch fahren,<lb/> heute muß ich marschieren, denn ich habe einen eiligen Brief!" Diese Geschichte<lb/> M gut erfunden, nicht wahr? Aber meine ist nicht erfunden, sondern wirklich<lb/> geschehen. Die Dame also stand eine Zeit lang in der bekannten Verlegenheit<lb/> da, die solchen Situationen eigen ist. Aber was war zu machen? Sie mußte<lb/> sich davon überzeugen, daß sie den Zug versäumt hatte. Da tritt ein Bahn¬<lb/> arbeiter zu ihr: So, na Jever wollt Se? — Jo! — Hebb Se ok en Billet? —<lb/> Nee! — Na 't sall wol ok so gan! — Darauf führt er sie über ein Geleise,<lb/> stellt sie auf eine Art von „Bahnsteig," dreht sie mit dem Gesicht nach der<lb/> Züchtung, in der Jever liegt, und sagt gemütlich: So, nu kopf man to! Sie<lb/> lauft, und gar nicht einmal sehr eilig, und — hat wirklich den Zug noch ein-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0477]
Geduld
Um uns die Zeit zu vertreiben, verfallen wir schließlich auf die Idee,
der Bahnhofrestauration einen Besuch abzustatten. Zweiter Klasse ist niemand,
nicht einmal ein Ganymed oder eine Hebe. Aber dritter Klasse, da treffen
wir einen schlanken Jüngling hinter dem Büffet. Bescheiden bitten wir um
einen Genever — der Leser verzeihe das harte Wort —, aber auf was ver¬
fällt der Mensch nicht in der Verzweiflung! Es war auch nur ein kleiner für
fünf Pfennige. Doch auch hier geht es wieder nicht ganz glatt ab. Der
Schlanke schleudert den Nickelfünfer, den wir herauskriegen sollen, mit solcher
Nonchalance in hohem Bogenschuß vor uns auf den Schenktisch, daß dadurch
unsre stark ins Wanken geratne Stimmung auch nicht gerade gestützt oder
gebessert wird.
Doch wie sagt der Ostfriese? Jiht g,1 sen dick, irmn llotmiMn int.
Aber darum handelt sichs hier zum Glück nicht, sondern um den Zug aus
Norden, und der kommt denn endlich auch wirklich an. Irgendwo muß Vieh¬
markt sein. Die Physiognomie der Leute, die da aussteigen, kommt mir, na¬
mentlich was den Schnitt der Nasen betrifft, gar nicht recht alt frei friesisch
eingeboren vor. Eine Viertelstunde dauert der Viehmarktgästetrubel. Da er¬
scheint endlich, mit dem Bewußtsein seiner Würde angethan, der Herr mit der
roten Mütze auf der Bildfläche, winkt wichtig mit dem rechte» Arm und sagt
kurz und gebieterisch: Abläuten! Der Zug nach Jever mit Seins und Japhets
Kindern saust ab.
Nun, denke ich, kann auch unsrer bald losgelassen werden. Sollte es
der Leser inzwischen vergessen haben, so rufe ich es ihm ins Gedächtnis zurück,
daß wir nach Norden unterwegs sind. Aber die nächsten fünf Minuten ge¬
schah nichts. Nach Verlauf dieser fünf Minuten aber erschien auf dem „Bahn¬
steig" eine Dame oder Frau, genug, ein weibliches Wesen in Hut und Mantel.
So weit man das bei den Leuten hierzulande merken kann, schien sie einige
Eile zu haben. Und in der That, sie hatte mit dem vor fünf Minuten ab-
gegangnen Zug nach Jever fahren wollen.
Hier muß ich um einen Augenblick in meiner Erzählung inne halten,
lieber Leser, um dir zu versichern, daß das, was ich dir nun erzählen will,
die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist. Denke also nicht etwa,
daß es nach Art der Geschichte von dem Briefträger ausgedacht sei. Schon
daß ich die im Vorbeigehn hierher setze, muß dir dafür eine Bürgschaft sein.
Es soll also einmal ein Briefträger die Gewohnheit gehabt haben, seinen Be¬
rufsweg eine Strecke mit der ostfriesischen Küstenbahn zurückzulegen, weil sein
Freund, der Zugführer, ihn umsonst mitnahm. Eines Tages macht er aber
Anstalten, den Weg zu Fuß zu gehn. „Nun, komm doch, steig ein!" rief ihm der
Zugführer zu. „Nein, sagte der Briefträger, heute kaun ich nicht mit euch fahren,
heute muß ich marschieren, denn ich habe einen eiligen Brief!" Diese Geschichte
M gut erfunden, nicht wahr? Aber meine ist nicht erfunden, sondern wirklich
geschehen. Die Dame also stand eine Zeit lang in der bekannten Verlegenheit
da, die solchen Situationen eigen ist. Aber was war zu machen? Sie mußte
sich davon überzeugen, daß sie den Zug versäumt hatte. Da tritt ein Bahn¬
arbeiter zu ihr: So, na Jever wollt Se? — Jo! — Hebb Se ok en Billet? —
Nee! — Na 't sall wol ok so gan! — Darauf führt er sie über ein Geleise,
stellt sie auf eine Art von „Bahnsteig," dreht sie mit dem Gesicht nach der
Züchtung, in der Jever liegt, und sagt gemütlich: So, nu kopf man to! Sie
lauft, und gar nicht einmal sehr eilig, und — hat wirklich den Zug noch ein-
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