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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bundesstaat und Staatenbund; Volk und Land

Staat zugleich die Grenze bildet, die die Gebietshoheit des Reichs am Reichs¬
gebiete von der Gebietshoheit des Einzelstaats am Staatsgebiete rechtlich
scheidet, und übereinstimmend damit, daß freilich gleich dem doppelten Eigen¬
tums das Nebeneinanderbestehen mehrerer allgemeiner Herrschaftsgewalten auf
demselben Gebiete ausgeschlossen ist, daß dagegen nach dem Vorgange der
privatrechtlichen Personalservituten die Ausscheidung von Spezialrechten aus
der allgemeinen Herrschaft möglich erscheint, die auf gleicher absoluter Grund¬
lage im Anschlusse an die sachliche Kompetenz mit Bezug auf das Territorium
die Konkurrenz einer doppelten Gebietshoheit in dem Nahmen der beiderseitigen
Rechte zur Folge hat."") Weit offner sagt Hänel, wie ers meint. "Der Unter¬
schied der Größenverhältnisse zwischen den einzelnen deutschen Staaten, die
Vormachtstellung Preußens stellte die Aufgabe, in die Struktur des Bundes-
staats ein hegemonisches Element einzufügen. Nur durch den Nachweis der
rechtlichen Gestaltung der preußischen Hegemonie wird der Begriff des Bundes-
ftacits für Deutschland über ein abstraktes Schema hinausgehoben. Unter
fünfundzwanzig deutschen Einzelstaaten sind zweiundzwanzig monarchisch orga-
nisirt. Vou jeher aber galt es als ein unlösbares Problem, Monarchien in
eine über den Staatenbund hinaus liegende Verbindung einzufügen. Ju der
That -- der Begriff der Monarchie, wie er über den Einheitsstaat ab¬
gezogen ist, das monarchische Prinzip, wie es fordert, "daß die gesamte Staats¬
gewalt in dem Oberhaupt des Staats vereinigt bleibe" (Wiener Schlußakte
a. 57), ist unvereinbar mit der Unterordnung von Monarchien und Monarchen
unter eine Staatsgewalt. Beide können, wenn nicht der gleiche Name eine
vollkommne Umgestaltung des Begriffs und des Wesens nur verdecken soll,
unter dem Vundesstaate nicht besteh" in den Einzelstaaten, sie können nur sich
wiederfinden in der Organisation der Reichsgewalt. Die Monarchie im Sinne
eines festen wissenschaftlichen Begriffs ist in Deutschland, allen verdunkelnden
und beschönigenden Redensarten zum Trotze, nur darstellbar im Kaisertum
und nirgends sonst. An den verfassungsmäßigen Attributen des Kaisertums
allein entscheidet es sich, ob die Monarchie in Deutschland besteht oder nicht
besteht." Daraus tritt nun allerdings ein Ideal deutlich genug hervor: der
preußische Einheitsstaat, in dem Deutschland aufgehn soll; allein dieses Ideal
ist nicht das unsre, wir glauben nicht, daß es der Natur, den Vedürfnisfen
und berechtigten Wünschen des deutschen Volks entspreche. Denn, wie gesagt,
aus dem Begriffe des Staats allein und ohne Rücksicht auf das bestimmte
Volk, um das es sich handelt, läßt sich das richtige Ideal nicht gewinnen.

Was will unser deutsches Volk, was braucht es zu seinem Gedeihen?
Das ist die entscheidende Frage. Und wenn es dem absoluten Staate, der ja
für seine Zeit gut war und unabweisbare Aufgaben zu erfüllen hatte, so ziem-



D R Wie segnen wir unsern verehrten Mitarbeiter beim Lesen eines solchen Satzes!
Bundesstaat und Staatenbund; Volk und Land

Staat zugleich die Grenze bildet, die die Gebietshoheit des Reichs am Reichs¬
gebiete von der Gebietshoheit des Einzelstaats am Staatsgebiete rechtlich
scheidet, und übereinstimmend damit, daß freilich gleich dem doppelten Eigen¬
tums das Nebeneinanderbestehen mehrerer allgemeiner Herrschaftsgewalten auf
demselben Gebiete ausgeschlossen ist, daß dagegen nach dem Vorgange der
privatrechtlichen Personalservituten die Ausscheidung von Spezialrechten aus
der allgemeinen Herrschaft möglich erscheint, die auf gleicher absoluter Grund¬
lage im Anschlusse an die sachliche Kompetenz mit Bezug auf das Territorium
die Konkurrenz einer doppelten Gebietshoheit in dem Nahmen der beiderseitigen
Rechte zur Folge hat."") Weit offner sagt Hänel, wie ers meint. „Der Unter¬
schied der Größenverhältnisse zwischen den einzelnen deutschen Staaten, die
Vormachtstellung Preußens stellte die Aufgabe, in die Struktur des Bundes-
staats ein hegemonisches Element einzufügen. Nur durch den Nachweis der
rechtlichen Gestaltung der preußischen Hegemonie wird der Begriff des Bundes-
ftacits für Deutschland über ein abstraktes Schema hinausgehoben. Unter
fünfundzwanzig deutschen Einzelstaaten sind zweiundzwanzig monarchisch orga-
nisirt. Vou jeher aber galt es als ein unlösbares Problem, Monarchien in
eine über den Staatenbund hinaus liegende Verbindung einzufügen. Ju der
That — der Begriff der Monarchie, wie er über den Einheitsstaat ab¬
gezogen ist, das monarchische Prinzip, wie es fordert, »daß die gesamte Staats¬
gewalt in dem Oberhaupt des Staats vereinigt bleibe« (Wiener Schlußakte
a. 57), ist unvereinbar mit der Unterordnung von Monarchien und Monarchen
unter eine Staatsgewalt. Beide können, wenn nicht der gleiche Name eine
vollkommne Umgestaltung des Begriffs und des Wesens nur verdecken soll,
unter dem Vundesstaate nicht besteh» in den Einzelstaaten, sie können nur sich
wiederfinden in der Organisation der Reichsgewalt. Die Monarchie im Sinne
eines festen wissenschaftlichen Begriffs ist in Deutschland, allen verdunkelnden
und beschönigenden Redensarten zum Trotze, nur darstellbar im Kaisertum
und nirgends sonst. An den verfassungsmäßigen Attributen des Kaisertums
allein entscheidet es sich, ob die Monarchie in Deutschland besteht oder nicht
besteht." Daraus tritt nun allerdings ein Ideal deutlich genug hervor: der
preußische Einheitsstaat, in dem Deutschland aufgehn soll; allein dieses Ideal
ist nicht das unsre, wir glauben nicht, daß es der Natur, den Vedürfnisfen
und berechtigten Wünschen des deutschen Volks entspreche. Denn, wie gesagt,
aus dem Begriffe des Staats allein und ohne Rücksicht auf das bestimmte
Volk, um das es sich handelt, läßt sich das richtige Ideal nicht gewinnen.

Was will unser deutsches Volk, was braucht es zu seinem Gedeihen?
Das ist die entscheidende Frage. Und wenn es dem absoluten Staate, der ja
für seine Zeit gut war und unabweisbare Aufgaben zu erfüllen hatte, so ziem-



D R Wie segnen wir unsern verehrten Mitarbeiter beim Lesen eines solchen Satzes!
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[0466] Bundesstaat und Staatenbund; Volk und Land Staat zugleich die Grenze bildet, die die Gebietshoheit des Reichs am Reichs¬ gebiete von der Gebietshoheit des Einzelstaats am Staatsgebiete rechtlich scheidet, und übereinstimmend damit, daß freilich gleich dem doppelten Eigen¬ tums das Nebeneinanderbestehen mehrerer allgemeiner Herrschaftsgewalten auf demselben Gebiete ausgeschlossen ist, daß dagegen nach dem Vorgange der privatrechtlichen Personalservituten die Ausscheidung von Spezialrechten aus der allgemeinen Herrschaft möglich erscheint, die auf gleicher absoluter Grund¬ lage im Anschlusse an die sachliche Kompetenz mit Bezug auf das Territorium die Konkurrenz einer doppelten Gebietshoheit in dem Nahmen der beiderseitigen Rechte zur Folge hat."") Weit offner sagt Hänel, wie ers meint. „Der Unter¬ schied der Größenverhältnisse zwischen den einzelnen deutschen Staaten, die Vormachtstellung Preußens stellte die Aufgabe, in die Struktur des Bundes- staats ein hegemonisches Element einzufügen. Nur durch den Nachweis der rechtlichen Gestaltung der preußischen Hegemonie wird der Begriff des Bundes- ftacits für Deutschland über ein abstraktes Schema hinausgehoben. Unter fünfundzwanzig deutschen Einzelstaaten sind zweiundzwanzig monarchisch orga- nisirt. Vou jeher aber galt es als ein unlösbares Problem, Monarchien in eine über den Staatenbund hinaus liegende Verbindung einzufügen. Ju der That — der Begriff der Monarchie, wie er über den Einheitsstaat ab¬ gezogen ist, das monarchische Prinzip, wie es fordert, »daß die gesamte Staats¬ gewalt in dem Oberhaupt des Staats vereinigt bleibe« (Wiener Schlußakte a. 57), ist unvereinbar mit der Unterordnung von Monarchien und Monarchen unter eine Staatsgewalt. Beide können, wenn nicht der gleiche Name eine vollkommne Umgestaltung des Begriffs und des Wesens nur verdecken soll, unter dem Vundesstaate nicht besteh» in den Einzelstaaten, sie können nur sich wiederfinden in der Organisation der Reichsgewalt. Die Monarchie im Sinne eines festen wissenschaftlichen Begriffs ist in Deutschland, allen verdunkelnden und beschönigenden Redensarten zum Trotze, nur darstellbar im Kaisertum und nirgends sonst. An den verfassungsmäßigen Attributen des Kaisertums allein entscheidet es sich, ob die Monarchie in Deutschland besteht oder nicht besteht." Daraus tritt nun allerdings ein Ideal deutlich genug hervor: der preußische Einheitsstaat, in dem Deutschland aufgehn soll; allein dieses Ideal ist nicht das unsre, wir glauben nicht, daß es der Natur, den Vedürfnisfen und berechtigten Wünschen des deutschen Volks entspreche. Denn, wie gesagt, aus dem Begriffe des Staats allein und ohne Rücksicht auf das bestimmte Volk, um das es sich handelt, läßt sich das richtige Ideal nicht gewinnen. Was will unser deutsches Volk, was braucht es zu seinem Gedeihen? Das ist die entscheidende Frage. Und wenn es dem absoluten Staate, der ja für seine Zeit gut war und unabweisbare Aufgaben zu erfüllen hatte, so ziem- D R Wie segnen wir unsern verehrten Mitarbeiter beim Lesen eines solchen Satzes!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/466>, abgerufen am 08.01.2025.